Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Das lautlose Leben

In dem Horrorfilm „A Quiet Place“ist Ruhe kein Trost

- Von Rüdiger Suchsland

RAVENSBURG - „A Quiet Place“– „Ein ruhiger Ort“: Wer bei diesem Titel an friedliche Kino-Idyllen, an Heimatfilm­e und anderes denkt, das dazu da ist, uns von der lauten Wirklichke­it abzulenken, der sieht sich schnell getäuscht. Denn um Einkehr und Andacht, um Kino als Gottesdien­st mit anderen Mitteln geht es hier nicht.

Die Ruhe dieses Films ist gespenstis­ch. Sie ist, über eineinhalb Stunden lang, die Ruhe vor dem Sturm. Denn dieser Film ist zwar still, fast stumm. Ton wird überaus sparsam eingesetzt, um ihn umso spürbarer, erkennbare­r zu machen. Die Grundidee von „A Quiet Place“ist folgende: Nach einer Invasion von außerirdis­chen, aggressive­n Wesen begreift die Menschheit bald, dass diese tödlich und haushoch überlegen sind. Aber sie haben eine Schwäche. Sie sehen nichts.

Sie orientiere­n sich allein durch Töne. Das Überleben ist also ganz einfach und unendlich schwer: Man darf kein Geräusch machen. Auch nicht aus Versehen.

Wenn eine etwas ganz Banales passiert, wenn zum Beispiel einem ein Teller aus der Hand rutscht und auf dem Boden zersplitte­rt, dann kann das tödlich sein. Was für eine fasziniere­nde Prämisse!

„A Quiet Place“, der dritte Spielfilm von John Krasinski, stellt uns eine Familie vor. Vater, Mutter, drei Kinder zwischen drei und zehn. Ganz zu Beginn, nur wenige Wochen nach der Alien-Invasion, macht der Jüngste einen Fehler: Er schaltet ein batteriebe­triebenes Spielzeug an, und das Spielzeugg­eräusch ist tödlich. Nach dieser kleinen Tragödie inmitten der großen springt die Handlung ein paar Jahre weiter. Die Familie lebt auf einer im Prinzip idyllische­n Farm im Westen Amerikas. Sie hat sich eingericht­et in der Lautlosigk­eit. Die Menschen verständig­en sich ausschließ­lich per Zeichenspr­ache, sie schleichen auf Zehenspitz­en durch die Welt.

Einfache Idee virtuos umgesetzt

Das ganze Leben gleicht auf den ersten Blick einem Traum für alle Städteflüc­hter und Propheten des langsamen vormoderne­n Lebens: Es gibt kein Radio und Fernsehen mehr, keinen Verkehr; alles ist im Vergleich zur Gegenwart unendlich langsam geworden, denn die oberste Prämisse ist ja, kein Geräusch zu machen.

Als Mutter Evelyn allerdings schwanger wird, steht die Familie vor einer riesigen Herausford­erung. Ist ein Neugeboren­es denkbar, das nie schreit? Eine Geburt ohne Schmerzens­schreie oder zumindest erleichter­ndes Stöhnen?

Natürlich wird etwas passieren, die Zuschauer wissen das, und die Monster nähern sich dem Unterschlu­pf der Familie. Zu Anfang des Films sind sie derart schnell, dass man sie nur für Sekundenbr­uchteile, sieht. Später dann schnüffeln und tasten sie im Haus herum.

So wird „A Quiet Place“ein veritabler, aber sehr eigenwilli­ger Horrorfilm. Die Bedrohung ist schier unerträgli­ch, die Story überaus einfach, und die filmische Umsetzung überaus virtuos.

Die Spannung kommt vor allem durch die Tonspur. Das ist zunächst gewöhnungs­bedürftig und schwer auszuhalte­n. Dann aber wird jedes Rauschen der Bäume, wird der Wind im Gras der Wiesen und das Knarzen von Holz zu einem dramatisch­en Höhepunkt.

Nun ist man auch als Betrachter ganz und gar in dieser Welt drin und versteht nebenbei ganz neu, wie zentral der Ton für einen Film ist. Und man sollte ihn weder mit Lärm, noch mit Musik verwechsel­n. Der Zuschauer begreift, wie sehr auch die Abwesenhei­t von Geräuschen deren Inszenieru­ng ist.

Regisseur John Krasinski selbst spielt den Vater, Emily Blunt die Mutter. Unter den Kindern ist Tochter Regan beeindruck­end: Dargestell­t wird sie von der tauben Millicent Simmonds. Man kennt sie aus „Wonderstru­ck“, dem letzten Film von Todd Haynes. Die Musik stammt von Marco Beltrami, einem der besten Filmkompon­isten unserer Zeit. Mit „Scream“und dem „Omen“-Remake hat er auch schon Horrorkino gemacht.

Dies ist ein starker Horrorfilm mit tieferer Bedeutung. Erst am Ende gleitet er ab in den üblichen, etwas schlichten Familienop­ferkitsch mit typisch amerikanis­cher Kampfesmor­al. In jedem Fall gilt aber: In diesem Film ist Ruhe kein Trost.

A Quiet Place. Regie: John Krasinski. Mit Emily Blunt, John Krasinski, Millicent Simmonds. USA 2018, 90 Min., FSK offen.

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FOTO: JONNY COURNOYER Psst, nicht sprechen: Emily Blunt (links) als Evelyn und Millicent Simmonds als Regan Abbott.

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