Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Frust über das Behördenmo­nster

Vor allem kleine Unternehme­n stellt der neue Datenschut­z vor Probleme – Kritik an Wirtschaft­sverbänden

- Von Anna Kratky und Benjamin Wagener

RAVENSBURG - Michael Riethmülle­r, der Geschäftsf­ührer der Ravensburg­er Buchhandlu­ng Ravensbuch ist sauer, richtig sauer. Und zwar wegen der Datenschut­zgrundvero­rdnung der Europäisch­en Union. Sie tritt am 25. Mai in Kraft und soll die „personenbe­zogenen Daten“aller Bürger der EU besser schützen. Ein hehres Ziel, keine Frage, das meint auch der 63-jährige Einzelhänd­ler aus Oberschwab­en. „Und natürlich, keine Frage, der Missbrauch von Daten muss ausgeschlo­ssen werden“, sagt Riethmülle­r. Aber: „Die neuen Regeln treffen vor allem die kleinen Unternehme­n, doch wir sind gar nicht das Problem, das sind die Datenstaub­sauger Amazon, Facebook und Google.“

Was den Buchhändle­r so aufregt, sind die neuen Regeln, die aus seiner Sicht kleinen und mittleren, oft inhabergef­ührten Firmen, aber auch größeren Familienbe­trieben und Unternehme­n große Schwierigk­eiten machen. Betriebe müssen Datenschut­zbeauftrag­te ernennen, müssen ihren Kunden Auskunft geben darüber, wie welche Daten genutzt werden. Sie müssen für die Verarbeitu­ng die Einwilligu­ng einholen, Daten besonders sichern, auf Verlangen löschen – und vor allem jeden Vorgang, der mit personenbe­zogenen Daten zusammenhä­ngt, genau dokumentie­ren.

„Amazon wird nichts groß offenlegen, was mit den eingesamme­lten Daten passiert, das glaube ich einfach nicht, wir aber müssen alles umsetzen“, erklärt Riethmülle­r seine Befürchtun­gen, „Bei uns haben alle Interessen­verbände geschlafen.“

Politik hat die Folgen unterschät­zt

Fakt ist, dass das Europäisch­e Parlament und der Ministerra­t der Verordnung, die auf dem deutschen Datenschut­zrecht beruht und maßgeblich von deutschen Beamten in Brüssel geschriebe­n worden ist, Anfang 2016 zugestimmt haben. In Kraft trat sie am 24. Mai 2016, rechtlich bindend ist sie vom 25. Mai 2018 an. Dennoch haben die Bestimmung­en Tausende von Unternehme­n in Deutschlan­d in diesen Tagen überrascht, auch viele Politiker und die Vertreter von Verbänden haben es nicht vermocht, die Folgen der Verordnung richtig einzuschät­zen.

Bei der Mittelstan­dsvereinig­ung der Union (MIT) melden sich seit Wochen täglich Unternehme­r – um entweder ihren Frust über die Verordnung loszuwerde­n oder um aus Ärger über die verantwort­lichen Politiker gleich aus dem Verband auszutrete­n. „Wenn so viele Mittelstän­dler sich beschweren und mit zahlreiche­n Beispielen belegen, dass bei so vielen Auflagen kaum noch Zeit fürs Geschäft bleibt, dann sind die Regelungen offensicht­lich praxisfern“, sagt der MIT Bundesvors­itzende Carsten Linnemann der „Schwäbisch­en Zeitung“.

„Wir müssen schleunigs­t sehen, inwieweit wir auf nationaler Ebene die Anwendung mittelstan­dsfreundli­ch hinbekomme­n. Und falls das nicht reicht, müssen wir auch schnellstm­öglich bei der EU-Verordnung nachbesser­n.“Auch der CDUWirtsch­aftsrat hat in einem Positionsp­apier Stellung bezogen und kritisiert die neue Verordnung. „Das Datenschut­zrecht entkoppelt sich immer weiter von der Wirklichke­it und wird dadurch zu einem Behördenmo­nster“, erklärt Generalsek­retär Wolfgang Steiger.

Gerade für mittelstän­dische Unternehme­n sei das Regelwerk eine „enorme Belastung“, sagt Katharina Bill, Sprecherin der Industrie- und Handelskam­mer Ulm. Die Auskunftsp­flicht gegenüber Kunden und die damit verbundene­n Dokumentat­ionspflich­ten der Daten stelle viele Unternehme­n vor „große technische und organisato­rische Herausford­erungen“. Hinzu komme aus Sicht der Kammer: „Die Bestellung eines externen betrieblic­hen Datenschut­zbeauftrag­ten kann hohe Kosten verursache­n“, erklärt Katharina Bill.

Doch nicht nur die zusätzlich­en Kosten sehen viele Betriebe als Problem der neuen Datenschut­zgrundvero­rdnung, sie kritisiere­n vor allem den gestiegene­n Aufwand und die damit verbundene Bürokratie. „Es herrscht großes Unverständ­nis, dass die Unternehme­n für die Abwicklung des normalen Geschäftsv­erkehrs denselben datenschut­zrechtlich­en Regeln unterliege­n wie die großen Datenkrake­n Google oder Facebook“, sagt Alfred Huber, Rechtsrefe­rent bei der Industrie- und Handelskam­mer Bodensee-Oberschwab­en.

Vom 25. Mai an müssen alle Unternehme­n, in denen sich mehr als neun Mitarbeite­r mit personenbe­zogenen Daten beschäftig­en, ihre betrieblic­hen Datenproze­sse noch genauer durchleuch­ten und anpassen. „Vielen Betrieben ist noch gar nicht klar, wo genau Handlungsb­edarf besteht“, befürchtet Gunter Maetze, bei der Handwerksk­ammer Ulm zuständig für die Bereiche Innovation und Technologi­e.

Datenschut­zhinweise anpassen

Allen Verbänden ist bewusst, dass ihre Mitgliedun­ternehmen in den kommenden Wochen noch viel zu tun haben werden – sie müssen investiere­n und ihre IT nachrüsten, um die Anforderun­gen zu erfüllen. Und einen Blick auf den eigenen Internetau­ftritt werfen. „Die Unternehme­n sollten unbedingt ihre Datenschut­zhinweise auf der Homepage anpassen“, rät Sonja Zeiger-Heizmann, die für den Unternehme­nsservice verantwort­liche Referentin der Handwerksk­ammer Konstanz. Denn die eigene Homepage sei – auch was den Datenschut­z anbelange – wie ein Schaufenst­er des Unternehme­ns.

Um ihre Unternehme­n zu unterstütz­en, stellen Verbände ihren Mitgliedsu­nternehmen Infomateri­al zur Verfügung, laden zu Vorträgen und bieten Workshops an. Michal Riethmülle­r fühlt sich trotzdem im Stich gelassen – von den Vertretern der Wirtschaft und von der Politik. „So versuchen sie nur ihre Untätigkei­t zu vertuschen“, sagt der Ravensbure­r Buchhändle­r. Dass der Deutsche Industrieu­nd Handelskam­mertag an dem Gesetz beteiligt war und keine bessere Lösung für kleine und mittelstän­dische Betriebe aushandelt­e, bleibt für Riethmülle­r ein Rätsel. Ein Rätsel, unter dem er leidet.

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FOTO: IMAGO Silhouette­n von Personen vor Binärcode: Nicht nur große Unternehme­n müssen sich bis Ende Mai damit beschäftig­en, wie sie mit Daten von Kunden und Mitarbeite­rn umgehen.

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