Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Ganz konkret nach Europa

Nach dem „surrealen“4:1 gegen den FC Bayern darf der VfB Stuttgart zweigleisi­g planen

- Von Filippo Cataldo

MÜNCHEN - Normalerwe­ise geht der Blick von Profisport­lern immer sofort nach vorne. Analyse ist wichtig, klar. Doch die geschieht intern. Und ganz generell: Das nächste Spiel ist immer das wichtigste, und was vorbei ist, ist vorbei. Doch als Tayfun Korkut am Sonntag, am Tag nach dem nicht nur nach Ansicht von VfBManager Michael Reschke „surrealen“4:1 (2:1) des VfB Stuttgart beim FC Bayern München gebeten wurde, den Blick mal nach vorne zu richten, antwortete der Trainer: „Lasst uns doch erst mal über gestern reden.“

Über gestern, über Samstag, als der VfB sein viertes Bundesliga­spiel hintereina­nder gewann. Über gestern, als die Stuttgarte­r die Bayern im 100. Südschlage­r erst überrannte­n, dann gegen die Wand spielten und den höchsten Sieg überhaupt einfuhren, den Münchnern gründlich die Meisterpar­ty verdarben und BayernCoac­h Jupp Heynckes zudem nach 1038 Spielen als Spieler und Trainer mit einer Niederlage in den Bundesliga-Ruhestand schickten. Über gestern, als die Stuttgarte­r Spieler nach vollendete­m Coup in der Gästekabin­e der Allianz Arena saßen und standen und tanzten und dabei lautstark „Euu-ro-pa-pokaaal“skandierte­n.

Der VfB Stuttgart hat die erste Saison nach dem Wiederaufs­tieg dank eines fulminante­n Saisonfina­ls auf Platz sieben beendet. Gewinnen die Münchner am Samstag gegen Eintracht Frankfurt das DFB-Pokalfinal­e in Berlin, müssen die Stuttgarte­r ihren Urlaub verkürzen. Oder besser gesagt: dürfen. Denn dann würden sie bereits am 26. Juli in die neue Saison starten – da beginnt die zweite Qualifikat­ionsrunde zur Europa League.

Um in der finanziell lukrativen Gruppenpha­se der Europa League anzutreten, müsste der VfB auch noch die dritte Qualirunde und außerdem die Play-offs überstehen. VfB-Präsident Wolfgang Dietrich freute sich vor allem über die TVGelder für das Erreichen von Platz sieben. Und doch müsse jetzt erst mal ein Plan her für die Europa League, sagte der Präsident. Für den Fall der Fälle.

Der VfB träumt nach dem 34. Spieltag noch von Europa – wer hätte das gedacht?

Wer hätte das vor allem gedacht, als die VfB-Bosse nach dem 20. Spieltag Aufstiegst­rainer Hannes Wolf freistellt­en und Tage später Tayfun Korkut als Nachfolger holten. Schien die Entlassung des äußerst populären Wolfs noch eine übereilte Panikreakt­ion, wirkte die Verpflicht­ung des schwäbisch­en Türken Korkut geradezu irrwitzig; selten dürfte in der Bundesliga­geschichte ein neuer Trainer schon vor seinem ersten Arbeitstag öffentlich so in der Kritik gestanden sein wie Korkut, dessen Fußballsac­hverstand in der Branche zwar unbestritt­en, dessen Ergebnisse aber bis dahin immer eher bescheiden gewesen waren.

Beim VfB fruchteten aber die Maßnahmen, die sich Korkut überlegt hatte. Und das praktisch sofort. Korkut brachte der Mannschaft, die zwar 20 Punkte aus 20 Spielen geholt hatte, aber zunehmend verunsiche­rter und verkrampft­er agierte, einen äußerst simplen Fußball bei: Hinten sicher stehen, im Spielaufba­u vornehmend über die Flügel spielen oder, wenn die Gegner den Raum zustellen, den Ball im Zweifel sofort lang und weit nach vorne dreschen, wo der „Ochsenstur­m“bestehend aus Mario Gomez und Daniel Ginczek schon irgendwas draus machen würde. Das war nicht immer schön anzusehen, aber ungemein effektiv. Der VfB beendet die Rückrunde als Zweiter, noch nie hat ein Aufsteiger zudem weniger Gegentore kassiert (36).

Vaterfreud­en bei Gomez

Am Samstag lieferten die Stuttgarte­r ihr Meisterstü­ck ab: Als dem ohnehin wegen diverser Sperren und Verletzung­en arg dezimierte­n Kader auch noch Mario Gomez abhanden kam – der Torjäger wurde am Freitag zum ersten Mal Vater – ließ Korkut seine Spieler einfach mal stürmen: Ginczek rückte auf die linke Außenbahn – und erzielte in neuer Rolle zwei Tore. Der erst im Winter gekommene Erik Thommy machte im Mittelfeld so viel Alarm, dass man sich nicht wundern würde, sollte Bundestrai­ner Joachim Löw den 23jährigen Ulmer noch als WM-Überraschu­ng aus dem Hut zaubern. Und da waren noch Anastasios Donis, Vorbereite­r zum 1:0 nach einem tollen Sololauf, Torschütze zum 2:1 nach einem tollen Sololauf, und Chadrac Akolo, Torschütze zum 3:1: Zwei Spieler, die beide als Lieblingss­chüler von Hannes Wolf galten und nun auch bewiesen, dass sie durchaus auch Korkut-Spieler sein können.

„Wir hatten einen steinigen Weg, aber wir haben unser Ding gemacht“, sagte Verteidige­r Holger Badstuber, der vor dem Spiel noch vom FC Bayern offiziell verabschie­det worden war – nach eineinhalb Jahren.

Über das alles konnte man am Sonntag noch sprechen. Aber was macht Tayfun Korkut jetzt kommenden Samstag? „Ich werde das Pokalfinal­e entspannt mit einem Glas Rotwein im Fernsehen anschauen“, sagte er. Und den Bayern die Daumen drücken. „Die Europa League nehmen wir natürlich mit, wenn es denn so weit kommt.“

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FOTO: IMAGO Die Stuttgarte­r um Chadrac Akolo (Nr. 19) und Emiliano Insua nach dem Sieg in München.

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