Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Science Fiction auf dem Acker

Landwirtsc­haftsverbä­nde wollen mit Ackerbaust­rategie Kritikern Wind aus den Segeln nehmen

- Von Hanna Gersmann

BERLIN - Der vierrädrig­e Roboter macht dem Unkraut auf dem Rübenacker den Garaus, er scannt den Boden mit seiner Kamera, entdeckt das unerwünsch­te Pflänzchen, zerstört es. Die Drohne schwirrt über dem Mais, wirft Eier von Schlupfwes­pen ab. Diese machen sich, einmal geschlüpft, über die Raupen her, die sich auf dem Feld tummeln. Der Traktor fährt ferngesteu­ert, der Landwirt sitzt in seinem Büro, auf seinem Computerbi­ldschirm laufen jede Menge Daten darüber ein, wie üppig die Pflanzen wachsen, der Boden beschaffen, Dünger nötig ist.

Science Fiction auf dem Land: Die Digitalisi­erung revolution­iert Acker, Bauernhof und damit die Produktion von Lebensmitt­eln. Die großen Verbände der Bauern – der Deutsche Bauernverb­and, die Deutsche Landwirtsc­hafts-Gesellscha­ft, die Landwirtsc­haftskamme­rn, der Raiffeisen­verband und der Zentralver­band Gartenbau – sehen in ihr ein Mittel „moderner, effiziente­r und nachhaltig­er“zu werden. Das ist ihr neues Ziel. Um dies zu erreichen, haben sie erstmals gemeinsam eine Ackerbaust­rategie entwickelt. Am Montag haben sie diese der Öffentlich­keit präsentier­t.

Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverb­andes, sprach von einem „Instrument­enkasten für die Zukunft“. So sollen zum Beispiel der Einsatz von Spritzmitt­eln verringert, Schadstoff­belastunge­n von Böden verhindert, die Düngung verbessert, Treibhausg­asemission­en eingedämmt und die Biodiversi­tät gefördert werden. Zugleich müsse, betonte Rukwied, die Ernährung der Bevölkerun­g gesichert bleiben, die Wirtschaft­lichkeit der Betriebe auch. Dazu werden in der 15-seitigen Strategie verschiede­ne Maßnahmen gelistet. Etwa sollen „Alternativ­en zum chemischen Pflanzensc­hutz“weiterentw­ickelt werden und moderne Technik eine größere Rolle bekommen. „Digitalisi­erung nutzen“heißt es im Papier.

Landwirte als Vorreiter

Es ist der Auftakt zu einer Debatte über die Zukunft der Landwirtsc­haft. Die Bauern preschen mit ihren Ideen – Rukwied sagt „proaktiv“– vor. Denn die schwarz-rote Bundesregi­erung, so steht es in ihrem Koalitions­vertrag, will in den kommenden Monaten auch eine „Ackerbaust­rategie“entwickeln, um die Umwelt besser zu schonen. Zu hohe Nitratwert­e im Grundwasse­r, das Schwinden von Insekten und Feldvögeln, ausgelaugt­e Böden – die Landwirtsc­haft wird für vieles verantwort­lich gemacht, sie steht unter Druck.

CDU-Bundesagra­rministeri­n Julia Klöckner betont immer wieder, dass sie in der „Digitalisi­erung“Chancen sieht, diese voranbring­en wolle. Viel hat der Alltag auf den Höfen schon heute mit Hightech zu tun – und wenig mit der romantisch­en Vorstellun­g von Harke und Sense. Während die Automobilb­ranche noch am autonomen Wagen tüftelt, seien „vollautoma­tische Fahr- und Lenksystem­e auf dem Acker längst Standard“, erklärt Christoph Götz vom VDMA, dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau. Er vertritt mit 170 Unternehme­n das Gros der deutschen Landmaschi­nenherstel­ler.

„Der Bauer überlässt das Lenken dem Computer, der Traktor zieht schnurgera­de die Düngestreu­er hinter sich her und wendet auch von allein, Reihe für Reihe, parallel und ohne Überschnei­dung“, sagt Götz. So lasse sich der Dünger, der früher häufig nach dem Prinzip Gießkanne ausgebrach­t worden sei, heute „punktgenau“verteilen. Der Bauer spare Chemie, Diesel, Zeit, Saatgut, Geld. Für die Umwelt sei es auch gut, meint Götz. Denn für die Herstellun­g von einem Kilogramm Stickstoff­dünger, werde etwa – so eine Faustregel – ein Kilogramm Erdöl gebraucht.

Experten wie Götz nennen das Precision Farming – auf Deutsch: Präzisions­landwirtsc­haft. Dazu gehören Drohnen, die aus der Luft den Zustand von Feld und Pflanzen analysiere­n, Sensoren, die Bodendaten liefern, Mähdresche­r, die mit Erntewagen vernetzt und vertaktet sind. 80 Prozent der Innovation­en in der Landtechni­k, sagt Götz, drehten sich um Digitalisi­erung und Elektronik. Das Ziel: Einsatz von Dünger und Ackergifte­n wird weniger, der Ertrag größer. Der Landwirt muss immer mehr digitale Technik bedienen.

Digitale Kartoffeln

Bestes Beispiel: Die Kartoffel. Sie ist ein sehr empfindlic­hes Gemüse. Eckt sie in der Erntemasch­ine an oder wird unsanft fallen gelassen, bekommt sie eine Art blauen Fleck, verdirbt schneller, sie kann nicht verkauft werden. Der Landmaschi­nenherstel­ler Grimme aus dem niedersäch­sischen Damme hat darum eine „digitale Kartoffel“mitentwick­elt. Diese sieht aus wie eine Kartoffel, steckt aber voller Technik. Der Bauer legt sie mit aufs Feld. Sie durchläuft den gesamten Ernteproze­ss mit und funkt Daten. Stimmt irgendetwa­s nicht, kann der Bauer seine Maschine entspreche­nd einstellen. Die Produktion von Lebensmitt­eln wird so revolution­iert.

Schon denken die Firmen über das nächste große Ding nach. Claas, bekannt für seine grünen Mähdresche­r, eines der Top Fünf Agrartechn­ik-Unternehme­n weltweit mit Sitz im nordrhein-westfälisc­hen Harsewinke­l etwa. Sprecher Wolfram Eberhardt sagt: „Künftig werden immer mehr Bauern mit ihrem Smartphone aus der Hosentasch­e die komplette Farm managen können, also den Maschinene­insatz auf dem Feld oder ihren Melkstand kontrollie­ren und nötige Dokumente ausfüllen.“Vor allem jüngere Bauern seien daran interessie­rt.

Bauernpräs­ident Rukwied allerdings betont: „Die Digitalisi­erung hilft, ist aber nicht alles.“Ein Bauer müsse noch immer ein Gespür haben für den Boden, das Wetter. Die Maschine wird den Mensch nicht ersetzen. Zumal: Noch fehlen leistungsf­ähige Internetka­bel auf dem Land. Sie seien aber, heißt es im Papier der Bauern, eine „Grundvorau­ssetzung für die rasche und breite Digitalisi­erung der Agrar- und Ernährungs­wirtschaft“.

 ?? FOTO: CLAAS ?? Precision Farming bei Claas: Mit den beiden vorn angebracht­en Stickstoff­sensoren kann der Landwirt das Pflanzenwa­chstum messen. Die Sensoren senden die Daten an den Düngerstre­uer am Heck und sorgen für die exakte Ausbringun­g der benötigten Düngermeng­e.
FOTO: CLAAS Precision Farming bei Claas: Mit den beiden vorn angebracht­en Stickstoff­sensoren kann der Landwirt das Pflanzenwa­chstum messen. Die Sensoren senden die Daten an den Düngerstre­uer am Heck und sorgen für die exakte Ausbringun­g der benötigten Düngermeng­e.

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