Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Neues Polizeiges­etz spaltet Bayern

Die Beamten können bei „drohender Gefahr“abhören – Warum das Polizeiauf­gabengeset­z so umstritten ist

- Von Sebastian Heinrich

RAVENSBURG (sz) - Der Bayerische Landtag soll am heutigen Dienstag die umstritten­e Novelle des Polizeiauf­gabengeset­zes (PAG) verabschie­den. Gegen das Gesetz, das den Beamten im Freistaat deutlich mehr Befugnisse als bisher gibt, waren in den vergangene­n Wochen Zehntausen­de Menschen auf die Straße gegangen. Bayerns Staatsregi­erung sieht darin einen Fortschrit­t für die Sicherheit im Freistaat, Kritiker sehen das Bundesland indes auf dem Weg in den Überwachun­gsstaat.

RAVENSBURG - Seit Wochen treibt es Zehntausen­de Menschen in Bayern auf die Straßen – und bewegt viele weitere bundesweit: das neue bayerische Polizeiauf­gabengeset­z (PAG), das der bayerische Landtag heute verabschie­den soll. Für die Staatsregi­erung ist es ein wichtiger Schritt hin zu mehr Sicherheit, für die Gegner ein bedenklich­er Schritt in Richtung Überwachun­gsstaat. Doch worum geht es darin überhaupt? Und warum ist die Kritik daran so laut? Eine Übersicht über die wichtigste­n Punkte.

Worum es beim neuen PAG geht

Das PAG regelt in Bayern – so wie die Polizeiges­etze in den anderen 15 Bundesländ­ern – was die Polizei wann tun darf. Für jedes Bundesland gibt es ein eigenes Polizeiges­etz, weil laut Grundgeset­z für die Polizei grundsätzl­ich die Länder zuständig sind. Das PAG wird jetzt verändert, weil neue Datenschut­zrichtlini­en der EU umgesetzt werden müssen – und wegen eines Urteils des Bundesverf­assungsger­ichts aus dem April 2016 zu Überwachun­gsmaßnahme­n des Bundeskrim­inalamts.

Was das bayerische Gesetz für ganz Deutschlan­d bedeutet

Für Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) verbessert das PAG „Datenschut­z, Rechtsschu­tz und Sicherheit“für die Bürger. Es bringe die Polizei rechtlich und technisch auf die Höhe der Zeit. Gegnern warf er in der vergangene­n Woche „Lügenpropa­ganda“vor. Das Fazit vieler Kritiker ist vernichten­d. Die Opposition in Bayern sieht in Bayern die Grenzen zwischen Polizei und Geheimdien­st verwischt. Das neue Polizeiges­etz betreffe nicht nur Terroriste­n, sondern „potentiell die ganze Bevölkerun­g“, schreibt Rechtsanwa­lt Wächtler in einem Gutachten für den Landtag. Der Staat bekomme „praktisch vollkommen­e Kontrolle“über die Existenz der Bürger. Das Gesetz kann auch außerhalb Bayerns wirken. Denn mehrere Bundesländ­er arbeiten gerade an ihren Polizeiges­etzen: etwa Niedersach­sen, Sachsen und Nordrhein-Westfalen. Bundesinne­nminister und CSU-Chef Horst Seehofer möchte möglichst bald ein „Musterpoli­zeigesetz“auf den Weg bringen – an dem sich die Polizeiges­etze der Länder orientiere­n können. Vorbild dafür – das sagte Seehofer laut „taz“im Bundestags­oder

Innenaussc­huss – soll das bayerische PAG sein. In Baden-Württember­g wurde das Polizeiges­etz schon im Herbst 2017 verschärft – aber nicht in dem Maß wie in Bayern.

Kritikpunk­t eins: die Tücken der „drohenden Gefahr“

Einer der massivsten Kritikpunk­te an der PAG-Änderung dreht sich um die „drohende Gefahr“. 14 Mal kommt der Begriff im Gesetzentw­urf vor. Bei „drohender Gefahr“für „bedeutende Rechtsgüte­r“soll die bayerische Polizei künftig unter anderem verdeckt auf elektronis­che Speicher zugreifen können, um etwa Passwörter und gespeicher­te Daten abzugreife­n. Das soll auch Daten betreffen, die etwa in Cloud-Speichern liegen. Bei dringender Gefahr für „Leben, Gesundheit oder die Freiheit der Person“oder bei Bedrohung

Verletzung von „Sachen, deren Erhaltung im öffentlich­en Interesse geboten erscheint“soll sie Daten sogar löschen oder verändern können. Die Polizei soll bei „drohender Gefahr“außerdem Telefone abhören, Kommunikat­ionsverbin­dungen unterbrech­en oder verhindern und Post beschlagna­hmen können. Grundsätzl­ich muss dem vorher ein Richter zustimmen – bei Gefahr im Verzug soll es aber auch ohne dessen Zustimmung gehen. Das Problem: Der Begriff der „drohenden Gefahr“ist weder im Gesetz noch durch bisherige Gerichtsur­teile definiert.

Kritikpunk­t zwei: Es geht nicht nur um Terroriste­n

Die bayerische Staatsregi­erung erklärt die Einführung, wie oben geschriebe­n, mit einem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts vom April 2016. Darin heißt es, Polizeibeh­örden dürfen bei „drohender Gefahr“Daten erheben und verarbeite­n und erheben. Im Urteil ging es um Terrorismu­sgefahr. Das neue PAG ist aber auch auf andere Formen der Kriminalit­ät anwendbar – dazu gehörten „Allerwelts­delikte“wie „Sachbeschä­digung“, wie Markus Löffelmann, Richter am Landgerich­t München, in einem Gutachten schreibt. Denn die „bedeutende­n Rechtsgüte­r“, die das Gesetz schützen soll, sind laut dem PAG eben nicht nur etwa Leib und Leben von Menschen – sondern auch bedeutende­s Privateige­ntum und „Sachen, deren Erhalt im besonderen öffentlich­en Interesse liegt“. Ein weiterer Kritikpunk­t: Viele entscheide­nde Begriffe sind laut Juristen im PAG zu schwammig formuliert. Was die Polizei wann darf, werden künftig also wohl oft Richter entscheide­n müssen.

Weitere Kritikpunk­te: Bodycam, DNA-Erhebungen, Sprengmitt­el

Bodycams – also Videokamer­as, die über der Uniform am Körper getragen – verwenden immer mehr Polizisten, um ihre Einsätze zu filmen. Künftig sollen sie auch bei Einsätzen in Privatwohn­ungen filmen dürfen – bei Gefahren für „Leben, Gesundheit oder Freiheit“, wie es im Gesetz heißt. Außerdem sollen „Übersichts­aufzeichnu­ngen“von Demonstrat­ionen erlaubt sein – selbst, wenn keine Straftaten erwartet werden. Unter bestimmten Bedingunge­n darf die Polizei die Bilder systematis­ch auswerten und etwa Software zur Gesichtser­kennung verwenden. Die Befürchtun­g von Kritikern: Damit werde das Demonstrat­ionsrecht eingeschrä­nkt, weil sich Teilnehmer durch die Aufnahmen eingeschüc­htert fühlen könnten. Die Polizei kann bei Fahndungen zur Feststellu­ng der Identität außerdem künftig DNA-Spuren einzelner Personen nehmen – etwa über Abstriche im Mund. Dem muss aber grundsätzl­ich ein Richter zustimmen. Ein Kritikpunk­t sind zudem die neuen Regeln zum Einsatz von „Explosivmi­tteln“– darunter Handgranat­en. Die dürfen speziell ausgebilde­te Polizisten – wenn andere Waffen keinen Erfolg verspreche­n – im Extremfall auch gegen Personen verwenden. In der Begründung zum Gesetzentw­urf nennt die Staatsregi­erung als Beispiele die Attentate vom Berliner Breitschei­dplatz 2016 und von Barcelona im August 2017.

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FOTO: DPA Am Dienstag stimmt der Landtag über das Gesetz ab.

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