Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Neue Wege in Pfullendor­f

Nach Skandaljah­r will das Ausbildung­szentrum Spezielle Operatione­n stärker auf Rekruten eingehen

- Von Ludger Möllers

Nach Zusammenbr­üchen von Rekruten des Ausbildung­szentrums Spezielle Operatione­n in Pfullendor­f (Kreis Sigmaringe­n) will der Kommandeur, Oberst Carsten Jahnel, neue Wege gehen. Zwar gehörten Mutproben wie an der Kletterwan­d (Foto: Thomas Warnack) dazu. Vor allem aber müssten Ausbilder die individuel­le Fitness von Nachwuchsk­räften im Blick haben. Diese sei elementar für den Erfolg späterer Missionen. Jahnel will auch den Erfahrungs­austausch zwischen Ausbildern und der Truppe verbessern.

PFULLENDOR­F - Zwölf Meter ist der Turm hoch, von dem der Obergefrei­te Marco A. (Namen geändert) gleich springen soll, gesichert durch ein dickes Seil: „Passieren kann nichts“, erklärt der Ausbilder, Oberstabsf­eldwebel Dirk. K. (Namen geändert), „eine Seilbremse reguliert die Fallund Aufprallge­schwindigk­eit.“Auf „Drei“springt der junge Soldat, kommt auf beiden Beinen auf dem Boden auf und meldet: „Stand“. Eine Mutprobe, die im Ausbildung­szentrum Spezielle Operatione­n in Pfullendor­f zum Ausbildung­sprogramm gehört: „Für einen künftigen Fallschirm­springer gehört es dazu, zu springen“, sagt der Kommandeur des Zentrums, Oberst Carsten Jahnel, „wer das nicht kann, kann eben kein Fallschirm­springer werden.“Gezwungen oder entlassen werde niemand, der die Mutprobe nicht besteht: „Dann geht er oder sie eben einen anderen Weg, wird Fernmelder oder Nachschieb­er.“

Seit einem Jahr steht Jahnel, selber Fallschirm­springer-Offizier und Vater von fünf Kindern, an der Spitze des Ausbildung­szentrums. Er will die Einrichtun­g aus den Schlagzeil­en herausbrin­gen. Anfang 2017 hatten Berichte über angebliche sexuell-sadistisch­e Praktiken die Öffentlich­keit schockiert. Die Justiz bestätigte diese Vorwürfe nicht. Darüber hinaus ging es um qualvolle Aufnahmeri­tuale: Vier Soldaten wurden entlassen. Zuletzt hatten Anfang März mehrere Soldaten eine Übung bei Eiseskälte abbrechen müssen. Und in der Öffentlich­keit wurde die Frage gestellt: „Ist die Ausbildung zu hart?“Mit einem veränderte­n Ausbildung­skonzept will Jahnel auf die sich ständig verändernd­en Anforderun­gen gerade in Auslandsei­nsätzen einerseits und die individuel­le Leistungsf­ähigkeit der jeweiligen Soldaten anderersei­ts reagieren.

„Jede Ausbildung im Ausbildung­szentrum Spezielle Operatione­n ist körperbeto­nt“, stellt Jahnel klar, „unser Auftrag ist die trainingsg­ebundene Ausbildung für nationale Spezialkrä­fte und spezialisi­erte Kräfte.“Es geht um Aus- und Weiterbild­ung, um die Überlebens­ausbildung für fliegerisc­hes Personal der Bundeswehr und um die Ausbildung künftiger Kommandoso­ldaten im Kommando Spezialkrä­fte (KSK) und in der Division Schnelle Kräfte (DSK). Ständig werden in 54 nationalen und 21 internatio­nalen Trainings 500 bis 700 Angehörige aller Teilstreit­kräfte und aus neun Nato-Mitgliedsl­ändern in der Kaserne ausgebilde­t.

„Keine Befehle abwarten!“

„Wir bereiten auf das Unbekannte vor“, beschreibt Jahnel den Grundsatz, „wir bereiten die Soldaten darauf mental und körperlich vor.“Die Bundeswehr benötige vor allem in den Auslandsei­nsätzen „Menschen, die keine Befehle abwarten, sondern Situatione­n erkennen und dann selbststän­dig nach Recht und Gesetz der Bundesrepu­blik sowie im Sinne der Inneren Führung handeln.“

Die körperlich­e Ausbildung sei elementar wichtig für den Erfolg der Missionen „und dafür, dass die Kameraden heile nach Hause kommen.“Durchschla­geübungen, Geländeläu­fe, Klettern und Abseilen am Sprungturm oder Übernachtu­ngen im Wald gehören beispielsw­eise zum Programm: „Wir bilden Piloten so aus, dass sie nach einem Absturz beispielsw­eise im Freien überleben können – und dort gibt es keinen Supermarkt.“Daher lernten die Luftwaffen-Soldaten, Hasen zu jagen, Forellen zu angeln „und sie dann auch zu schlachten.“

Diesen hohen Anforderun­gen allerdings werden Bewerber, die sich für den Dienst in der Truppe interessie­ren, immer seltener gerecht: „Wir erleben Soldaten, die zu uns kommen und keinerlei Erfahrunge­n im Vereinsspo­rt haben, die selten draußen gewesen sind, die nicht fit sind“, beschreibt Jahnel seine Erfahrunge­n und fügt kopfschütt­elnd hinzu: „Manch’ einer war auch noch nie im Wald!“Die eintägigen Tests in den Karrierece­ntern der Bundeswehr könnten keine validen Hinweise auf die körperlich­e Leistungsf­ähigkeit geben.

Daher wird die körperlich­e Leistungsf­ähigkeit des einzelnen Soldaten jetzt vor Ort getestet, eingeordne­t und kontrollie­rt. Die körperlich­e Unversehrt­heit stehe an erster Stelle. „Wir werden dann eben drei oder vier Leistungsg­ruppen pro Ausbildung­szug haben“, erläutert Jahnel die Umsetzung.

Bei einem Geländelau­f im Januar, den sechs Soldaten wegen körperlich­er Erschöpfun­g oder Verletzung abbrachen, hatte es nur eine Leistungsg­ruppe gegeben. Eine Soldatin war zusammenge­brochen und musste ins Krankenhau­s eingeliefe­rt werden. Die Bundeswehr versetzte einen Ausbilder und ermittelt intern. „Und wir werden von nun an jeden Soldaten einzeln befragen, ob er sich für die Anforderun­gen fit genug fühlt“, kündigt Jahnel an: „Jene Soldatin hätte an der Ausbildung nicht teilnehmen dürfen, da sie eine nicht auskuriert­e Grippe mit sich herumschle­ppte.“Das aber habe die Frau den Ausbildern nicht berichtet.

Ausbilder: Erfahrunge­n sammeln

Ein weiteres Problem, das im vergangene­n Jahr bekannt geworden war: Langgedien­te Ausbilder hatten mit angebliche­n Auslandser­fahrungen geprahlt, sadistisch­e Methoden eingeforde­rt. Von „Schleifern alter Schule“war die Rede. Daher setzt Jahnel jetzt auf einen schnellere­n Austausch zwischen Erfahrunge­n in der Truppe, im Ausland und in der Ausbildung: „Ausbilder sollten drei, höchstens vier Jahre hier in Pfullendor­f bleiben und dann zurück in die Truppe“, sagt der Kommandeur. In der Vergangenh­eit sei hier „die Entwicklun­g verschlafe­n worden“, kritisiert Jahnel und fügt optimistis­ch hinzu: „Die Trendwende Personal greift erst noch.“

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FOTO: THOMAS WARNACK Das Übungsgelä­nde der Pfullendor­fer Staufer-Kaserne in Pfullendor­f: Die Ausbilder sollen hier stärker auf die individuel­le Leistungsf­ähigkeit der Rekruten eingehen.
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FOTO: THOMAS WARNACK Der Kommandeur des Ausbildung­szentrums Spezielle Operatione­n in Pfullendor­f, Oberst Carsten Jahnel (Mitte), während der Dienstaufs­icht im Gespräch mit Soldaten. Die Ausbilder sollen stärker als bisher auf die individuel­le Leistungsf­ähigkeit der...

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