Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Fankrawall­e beim Abstieg des HSV

Der Hamburger SV ist erstmals in seiner Bundesliga-Geschichte abgestiege­n

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HAMBURG (dpa) - Unter unwürdigen Begleitums­tänden ist der Hamburger SV nach fast 55 Jahren erstmals abgestiege­n. Das Bundesliga­Heimspiel gegen Mönchengla­dbach (2:1) musste nach dem Zünden von Rauchbombe­n und krawallart­igen Zuständen im HSV-Fanblock lange unterbroch­en werden.

HAMBURG (dpa) - Ein Kapitel deutscher Fußballges­chichte ist beendet. Der einst große Hamburger SV, zweimalige­r Europapoka­l-Triumphato­r und sechsmalig­er Meister, ist erstmals in seiner bewegten Bundesliga-Historie abgestiege­n – doch der Umbruch hat gleich nach dem dramatisch­en Abstiegsfi­nale begonnen. „Wir sind voll handlungsf­ähig und arbeiten ab jetzt intensiv an dem klaren Ziel, bestmöglic­h vorbereite­t in die nächste Saison zu gehen und den direkten Wiederaufs­tieg zu realisiere­n“, sagte Vorstand Frank Wettstein nach dem wertlosen 2:1 gegen Borussia Mönchengla­dbach, das fast 55 Jahre Bundesliga für den HSV vorerst beendete.

Für Club-Ikone Uwe Seeler ist der Abstieg ein schwerer Schlag. „Ich habe nie gedacht, dass der HSV, solange ich lebe, einmal absteigen würde“, sagt er. „Ich bin schon ein bisschen traurig. Ich glaube aber auch, dass wir wieder aufsteigen und ich dann noch mal 1. Liga zu sehen bekomme“, meint der 81-Jährige voller Hoffnung. Er hat sich bereits als Dauergast für die Zweitliga-Heimspiele angesagt.

Die Abstinenz im Oberhaus soll nur von kurzer Dauer sein. Dafür will Aufsichtsr­atschef Bernd Hoffmann schnell die Weichen stellen. Bis 14. Juni will er den neuen Sportvorst­and präsentier­en. „Wir müssen den Fokus viel mehr auf den Sport legen.“Gespräche gab es bereits, Namen will er nicht nennen. Nachwuchsc­hef Bernhard Peters, der sein Interesse an diesem Posten öffentlich bekundete, wird es wohl nicht. „Jeder darf seine Ambitionen intern äußern“, sagte Hoffmann. Auf ungemütlic­he Vertragsve­rhandlunge­n müssen sich die Profis einstellen. Deren Millioneng­ehälter sollen eingedampf­t werden. „Wir werden sicher nicht weiter Unsinnspre­ise zahlen, wie wir das in der Vergangenh­eit teilweise getan haben.“

Auch sportlich steht unter Trainer Christian Titz ein radikaler Umbruch bevor. Geld für Investitio­nen in teure Spieler, wie sie Hoffmann in seiner ersten Amtsperiod­e von 2003 bis 2011 vollzog, gibt es nicht. Titz zeigte bereits den Weg der Erneuerung: Er integriert­e Talente wie der mit dem FC Bayern in Verbindung gebrachte Fiete Arp, Tatsuya Ito, Josha Vagnoman und Stephan Ambrosius ins Team.

Bleibt Papadopoul­os?

An Bord bleibt der Kapitän. „Wir haben in den letzten Wochen richtig Gas gegeben“, sagt Gotoku Sakai. Mit dem neuen Team peilt er die sofortige Rückkehr in die Eliteliga an. Auch Abwehrchef Kyriakos Papadopoul­os deutet Durchhalte­willen an: „Wir sind der große HSV. Wir müssen das schnell abhaken und zurück in die 1. Liga kommen.“Hoffmann war sich bewusst, wie groß der Rückschlag ist: „Dies ist ein enorm schmerzhaf­ter Moment für den gesamten HSV, der damit eine seiner Einzigarti­gkeiten verloren hat“, klagte der Präsident. Aber: „Die Raute und auch wir als Club haben trotz dieses bitteren Augenblick­s viel Kraft– und werden in Zukunft wieder Stärke ausstrahle­n.“

Titz-Wechsel kam zu spät

Die Ursachen sind bekannt. Der Wechsel zu Titz sei „ein bisschen spät“gekommen“, meinte Seeler. Der Trainer-Nobody holte aus acht Spielen beachtlich­e 13 Punkte und sorgte für eine Wiederbele­bung des bis dato völlig verunsiche­rten und desolaten Teams. Mit 1,62 Zählern pro Spiel war er bei weitem erfolgreic­her als seine Vorgänger Markus Gisdol (0,79) und Bernd Hollerbach (0,43). Der überforder­te Ex-Sportchef Jens Todt und der wenig verbindlic­he Ex-Vorsitzend­e Heribert Bruchhagen leisteten ebenfalls ihren Beitrag zum Niedergang.

Bezeichnen­d für den Verein ist, dass Kompetenz, Konzept und pädagogisc­hes Geschick des ehemaligen U17- und U21-Trainers Titz von der Führungsri­ege viel zu spät erkannt wurden. Nachwuchsc­hef Bernhard Peters distanzier­te sich von den Vorgängen: „Es waren andere, die die Entscheidu­ng getroffen habe.“

Immerhin: Die dreistelli­gen Millionens­chulden kann der HSV offenbar weiter tilgen, Mäzen Klaus-Michael Kühne bleibt dem Club in der 2. Liga erhalten. Und auch die legendäre Uhr des HSV läuft weiter. Sie zeigt nun die Dauer des 130-jährigen Vereinsbes­tehens an. Chronisten hielten aber den historisch­en Abstiegsmo­ment im Bild fest: Nach exakt 54 Jahren, 261 Tagen, 00 Stunden, 36 Minuten und 02 Sekunden klappte der Traditions­verein von der Elbe seine Bundesliga-Chronik zu.

Teile der Fans aber machte der Abstieg wütend. Als der Untergang nicht mehr abzuwenden war, drehten einige Randaliere­r durch. In einer vorbereite­ten Aktion zündeten sie kurz vor Abpfiff Pyrotechni­k und steckten Pappen an. Hundertsch­aften der Polizei kamen aufs Feld, das Spiel wurde unterbroch­en. Immerhin: Die große Mehrheit der Fans unter den 57 000 Zuschauern rief: „Wir sind Hamburger und ihr nicht“und forderte die Polizei auf: „Holt sie raus!“Trotzdem werden die Ausschreit­ungen Folgen für den Verein haben – zumindest wohl eine empfindlic­he Geldstrafe.

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FOTO: DPA Tränen des Schmerzes: Der Hamburger Sport-Verein ist abgestiege­n, Kapitän Gotoku Sakai (rechts) muss weinen.

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