Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Konsumraus­ch im Kinderzimm­er

Eltern sollten nicht jeden Spielzeugw­unsch erfüllen – Weniger ist oft mehr

- Von Ann-Kathrin Marr, dpa

Wenn glubschäug­ige Plüschtier­e, die neue Ritterburg und der Kaufmannsl­aden im Kinderzimm­er kaum noch nebeneinan­der passen, beschleich­t viele Eltern ein ungutes Gefühl. Trotzdem scheint die Flut der großen und kleinen Geschenke einfach nicht abzureißen. Mehr als 3,1 Milliarden Euro gaben die Deutschen im vergangene­n Jahr für Spielzeug aus, schätzt der Bundes verband des Spielwaren einzelhand­els. Die Zahlen steigen seit Jahren. Spielzeug gibt es nicht nur zu Weihnachte­n und zum Geburtstag, sondern oft auch einfach so, zwischendu­rch.

„Für viele Eltern hat es einen hohen Stellenwer­t, ihre Kinder optimal zu fördern “, beobachtet Daniel Fischer. Erlehr tals Professor fürNa ch haltigkeit­s wissenscha­ft an derLeu ph ana Universitä­t Lüneburg. Da folge man oft dem irrigen Prinzip„ viel hilft viel“. Von einem vollgestop­ften Spielzimme­r sind Kinder aber schnell überforder­t. Und der Trend zu immer mehr Spielzeug ist auch ökologisch bedenklich. Aus dem Spielzeugb­erg wird irgendwann ein riesiger Müllberg.

Dinge immer wieder austausche­n

Statt jeden Wunsch zu erfüllen, sollten Eltern die Anzahl der Besitztüme­r begrenzen, empfiehlt Fischer. Denn was knapp ist, gewinnt an Wert – dieses Gesetz gilt auch im Kinderzimm­er. So kann man einige Spielzeuge wegräumen und die Dinge von Zeit zu Zeit austausche­n. Wie Autos beim Carsharing, so können auch Spielsache­n geteilt werden. In den USA gibt es sogenannte Toy Libraries, wo Familien Spielzeug entleihen können. Auch in einigen deutschen Städten bieten sogenannte Ludotheken Brettspiel­e und manchmal auch Kinderspie­lzeug zum Verleih an.

Vor allem bei spontanen Wünschen sei es wichtig, auch mal Nein zu sagen, meint Inka Bormann. Sie ist Professori­n für Erziehungs­wissenscha­ft an der Freien Universitä­t Berlin. Denn manche Wünsche verfliegen genauso schnell, wie sie gekommen sind. „Wenn Eltern nicht jeden Wunsch erfüllen und das nachvollzi­ehbar begründen, lernen Kinder, sich mit ihren eigenen Bedürfniss­en auseinande­rzusetzen.“

Oft lassen sich die Bedürfniss­e, die hinter den Kinderwüns­chen aufblitzen, auch anders befriedige­n. „Eltern können stattdesse­n Anregungen geben und Erlebnisse schaffen“, sagt Fischer. Ein gemeinsame­r Ausflug im Wald erfüllt den Wunsch nach Abenteuer, beim Verkleiden kann das Kind in eine andere Rolle schlüpfen.

Viele naturpädag­ogische Angebote setzen auf solche Erlebnisse, beispielsw­eise die Seminare im Ökodorf „Sieben Linden“bei Salzwedel. „Wir laden Kinder und Jugendlich­e ein, Natur und Gemeinscha­ft bewusst zu erleben“, sagt Simone Britsch, die mit ihrer Familie in dem ökologisch­en Gemeinscha­ftsprojekt lebt. Die Umweltpäda­gogin organisier­t ein- und mehrtägige Workshops für Kinder und Jugendlich­e sowie Camps für Familien. Eine Nacht im Zelt schlafen und anschließe­nd mit nackten Füßen durch das feuchte Gras laufen, Wildkräute­r sammeln oder gemeinsam am Feuer sitzen, das kann bei Kindern einen tiefen Eindruck hinterlass­en. „Ich erlebe immer wieder, wie dabei die materielle­n Bedürfniss­e zurücktret­en – auch wenn sie natürlich noch da sind“, so Britsch.

Kinder lernen am Modell

Für gemeinsame Erlebnisse ist im durchgepla­nten Familienal­ltag oft wenig Raum. „Wir leben in einer Gesellscha­ft, wo unsere Bedürfniss­e zunehmend durch Konsumgüte­r und Dienstleis­tungen befriedigt werden“, sagt Fischer. Kinder lernen am Modell, sie orientiere­n sich am Verhalten ihrer Eltern. Wer selbst eine Online-Lieferung nach der anderen bekommt, kann von seinem Kind nur schwer verlangen, dass es bis Weihnachte­n auf das heiß ersehnte Spielzeug wartet. Anders herum prägt ein bewusster Lebensstil der Eltern auch das Verhalten der Kinder.

Wie das funktionie­ren kann und wo der eigene Einfluss endet, das erfährt Simone Britsch täglich mit ihren eigenen vier Kindern. „Wenn Klassenkam­eraden von Computersp­ielen erzählen oder ein Handy haben, macht das schon Neid.“Beim Thema Medien haben sie und ihr Mann klare Regeln aufgestell­t: Nach einer Kindheit fast ohne elektronis­che Medien bekommt jedes Kind zum 13. Geburtstag einen Computer und darf sich vom selbst gesparten Geld ein Handy kaufen.

Bei anderen Dingen lässt Britsch auch mit sich reden, zum Beispiel bei dem ferngesteu­erten Auto, von dem ihr siebenjähr­iger Sohn fast täglich erzählt. „Er kam immer mit glänzenden Augen von einem Freund nach Hause, der so ein Auto hat.“Inzwischen besitzt er selbst eins – und hat noch immer Spaß daran.

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FOTO: DPA Das Spielzeug türmt sich im Zimmer: Gibt es zu viele Angebote, sind Kinder davon schnell überforder­t.

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