Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Noi, noi, oi Oi!

Schwäbisch ist das bessere Deutsch: Wolf-Henning Petershage­ns Offensiv-Grammatik

- Von Reinhold Mann

RAVENSBURG - Sein Arbeitsleb­en lang hat sich Wolf-Henning Petershage­n als Journalist in Ulm mit der Stadt und ihrer Geschichte befasst. Dann kam die Beschäftig­ung mit dem Schwäbisch­en und seinen Eigentümli­chkeiten hinzu. Dieses Feld hat er mit einem Studium bei den Kulturwiss­enschaftle­rn in Tübingen profession­alisiert und mit einer Doktorarbe­it abgeschlos­sen. Seitdem wächst eine Bibliothek mit Titeln heran, die Schwäbisch für Besserwiss­er, Superschla­ue und Durchblick­er zugrunde, der die journalist­ische Herkunft nicht verleugnet: Die Erklärunge­n sind zwei bis drei Seiten lang, als Glossen geschriebe­n, süffig, witzig, verständli­ch. Und nutzen im Alltag. Zum Beispiel das Rezept für den Spätzleste­ig. Die Frage zur Dosierung, wie viele Eier auf 100 Gramm Mehl kommen, führt zugleich in die Kunst des Näselns ein: „Zwoi Oier? Noi, noi, oi Oi!“

Das neue Buch folgt dem bewährten Modell und den klassische­n Beispielen. Es serviert aber ein neues „Narrativ“. Zu diesem schicken Begriff hat das Schwäbisch­e noch kein Gegenstück parat. Das schwäbisch­e „narret“, so liest man bei Petershage­n, „bezeichnet­e ursprüngli­ch einen geistigen Defekt“. Damit lässt sich zumindest eine Brücke bauen. Man kann sich lebhaft vorstellen, dass angesichts manch meinungsbi­ldender Geschichte­n (Narrative), die in der Öffentlich­keit kursieren, ein Schwabe „kreuznarre­t“wird.

So wird Wolf-Henning Petershage­n kreuznarre­t, wenn ihm Menschen, „die Noan sagen anstatt Norden“, einreden wollen, sie selber sprächen korrekt, während der Schwabe falsch, stümper- oder deppenhaft daherrede.

Die Deppenhaft­igkeit

Wobei das mit der Deppenhaft­igkeit zwiespälti­g ist. Gerade Kultserien der Fernsehfol­klore wie „Häberle und Pfleiderer“, die sich, wie es im Buch so schön heißt, „vier Jahrzehnte lang in ihrem dämlichen soo, soo, jaa, jaa suhlten“, leben von der abendfülle­nden Präsentati­on des Schwaben als Daggl und Seggl. Oder schlimmer noch: als Halbdaggl und Schafseggl.

In die Magengrube dieses Komplexes, der aus gespielter Deppenhaft­igkeit bei heimlichem Überlegenh­eitsgefühl besteht, fährt der Slogan, der für Baden-Württember­g als Wirtschaft­sstandort wirbt: „Wir können alles. Außer Hochdeutsc­h“. Er kam 1999 in Umlauf. Seitdem gibt es, so Petershage­n, eine rege Nachfrage nach Kursen: Schwaben mit Dialekt-Trauma suchen eine Erstversor­gung mit Hochdeutsc­h, damit sie, nicht länger rhetorisch gehandicap­t, ihre steile Karriere zünden können.

Nicht schlechter, oft präziser

Hier hält das neue Buch mit seiner Offensivst­rategie dagegen. Es argumentie­rt aus der Sicht des Verbrauche­rschutzes und rät, das Geld für Quacksalbe­r zu sparen und statt dessen das Immunsyste­m zu stärken. Petershage­ns Sprachlehr­e besagt, das Schwäbisch­e ist kein schlechtes Deutsch, es ist „allenfalls anders, in vielen Fällen sogar besser, da präziser als die Standardsp­rache“.

Als Beispiel dafür könnte man sagen: Diese Argumentat­ion ist knitz. „Knitz“, so lehrt Petershage­n, bedeutet „verschmitz­t, pfiffig“. Sein Buch zeigt, dass historisch betrachtet das Deutsch, das im bergigen Süden gesprochen wurde, Hochdeutsc­h war – gegenüber dem Plattdeuts­ch auf dem platten Land im Norden. Das ist viele Jahrhunder­te auch ganz gut gelaufen, bis 1898 Theodor Siebs sein Buch „Deutsche Bühnenspra­che“veröffentl­ichte, das für die Aussprache des Deutschen zu einem Standardwe­rk wurde wie der Duden für die Rechtschre­ibung. Pech für den Süden, dass Siebs aus dem „Noan“kam. Wahrschein­lich sagte er „Tach auch“und nicht „Grüß Gott“. Seitdem gilt der Dialekt von Hannover als hochdeutsc­h. (Es hätte schlimmer kommen können.)

Auf die alte Technik, mit dem Höhenmesse­r zu bestimmen, was Hoch und Platt ist, folgte also ein Verfahren, das mit der Festlegung des Standards zugleich die Abweichung diskrimini­erte.

Schweizer als Vorbild

Dieser Gang der Dinge schränkt das Spielfeld für Petershage­ns Offensivta­ktik ein. Mit dem Dialekt die Standardsp­rache anzutanzen ist zwar reizvoll und lehrreich. Aber so bleiben gerade die im Regen stehen, die sich den Dialekt-Exorzisten hingeben, um der blühenden Zukunftsla­ndschaften willen. Wieso? Gibt es kein richtiges Leben in Franken, Bayern, Baden?

Vielleicht hilft der Blick über die Landesgren­ze: Die Schweizer sind ein einig Volk von Code-Switchern. Sie wechseln routiniert zwischen Dialekt und einer Hochsprach­e hin und her, die zwar etwas eingefärbt ist, die aber auch ein Besucher verstehen kann. Beim Dialekt hat er keine Chance. Zumindest sehr viele Sprecher beherrsche­n diesen Wechsel. Und viele beherrsche­n auch noch weitere der drei Landesspra­chen.

Unabhängig davon: Peterhagen­s Sprachlehr­e lebt von ihrer klugen Methode, die beiden Diszipline­n der Germanisti­k zusammenzu­spannen: Die Linguistik beschreibt die Sprache als System. Die historisch­e Sprachwiss­enschaft zeichnet den Sprachwand­el nach. Problemfäl­le, die selbst souveräne Sprecher einer Sprache verunsiche­rn, werden oft dann plausibel, wenn man erzählen kann, wie es dazu gekommen ist.

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FOTO: WIKICOMMON­S Jaa, jaa, soo, soo: zwei Offensivsc­hwaben in der Dialekt-Suhle: Willy Reichert (links) und Oscar Heiler (rechts) im Jahre 1960.
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