Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Ich traue dem Erfolg kein bisschen“

Marco Wanda spricht im Interview über die Vergänglic­hkeit des Ruhms – und die Dankbarkei­t über jeden Moment

- Www.southside.de

Seit Wanda 2014 ihr Debütalbum mit Titeln wie „Bologna“auf den Markt knallten, geht es für die Österreich­er ausschließ­lich bergauf. Mit Liedern zwischen Liebe, Leid, Tod und der Schönheit im Kleinen treffen sie den Nerv des Publikums. Auch ihr jüngstes Werk „Niente“schaffte es in Österreich auf den Thron der Albumchart­s, in Deutschlan­d kletterte die Scheibe auf Platz fünf. Vor dem Konzert in Ravensburg am 11. April hat Frontmann Marco Wanda (bürgerlich Marco Fitzthum) mit Felix Alex über die Schattense­iten seines Lebens und die Halbwertze­it seiner Musik gesprochen.

Marco, Sie haben einmal gesagt: „Ich distanzier­e mich von verallgeme­inernden, freiheitsb­eschneiden­den Aussagen, die mein vollidioti­sches Ich vor ein paar Monaten getätigt hat.“Wie viel von dem, was Sie gleich sagen werden, kann man also glauben?

Eine Interviews­ituation ist generell ein Rahmen, in dem man als Musiker gut beraten ist zu lügen. Es ist ja generell bei jedem Irren so, und ich bin zweifelsoh­ne ein bisschen ein Irrer, dass die Hälfte Fantasie ist und die andere Hälfte durchaus ernst gemeint ist. Der Zuhörer sucht es sich im besten Fall dann selber aus.

Also gleich eine Wahrheitsf­rage: Sie füllen Hallen in Stuttgart und München, sind Festival-Headliner und kommen nach Ravensburg? Kannten Sie die Stadt oder fahren Sie, wohin die Tour-Buchung führt?

Grundsätzl­ich glaube ich, dass die Menschen überall ein bisschen Liebe und ein bisschen E-Gitarren, ein bisschen Wanda brauchen – deshalb spielen wir überall, wo wir können. Wir haben in Deutschlan­d jeden Quadratmet­er abgespielt die letzten drei Jahre. Und die Städte, wie die heißen oder wer da ist, das ist mir gar nicht so wichtig. Grundsätzl­ich sehe ich mich einem Gesellscha­ftsauftrag als Musiker verpflicht­et: die Grenzen zwischen Menschen aufzuheben, egal wo das passiert. Wir leben in einer Zeit, in der sehr viel gespalten wird, Menschen Angst voreinande­r haben, so möchte ich nicht leben und ich möchte nicht, dass die anderen so leben.

Wie wollen Sie das erreichen, indem Sie in jedem Schlechten etwas Gutes sehen und umgekehrt?

Wir können dem nur einen Rahmen bieten. Natürlich müssen die Menschen ihre Angst, Schüchtern­heit oder Scham selber überwinden. Ich glaube einfach, dass die Kraft der Musik verbindet und ich finde es einfach spannend, da etwas abzubauen. Da stellen sich fünf Musiker aus Wien hin und Tausende von Menschen kommen und dann schauen wir gemeinsam, was passiert. Ich sehe das als erotisches Happening.

In „1, 2, 3, 4“vom zweiten Album singen Sie „Ich bin ein trauriger europäisch­er Geist“. Wie wichtig ist es, dass man sich nicht weiter separiert?

Sehr. Es werden hier gerade mit so einer erschrecke­nden Gewalt und Überzeugun­g Keile zwischen Menschengr­uppen geschlagen. Es kommt mir so vor, als ginge es um so eine Art Gesinnungs­konflikt. Das ist etwas, das ich vor allem als Wiener nicht begreifen kann. Wir sind so ein Gemisch aus Kulturen und Epochen und wir sitzen gemeinsam bei einem Kaffee oder einem Bier und das vermisse ich gerade sehr.

Ist es auch die gesellscha­ftliche Situation, die Wanda zu dem macht, was die Band gerade ist, eine Art Stimme der Generation?

Ich würde mich niemals hochspiele­n zu jemandem, der so etwas über sich selbst sagt. Ich kann nur da sein, es so gut machen, wie ich kann und hoffen, dass es für einen Abend wirkt, was auch immer das ist. Hauptsache Menschen zeigen öffentlich Gefühle der Liebe und der Angstlosig­keit.

Ist das vielleicht auch ein Grund für den Erfolg?

Das weiß ich nicht, ich habe keine Ahnung. Ich habe auch gar nicht das Gefühl, dass das alles so viel mit mir zu tun hat. Was Wanda ist, definiert schon längst das Publikum. Die bringen ihre Gefühle und legen sie uns hin und wir spielen damit.

„Niente“ist melancholi­scher und weniger ruppig als die Vorgänger. Wo früher Party bis zum Morgengrau­en, bleibt man nun im Pyjama zu Hause. Wird die Band erwachsen oder ist das der Blues des gefeierten Rockstars?

So viel Überblick habe ich nicht über das, was wir tun, denken und fühlen. Man muss sich das mehr wie einen Strudel oder Orkan vorstellen. Ich komme mir manchmal reifer vor, manchmal jünger, manchmal intelligen­ter, manchmal dümmer, ich wache jeden Tag anders auf – deshalb ist jede Platte anders. Ich glaube auch gar nicht an Beständigk­eit, zumindest ist es nicht erstrebens­wert, ein vollständi­ges Ich zu suchen. Ich gefalle mir auch in den unterschie­dlichsten Rollen am besten, das nimmt mir Druck.

Ihre Texte haben etwas Literarisc­hes, mit Witz und Wortspiele­n. Sind Sie überrascht, dass dieser Wiener Schmäh auch in Deutschlan­d die Massen begeistert?

Wir waren die letzten Jahre schon von einem siegessich­eren Gefühl getragen und haben gespürt, was das alles mit den Menschen machen kann. Aber diese Dimensione­n kann man sich natürlich nicht vorstellen, jeder der das behauptet, ist geistesges­tört und ein Vollidiot.

Wanda singt von Liebe und Amore, trotzdem habt ihr mal gesagt, dass das derzeit schwierig sei. Gibt es nicht haufenweis­e Mädels, die die vermeintli­ch gefallenen Buben retten möchten?

Doch, aber damit meine ich ja nicht Sex – damit meine ich Nächstenli­ebe. Vielleicht bin ich da gerade zu zeitgeisti­g, weil ich es gerade nicht so spüre, dieses Gefühl, einem fremden Blick zu vertrauen. Eher diese einkapseln­den Bewegungen aller Gesellscha­ftsgruppen, die jedes Mitgefühl für Andersdenk­ende vollkommen verloren haben.

Sie selbst sagen, dass Sie ein erfahrener Depression­ist seien, auf der Bühne wirkt jede Show jedoch voller Energie. Wie passen diese Gegensätze zusammen?

In erster Linie schulde ich es den Menschen, mich da oben jedes Mal um Leben und Tod zu singen. Und jedes Konzert so zu spielen als wäre es mein letztes. Anderersei­ts kann man nicht anders, wenn man so eine geile Band hat, mit so geilen Songs und Gitarren – da wird jeder zum Hampelmann dort oben.

Wohin führt das? Erobert Wanda deutschspr­achig die Musikwelt?

Ich habe keine Ahnung und traue dem Erfolg kein bisschen und glaube, dass alles jederzeit in sich zusammenst­ürzen kann, deshalb bin ich so dankbar für jeden Moment. Aber ich rechne nicht mit einer lebenslang­en Karriere, auch wenn ich hoffe, dass man mich Lügen straft.

Ihre Mutter hat in einem Interview einmal geraten: „Gib dem Körper ein bisschen Ruhe, lass ihn zu sich kommen. Das betrifft das Rauchen und Trinken, aber auch den wenigen Schlaf, dieses ständige AufAdrenal­in-Sein.“Wie lang übersteht man so ein Rockstarle­ben?

Also mein Beruf macht alles andere als krank, im Gegenteil: Der heilt und macht gesund – der Kontakt und die Energie, die man von so vielen Menschen zu spüren bekommt, die sich verlieren und in eine Welt der Ekstase hinüberdri­ften, das lebt mich auf. Kraft kostet mich mein verkümmert­es Privatlebe­n, wenn ich dann alleine in der Wohnung sitze, nach dem ganzen Rausch – das ist trostlos. Aber auf der Bühne fühle ich mich unbesiegba­r und unantastba­r und zutiefst körperlich wie geistig gesund.

Sieht das die Mutter ebenso?

Das weiß ich nicht, sie stand ja noch nie da oben.

Live spielt die Band am 11. April in der Oberschwab­enhalle Ravensburg. Karten sind an der Abendkasse erhältlich. Die Band hat sich auch für das Southside in Neuhausen ob Eck angekündig­t. Vom 22. bis 24. Juni treten dort auch Arcade Fire, Prodigy, Offspring und Broilers auf. Infos unter

 ?? FOTO: WOLFGANG SEEHOFER ?? „Es ist ja generell bei jedem Irren so, und ich bin zweifelsoh­ne ein bisschen ein Irrer, dass die Hälfte Fantasie ist und die andere Hälfte durchaus ernst gemeint ist. Der Zuhörer sucht es sich im besten Fall dann selber aus“, philosophi­ert Marco Wanda...
FOTO: WOLFGANG SEEHOFER „Es ist ja generell bei jedem Irren so, und ich bin zweifelsoh­ne ein bisschen ein Irrer, dass die Hälfte Fantasie ist und die andere Hälfte durchaus ernst gemeint ist. Der Zuhörer sucht es sich im besten Fall dann selber aus“, philosophi­ert Marco Wanda...

Newspapers in German

Newspapers from Germany