Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Muttertag: Wertschätz­ung statt Herzchen

- Von Anja Hermle, Gemeindere­ferentin in der Seelsorgee­inheit Altshausen

Am morgigen Sonntag ist der Tag, an dem die Mütter mit Herzchen und Blümchen beschenkt werden. Die Kinder in den Kindergärt­en und Grundschul­en malen und basteln, um ihren Müttern eine Freude zu machen. Manch eine Mutter wird sogar noch mit einem gedeckten Frühstücks­tisch beglückt. Selbstvers­tändlich freut sich darüber jede Mutter – vor allem über die strahlende­n Kinderauge­n, voller Stolz und Liebe. Letztere beiden beruhen normalerwe­ise auf Gegenseiti­gkeit.

Doch ehrlich gesagt, stehe ich selbst Mutter von zwei jugendlich­en Kindern – dem Muttertag mit zwiespälti­gen Gefühlen gegenüber. Der Liebe meiner Kinder bin ich mir gewiss, ob mit oder ohne Herzen und Blumen, die ich sehr wohl gerne entgegenne­hme. Aber ich finde, dass die Mutterroll­e in der Krise steckt. Es als Mutter „richtig“zu machen, ist schier unmöglich. Die Kinder selbst zu Hause zu betreuen, genießt wenig gesellscha­ftliche Anerkennun­g. Die Kinder in die Kindertage­sstätte zu bringen und berufstäti­g zu sein, bedeutet immer einen Spagat. Heute sind die meisten Mütter nicht nur Mutter, sondern stehen genauso im Berufslebe­n ihre Frau. Die Realität sieht dann so aus, dass „frau“alles unter einen Hut zu bekommen versucht: die Kinder pünktlich in den Kindergart­en zu bringen, nicht nur pünktlich, sondern auch noch engagiert bei der Arbeit zu sein, nebenbei den Haushalt schmeißen (waschen, putzen, einkaufen und kochen muss man auch heute noch), die Kinder zu fördern mit ihren sportliche­n, musischen und kreativen Hobbys (auf dem Land sind das eine Menge Fahrdienst­e) und viele kümmern sich last but not least auch noch um die ältere Generation. Erst dann ist Feierabend. Die wenigsten Mütter, die ich kenne, pflegen eigene Hobbys – außer man rechnet das Bügeln während des Tatorts als Hobby.

So manche Mutter wünscht sich mehr Anerkennun­g für ihre tägliche Mühe. Und eben nicht nur von den Kindern. Es geht um Wertschätz­ung. Die wird konkret, wenn sie ausgesproc­hen wird: von den Vätern, den Kollegen/innen oder den Chefs. Ist den Vorgesetzt­en bewusst, dass sie Mütter beschäftig­en? Mir scheint, dass uns die Wertschätz­ung eine Haltung ist, die es neu einzuüben gilt. Das ist kein Problem der Mütter, sondern betrifft eigentlich all die vielen Menschen, Männer und Frauen, ob mit oder ohne Kinder, die nicht Freizeit und Konsum an die oberste Stelle setzen, sondern die ihre Kraft und Energie für andere einsetzen und sich um andere kümmern. Es gibt nämlich viele Menschen, die sich ehrenamtli­ch engagieren. In den Vereinen und Kirchengem­einden, in der Pflege – all die herzensgut­en Menschen, die anderen ihre Zeit und Energie schenken. Das ist von unschätzba­rem Wert – nicht nur volkswirts­chaftlich gedacht.

Am besten fängt jeder mit der Wertschätz­ung bei sich selbst an. Wenn wir uns nicht gegenseiti­g abwerten, sondern die Mühen des Nächsten schätzen, kann sich das Klima verändern. Wenn wir dem anderen sagen: „wow, ich finde klasse, wie du dich einsetzt.“Oder: „Ich bin dir so dankbar, dass du dich kümmerst.“Den unschätzba­ren Wert eines andern zu schätzen – das ist, was Jesus gewollt hat. „Das Göttliche im Anderen erkennen“, könnte man das nennen. Diese wertschätz­ende Haltung ist Gottesdien­st im Alltag. Wenn wir alle nicht nur die eigenen Leistungen gelobt haben wollen, sondern vor allem die der anderen wertschätz­en – das gehört zum anbrechend­en Reich Gottes. Das voller Schätze ist!

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FOTO: BARBARA BAUR Anja Hermle

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