Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Legal, illegal, Steuertrick
Erstmals Beschuldigte wegen „Cum-Ex“-Geschäften vor Gericht – 113 Millionen Euro Steuern hinterzogen
FRANKFURT (dpa) - Panama Papers, Paradise Papers oder Cum-Ex-Skandal – durch Steuertricks entgehen der Staatskasse Milliarden. Ob die Tricksereien illegal sind, ist nicht immer klar. In Deutschland sollen Cum-Ex-Geschäfte nach dem Willen der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt nun erstmals strafrechtlich aufgearbeitet werden. Die Ermittler haben Anklage gegen fünf ehemalige Mitarbeiter einer Bank und einen aus Hessen stammenden Anwalt wegen schwerer Steuerhinterziehung erhoben.
Was wirft die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten vor?
Sie sollen von 2006 bis 2008 durch die umstrittenen Deals Steuern in Höhe von insgesamt rund 113 Millionen Euro hinterzogen haben. Hauptbeschuldigter ist der 67-jährige Anwalt und frühere hessische Finanzbeamte, der inzwischen in der Schweiz lebt. Er soll die umstrittenen Cum-Ex-Geschäfte „als Geschäftsmodell für Privatkunden entwickelt“haben. Maßgeblich an der Planung und Durchführung der Geschäfte sollen fünf Banker beteiligt gewesen sein. Dabei soll es sich um ehemalige Mitarbeiter der HypoVereinsbank handeln, darunter drei Investmentbanker. Die Deals sollen über eine Firma in Eppstein bei Wiesbaden abgewickelt worden sein. Sie gehörte einem Privatinvestor, der inzwischen verstorben ist.
Was sind Cum-Ex-Geschäfte?
Dabei schoben Investoren rund um den Dividendenstichtag Aktien mit (cum) und ohne (ex) Ausschüttungsanspruch rasch zwischen mehreren Beteiligten hin und her. Diese ließen die Papiere untereinander zirkulieren, bis dem Fiskus nicht mehr klar war, wem sie überhaupt gehörten. Die Folge der Karussellgeschäfte: Bescheinigungen über Kapitalertragsteuern und den darauf entfallenden Solidaritätszuschlag wurden mehrfach ausgestellt, die so aber gar nicht gezahlt worden waren. Die Finanzämter erstatteten dadurch mehr Steuern als sie zuvor eingenommen hatten. 2012 wurde das Steuerschlupfloch geschlossen.
Was hatten die Beschuldigten von den Deals?
Laut Anklage soll es sich um ein lukratives Geschäft für alle Seiten gehandelt haben. Der Investor und die Bank sollen von den erwirtschafteten Gewinnen profitiert haben. Der Anwalt soll etwa 332 000 Euro als Berater kassiert haben sowie rund 2,39 Millionen Euro von dem Investor als Erfolgshonorar bekommen haben. Die anderen Beschuldigten sollen mit leistungsbezogenen Bonuszahlungen der Bank von den Deals profitiert haben.
Wie hoch ist der Schaden?
Steuersünder sollen den deutschen Staat nach jüngsten Angaben des Bundesfinanzministeriums mit Cum-Ex insgesamt um 5,3 Milliarden Euro betrogen haben. Davon wurden bisher 2,4 Milliarden Euro an Kapitalertragsteuer erfolgreich zurückgefordert oder gar nicht erst ausgezahlt. Ermittler gingen inzwischen 417 Verdachtsfällen nach, hieß es zuletzt. Die umstrittenen Geschäfte beschäftigten nicht nur Staatsanwälte in mehreren Bundesländern, auch ein Untersuchungsausschuss des Bundestags befasste sich mit dem Thema.
Wer hat sich beteiligt?
Mitgemacht haben Anleger, Steuerberater, Gutachter, kleine wie große Banken, öffentlich-rechtliche Landesbanken und Institute, die vom Steuerzahler gerettet werden mussten. Manches Geldhaus – darunter die HypoVereinsbank – hat von sich aus reinen Tisch gemacht und Steuern nachgezahlt. Andere klagten vergeblich gegen Rückzahlungsforderungen des Fiskus. Die Maple Bank ist wegen Cum-Ex sogar pleite gegangen. Das deutsche Institut mit kanadischen Wurzeln war von der Finanzaufsicht Bafin 2016 geschlossen worden, weil ihm wegen einer Steuerrückstellung in Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften die Überschuldung drohte.
Waren die Tricks illegal?
Das ist abschließend noch nicht höchstrichterlich geklärt. Die Generalstaatsanwaltschaft betritt mit der Klage juristisches Neuland. Die Ermittler sehen sich allerdings durch Entscheidungen verschiedener Finanzgerichte bestätigt. So hatte beispielsweise im Frühjahr 2017 das hessische Finanzgericht in Kassel gefordert, die Behörden müssten prüfen, ob falsche Steuerbescheinigungen eine „gängige Praxis“gewesen seien, um die beteiligten Finanzhäuser gegebenenfalls in Anspruch nehmen zu können.
Wie geht es weiter?
Das Landgericht Wiesbaden muss nun über die Zulassung der Anklage entscheiden. Angesichts der komplexen Materie und der knapp 1000 Seiten dicken Anklageschrift dürfte das eine Weile dauern. Zunächst können sich die Beschuldigten zu der Anklage äußern. Dafür setzte die Wirtschaftsstrafkammer eine Frist bis 31. August.