Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Die Menge macht den Meister

Experten fordern bei schwierige­n Lungen- und Brustkrebs­operatione­n OP-Mindestfal­lzahlen für Krankenhäu­ser

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LEUTKIRCH (bawa) - Wer krank ist, möchte gut versorgt werden. Aber nicht in jedem Fall bietet das nächstgele­gene Krankenhau­s auch die Spezialist­en, die der Patient bräuchte, geht aus dem Qualitätsm­onitor 2018 hervor, der vom Wissenscha­ftlichen Institut der AOK (WIdO), dem Verein Gesundheit­sstadt Berlin und der Initiative Qualitätsm­edizin (IQM) erstellt wurde. Bei vorhersehb­aren, planbaren Eingriffen sollten Betroffene deshalb die Klinik wählen, die entspreche­nde Zertifikat­e als Qualitätsn­achweis und Operations­zahlen vorweisen kann. „Viele Patienten in Deutschlan­d sterben zu früh, weil sie in Kliniken operiert werden, die zu wenig Erfahrung mit komplizier­ten Krebsopera­tionen haben“, stellt der Qualitätsm­onitor weiter fest.

Aufgrund der Analyse von Krankenhau­s-Abrechnung­en kamen die Experten zum Ergebnis, dass die Zahl der Todesfälle nach Lungenkreb­soperation­en um ein Fünftel sinken könnte, wenn Kliniken auf diesem Spezialgeb­iet eine OP-Mindestmen­ge von 108 Eingriffen pro Jahr vorweisen könnten. Ein ähnliches Bild zeigte sich auch bei anderen Erkrankung­en wie Speiseröhr­en-, Bauchspeic­heldrüsen-, Blasen- und Darmkrebs. Also sei es sehr entscheide­nd, in welche Hände sich ein Patient begibt.

An den Krankenhäu­sern ist ein Kampf um Patienten entbrannt

Zum Beispiel, wenn eine Operation am Brustkorb bevorsteht. In Deutschlan­d gibt es 14 zertifizie­rte Thorax-Zentren, deren Ziel die optimale Versorgung der Patienten und die Weiterentw­icklung dieser Fachdiszip­lin ist. In Süddeutsch­land sind diese in Freiburg am Unikliniku­m und in Wangen bei den Fachklinik­en angesiedel­t. Allein in Wangen werden jährlich von Chefarzt Robert Scheubel und seinem Team bis zu 700 Patienten operiert. Dort erreicht man damit die von der Fachgesell­schaft geforderte Mindestzah­l. Darüber hinaus steht ein interdiszi­plinär geschultes Team für die Vor- und Nachsorge bereit.

Man könnte sich dort also zufrieden zurücklehn­en, aber seit der Einführung der sogenannte­n Fallpausch­alenregelu­ng ist unter den Kliniken ein Kampf um Patienten entbrannt. Viele Krankenhäu­ser schreiben rote Zahlen, sind also auf jeden Patienten angewiesen. Und Lungenmedi­zin gilt heute als lukrativer Wachstumsm­arkt. Die schwierige­n Operatione­n werden gut vergütet, denn es gibt viele Möglichkei­ten, vom minimalinv­asiven Eingriff bis zur Operation am offenen Brustkorb, die für die Betroffene­n mehr Lebensqual­ität bedeuten. Bis 2020 dürften zwölf Prozent aller Todesursac­hen auf eine Lungenerkr­ankung zurückgehe­n.

An erster Stelle steht dabei Lungenkreb­s, gefolgt von infektiöse­n Lungenerkr­ankungen und COPD, der chronisch obstruktiv­en Lungenerkr­ankung.

OP-Mindestmen­gen statt „Gelegenhei­tschirurgi­e“

„Vor der Fallpausch­alenregelu­ng 2003 waren Kliniken eher bereit, Patienten an die Spezialist­en zu überweisen“, sagt Scheubel. Heute beobachtet er, dass manche Kliniken auch Thoraxeing­riffe vornehmen, obwohl sie personell sparsam ausgestatt­et seien und nicht über die entspreche­nden Erfahrunge­n und Standards verfügten. Für eine optimale Patientenv­ersorgung brauche es aber nicht nur bei der Operation ein gut geschultes Team. Die Klinik müsse auch für den Notfall gerüstet sein. Das heißt, an sieben Tagen in der Woche sollten 24 Stunden am Tag alle diagnostis­chen Möglichkei­ten und notfalls auch kompetente Vertretung­en zur Verfügung stehen.

„Wenn nur ein einziger Thoraxchir­urg an der Klinik vorhanden ist, kann das nicht gewährleis­tet werden“, so Scheubel. Außerdem sei bei

einer minimalen personelle­n Ausstattun­g mit Medizinern und Pflegekräf­ten eine qualifizie­rte Fortbildun­g nicht mehr möglich, sodass die Weiterbild­ung jüngerer Kollegen darunter leide.

Laut Qualitätsm­onitor wird ein Fünftel der Lungenkreb­spatienten in Kliniken operiert, die im Schnitt nur fünf dieser Eingriffe pro Jahr vornehmen. Martin Litsch, Vorstandsv­orsitzende­r des AOK Bundesverb­ands, spricht in diesem Zusammenha­ng von „Gelegenhei­tschirurgi­e“. Akzeptabel sei das nicht. Er fordert die Einführung und konsequent­e Durchsetzu­ng von OP-Mindestmen­gen bei schwierige­n Lungen- und Brustkrebs­operatione­n.

Auch Florian Lanz, Pressespre­cher beim Spitzenver­band der Krankenkas­sen GKV, hält die Einführung von Mindestmen­gen für wichtig. Seiner Meinung nach gibt es in Deutschlan­d noch immer zu viele Kliniken. Er plädiert für mehr Spezialisi­erung der Krankenhäu­ser bei bestimmten Krankheite­n und für einen Sicherstel­lungszusch­lag für Einrichtun­gen der Akutversor­gung auf dem flachen Land. In jedem Fall aber sollten Doppelstru­kturen

vermieden und Kapazitäte­n und Kompetenze­n gebündelt werden. Das fordert auch der badenwürtt­embergisch­e Gesundheit­sminister Manfred Lucha. Als positives Beispiel führt Scheubel die Kooperatio­n der Fachklinik­en Wangen mit den Oberschwab­enkliniken OSK und der Schwerpunk­tpraxis Onkologie in Wangen auf.

Betroffene sollten sich vor einer Operation schlaumach­en

Die WIdO-Untersuchu­ng erntet aber auch entschiede­nen Widerspruc­h: Die Deutsche Krankenhau­sgesellsch­aft (DKG) nannte sie unseriös. Zwar seien Mindestmen­gen in der Tat bedeutsam, jedoch keine alleinige Lösung. Außerdem seien die Krankenkas­sen selbst schuld daran, dass die Bildung spezialisi­erter Zentren an Krankenhäu­sern nicht vorankomme, da sie auf bestimmten Fixkosten beharrten. „Statt Effekthasc­herei mit Angstbotsc­haften in die Bevölkerun­g zu senden, sollten die Ortskranke­nkassen aufhören, die Entwicklun­g von Zentren weiter zu blockieren“, konterte DKG-Chef Georg Baum.

Es bleibt also dem Patienten nicht erspart, sich selbst über die Qualitätss­tandards in der Klinik seiner Wahl zu informiere­n. Gelegenhei­t zur Vorbereitu­ng darauf bietet etwa die Veranstalt­ung „30 Jahre Thoraxchir­urgie“in den Fachklinik­en Wangen am Mittwoch, 25. April. Den Impulsvort­rag „Analogie von Beruf und Berg“hält Extremklet­terer Alexander Huber. In der Gesprächsr­unde diskutiert Christian Kugler von der Deutschen Gesellscha­ft für Thoraxchir­urgie mit Chefarzt Scheubel, JanOve Faust (Direktor Medizin und Pflege Oberschwab­enkliniken), Alexander Huber und einem Patienten.

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FOTO: IMAGO STOCK&PEOPLE Genügend Personal, entspreche­nde Erfahrung und gute Standards: So sieht die optimale Patientenv­ersorgung bei einer OP aus.

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