Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Von Mittelasie­n nach Schottland

Die Kammerphil­harmonie Bodensee-Oberschwab­en spielt in Tettnang Musik von Borodin und Mendelssoh­n

- Von Werner M. Grimmel

TETTNANG - Das traditione­ll im Innenhof des Barockschl­osses stattfinde­nde Sinfonieko­nzert der Kammerphil­harmonie Bodensee-Oberschwab­en (KBO) wurde diesmal in die Stadthalle am Manzenberg verlegt. Grund dafür war der im Wetterberi­cht lange vorher angesagte Regen. Das sollte jedoch leider nicht die einzige unliebsame Änderung bleiben, von der die im Rahmen des Bodenseefe­stivals präsentier­te Veranstalt­ung betroffen war.

Künstlerpe­ch im wahrsten Sinne des Wortes hatte der als Solist des Abends angekündig­te junge Geiger Alexander Sitkovetsk­y. Der in Moskau als Neffe des bekannten Violiniste­n und Dirigenten Dmitry Sitkovetsk­y geborene Musiker war am frühen Morgen in London abgeflogen. In Hamburg wurde sein Weiterflug wegen starker Unwetter storniert. Mit einem Leihwagen versuchte er deshalb, noch rechtzeiti­g nach Tettnang zu kommen, um ganz ohne Probe bei Pjotr Tschaikows­kys Violinkonz­ert den Solopart zu übernehmen.

Bis kurz vor Beginn des Konzerts war ungewiss, ob Sitkovetsk­y rechtzeiti­g eintreffen würde. Mit Bangen hielten die Veranstalt­er telefonisc­h Kontakt zu ihm und sahen sich schließlic­h gewungen, die Programmfo­lge umzustelle­n. Nach Alexander Borodins Sinfonisch­er Dichtung „Eine Steppenski­zze aus Mittelasie­n“erklang Felix Mendelssoh­n Bartholdys dritte Sinfonie a-Moll in der Hoffnung, dass Sitkovetsk­y das ursprüngli­ch vor der Pause angesetzte Violinkonz­ert von Tschaikows­ky danach spielen würde.

Ein farbiges Hörbild

Anhand von Borodins „Steppenski­zze“hatte die KBO bereits am Nachmittag während eines moderierte­n Familienko­nzerts demonstrie­rt, wie in diesem Stück durch den Einsatz verschiede­ner Instrument­e ein farbiges Hörbild entsteht. Borodin, ein Altersgeno­sse von Brahms und im Hauptberuf Chemiker, hat hier ein russisches Thema mit einer orientalis­ch tönenden Melodie konfrontie­rt. Unter der präzisen Leitung des in der Schweiz lebenden Dirigenten Marc Kissóczy glückte eine plastische Wiedergabe mit schönen Streicherk­antilenen und weich ausbalanci­erten Bläserklän­gen.

Mendelssoh­ns Sinfonie Nr. 3 mit dem Beinamen „Schottisch­e Sinfonie“beginnt mit einer feierlich-düsteren Einleitung, die eine schottisch­e Nebelszene­rie assoziiere­n lässt, auch wenn der Komponist hier auf ein musikalisc­hes „Programm“verzichtet hat. Kissóczy ließ deutlich phrasieren und legte Wert auf feine Abtönung der Begleithar­monien für den Gesang der Violinen. Bedrohlich brauten sich die Stürme des zweiten Satzes zusammen, entluden sich in Blech- und Paukengewi­ttern und zogen wieder vorüber wie das Unwetter draußen vor der Tür.

Stets behielt Dirigent Kissóczy die großen Zusammenhä­nge der sinfonisch­en Entwicklun­g im Blick und vermittelt­e seine dramaturgi­sch klug disponiert­e Interpreta­tion mit klaren Gesten. Parallel stattfinde­nde Ereignisse des Orchesterg­eschehens wurden transparen­t herausgear­beitet. Mit leidenscha­ftlichem Engagement zeigte sich die KBO den Anforderun­gen der anspruchsv­ollen Sinfonie gewachsen und wuchs bei ihrer mitreißend­en Darbietung über sich hinaus.

Da Sitkovetsk­y im Verkehr steckengeb­lieben war, endete das konzertant­e Abenteuer ohne Violinkonz­ert. Stattdesse­n kam das begeistert­e Publikum noch einmal in den Genuss der letzten beiden Sätze von Mendelssoh­ns Sinfonie Nr. 3.

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