Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Neues Polizeigesetz spaltet Bayern
Die Beamten können bei „drohender Gefahr“abhören – Warum das Polizeiaufgabengesetz so umstritten ist
RAVENSBURG (sz) - Der Bayerische Landtag soll am heutigen Dienstag die umstrittene Novelle des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) verabschieden. Gegen das Gesetz, das den Beamten im Freistaat deutlich mehr Befugnisse als bisher gibt, waren in den vergangenen Wochen Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen. Bayerns Staatsregierung sieht darin einen Fortschritt für die Sicherheit im Freistaat, Kritiker sehen das Bundesland indes auf dem Weg in den Überwachungsstaat.
RAVENSBURG - Seit Wochen treibt es Zehntausende Menschen in Bayern auf die Straßen – und bewegt viele weitere bundesweit: das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG), das der bayerische Landtag heute verabschieden soll. Für die Staatsregierung ist es ein wichtiger Schritt hin zu mehr Sicherheit, für die Gegner ein bedenklicher Schritt in Richtung Überwachungsstaat. Doch worum geht es darin überhaupt? Und warum ist die Kritik daran so laut? Eine Übersicht über die wichtigsten Punkte.
Worum es beim neuen PAG geht
Das PAG regelt in Bayern – so wie die Polizeigesetze in den anderen 15 Bundesländern – was die Polizei wann tun darf. Für jedes Bundesland gibt es ein eigenes Polizeigesetz, weil laut Grundgesetz für die Polizei grundsätzlich die Länder zuständig sind. Das PAG wird jetzt verändert, weil neue Datenschutzrichtlinien der EU umgesetzt werden müssen – und wegen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem April 2016 zu Überwachungsmaßnahmen des Bundeskriminalamts.
Was das bayerische Gesetz für ganz Deutschland bedeutet
Für Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) verbessert das PAG „Datenschutz, Rechtsschutz und Sicherheit“für die Bürger. Es bringe die Polizei rechtlich und technisch auf die Höhe der Zeit. Gegnern warf er in der vergangenen Woche „Lügenpropaganda“vor. Das Fazit vieler Kritiker ist vernichtend. Die Opposition in Bayern sieht in Bayern die Grenzen zwischen Polizei und Geheimdienst verwischt. Das neue Polizeigesetz betreffe nicht nur Terroristen, sondern „potentiell die ganze Bevölkerung“, schreibt Rechtsanwalt Wächtler in einem Gutachten für den Landtag. Der Staat bekomme „praktisch vollkommene Kontrolle“über die Existenz der Bürger. Das Gesetz kann auch außerhalb Bayerns wirken. Denn mehrere Bundesländer arbeiten gerade an ihren Polizeigesetzen: etwa Niedersachsen, Sachsen und Nordrhein-Westfalen. Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer möchte möglichst bald ein „Musterpolizeigesetz“auf den Weg bringen – an dem sich die Polizeigesetze der Länder orientieren können. Vorbild dafür – das sagte Seehofer laut „taz“im Bundestagsoder
Innenausschuss – soll das bayerische PAG sein. In Baden-Württemberg wurde das Polizeigesetz schon im Herbst 2017 verschärft – aber nicht in dem Maß wie in Bayern.
Kritikpunkt eins: die Tücken der „drohenden Gefahr“
Einer der massivsten Kritikpunkte an der PAG-Änderung dreht sich um die „drohende Gefahr“. 14 Mal kommt der Begriff im Gesetzentwurf vor. Bei „drohender Gefahr“für „bedeutende Rechtsgüter“soll die bayerische Polizei künftig unter anderem verdeckt auf elektronische Speicher zugreifen können, um etwa Passwörter und gespeicherte Daten abzugreifen. Das soll auch Daten betreffen, die etwa in Cloud-Speichern liegen. Bei dringender Gefahr für „Leben, Gesundheit oder die Freiheit der Person“oder bei Bedrohung
Verletzung von „Sachen, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint“soll sie Daten sogar löschen oder verändern können. Die Polizei soll bei „drohender Gefahr“außerdem Telefone abhören, Kommunikationsverbindungen unterbrechen oder verhindern und Post beschlagnahmen können. Grundsätzlich muss dem vorher ein Richter zustimmen – bei Gefahr im Verzug soll es aber auch ohne dessen Zustimmung gehen. Das Problem: Der Begriff der „drohenden Gefahr“ist weder im Gesetz noch durch bisherige Gerichtsurteile definiert.
Kritikpunkt zwei: Es geht nicht nur um Terroristen
Die bayerische Staatsregierung erklärt die Einführung, wie oben geschrieben, mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 2016. Darin heißt es, Polizeibehörden dürfen bei „drohender Gefahr“Daten erheben und verarbeiten und erheben. Im Urteil ging es um Terrorismusgefahr. Das neue PAG ist aber auch auf andere Formen der Kriminalität anwendbar – dazu gehörten „Allerweltsdelikte“wie „Sachbeschädigung“, wie Markus Löffelmann, Richter am Landgericht München, in einem Gutachten schreibt. Denn die „bedeutenden Rechtsgüter“, die das Gesetz schützen soll, sind laut dem PAG eben nicht nur etwa Leib und Leben von Menschen – sondern auch bedeutendes Privateigentum und „Sachen, deren Erhalt im besonderen öffentlichen Interesse liegt“. Ein weiterer Kritikpunkt: Viele entscheidende Begriffe sind laut Juristen im PAG zu schwammig formuliert. Was die Polizei wann darf, werden künftig also wohl oft Richter entscheiden müssen.
Weitere Kritikpunkte: Bodycam, DNA-Erhebungen, Sprengmittel
Bodycams – also Videokameras, die über der Uniform am Körper getragen – verwenden immer mehr Polizisten, um ihre Einsätze zu filmen. Künftig sollen sie auch bei Einsätzen in Privatwohnungen filmen dürfen – bei Gefahren für „Leben, Gesundheit oder Freiheit“, wie es im Gesetz heißt. Außerdem sollen „Übersichtsaufzeichnungen“von Demonstrationen erlaubt sein – selbst, wenn keine Straftaten erwartet werden. Unter bestimmten Bedingungen darf die Polizei die Bilder systematisch auswerten und etwa Software zur Gesichtserkennung verwenden. Die Befürchtung von Kritikern: Damit werde das Demonstrationsrecht eingeschränkt, weil sich Teilnehmer durch die Aufnahmen eingeschüchtert fühlen könnten. Die Polizei kann bei Fahndungen zur Feststellung der Identität außerdem künftig DNA-Spuren einzelner Personen nehmen – etwa über Abstriche im Mund. Dem muss aber grundsätzlich ein Richter zustimmen. Ein Kritikpunkt sind zudem die neuen Regeln zum Einsatz von „Explosivmitteln“– darunter Handgranaten. Die dürfen speziell ausgebildete Polizisten – wenn andere Waffen keinen Erfolg versprechen – im Extremfall auch gegen Personen verwenden. In der Begründung zum Gesetzentwurf nennt die Staatsregierung als Beispiele die Attentate vom Berliner Breitscheidplatz 2016 und von Barcelona im August 2017.