Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Knut Kircher befürwortet den Videobeweis
OSTRACH - Stargast Knut Kircher war ein echter Gewinn für den Pressestammtisch im Rahmen des 48. Internationalen Juniorenfußballturniers um den Yokohama-Cup. Kircher, der auf Einladung von Herbert Dettling, einer der Turniergründerväter, nach Ostrach gekommen war, berichtete aus seinem Leben als Schiedsrichter, ordnete aber auch die Geschehnisse vom Samstagabend beim DFB-Pokalfinale zwischen Bayern München und Eintracht Frankfurt (1:3) in Berlin ein, als Schiedsrichter Zwayer - trotz Ansicht des Videobeweises - in der Schlussminute keinen Elfmeter gegeben hatte. „Für mich eine Fehlentscheidung“, sagte Kircher darauf angesprochen. Der 49 Jahre alte, ehemalige Bundesligaschiedsrichter aus Rottenburg gab zu, zu anfangs ein Skeptiker des Videobeweises gewesen zu sein. „Ich war zunächst der Meinung, vor der Einführung, man sollte alles so belassen.“Doch wenn der Videobeweis dazu diene, die Entscheidungen gerechter zu machen, sei der Einsatz gerechtfertigt. Nur die Umsetzung sei noch nicht ausgefeilt, räumte Kircher ein. „Welchen Anspruch hat die Öffentlichkeit? Welches Szenario wünscht sich der Fan? Den Videobeweis abzuschaffen, ist für mich keine Option. Aber was soll er dann erfüllen?“Es gelte vielmehr, das Publikum besser auf dem Weg mitzunehmen, es teilhaben zu lassen, damit die Entscheidungen transparent würden. So wie in der National Football League in den USA, sagte der dreifache Familienvater, sei eine Möglichkeit.
Dennoch warnte Kircher davor, die Fankultur auf beiden Kontinenten zu vergleichen. „In den USA kommt einem das Publikum fremdgesteuert vor. Ich war mal bei einem Eishockeyspiel in den USA. Da erscheint dann auf der Anzeigetafel, jetzt Reihe soundso klatschen. Oder Sitz 25 in Reihe vier hat einen Hotdog gewonnen. Dann gehen die halt mitten im Spiel raus und holen sich einen Hotdog... Wenn Sie in Deutschland eine Entscheidung treffen und diese dann revidieren, dann können Sie nicht alle Fans mitnehmen. Hätte Zwayer zum Beispiel den Elfmeter gepfiffen, hätten wahrscheinlich nicht alle Frankfurt-Fans gesagt: Ja, der hat Recht“, sagte Kircher mit einem Augenzwinkern. Also gelte es noch die richtigen Modalitäten zu finden, um den Videobeweis transparenter zu machen. Kircher zitierte das Beispiel des Elfmeters bei der Partie Mainz Köln, als der Schiedsrichter beide Mannschaften für einen Elfmeter nochmals aus dem Kabinengang holte. „Es geht darum, aus diesem Fall neue Erkenntnisse zu ziehen.“Es sei wie bei der Feuerwehr, die regelmäßig Einsätze übe - aber plötzlich zu einem Brand komme, der sie vor ganz neue Herausforderungen stelle. Es gehe beim Videobeweis auch viel um Routine und Erfahrungen, die man sammle, um die Abläufe beim nächsten Mal zu optimieren.
Natürlich sei der fehlende Respekt auf und neben dem Platz ein großes Problem. Stichworte wie Rudelbildung, Gesprächsbedarf und vieles mehr kommen da auch Knut Kircher in den Sinn. „Wenn ich auf dem einen Ohr den Videoassistenten habe und auf dem anderen kommen Spieler, die sagen wir mal Gesprächsbedarf haben...“, sei das schon durchaus eine nicht leicht zu verarbeitende Situation. Dennoch komme auch der Humor im Stadion nicht zu kurz. Kircher erinnerte an eine Anekdote, als ihn einst Stefan Effenberg „ermahnte“: „Pfeifen Sie mal besser, Herr Kircher.“Dann habe er, so Kircher gesagt: „Dann spielen Sie mal besser.“
Knut Kircher hat in seiner Karriere einige große Spiele geleitet, darunter über 20 Länderspiele sowie das DFBPokalfinale im Jahr 2008 (Bayern München - Dortmund 2:1). „Das war mein persönliches Highlight“, gesteht Kircher. Dennoch herrsche vor so einem Spiel Druck, von dem man sich freimachen müsse. „In der Regel erfährst du zehn Tage, dass du dieses Spiel leitest. Plötzlich steigt die Zahl der Leute, die dich kennen kennen, die sich mit dir unbedingt noch einmal drüber unterhalten ,müssen’ wie das Spiel auszugehen hat. Auch im Flieger wirst du erkannt und wieder gibt’s gute Ratschläge.“Am Tag vor dem Spiel treffe man dann mit seinen Assistenten zusammen, der Spieltag selbst verlaufe ruhig, „ein Spaziergang vielleicht.“Und während des Spiels? „Da denkt man auch mal, um runterzukommen, an ein schönes Bild am Stadiondach“, gab Knut Kircher, Schiedsrichter des Jahres 2012, zu.
Seit Kircher seine Karriere altersbedingt beenden muste - im Alter von 46 ist für Bundesligaschiris Schluss habe er aber keineswegs mehr Zeit. „Damals haben viele zu meiner Frau gesagt: Ja, dann ist dein Mann ja jetzt öfter zu Hause. Meine Frau hat nur gesagt: Das glaube ich nicht. Sie hat Recht behalten.“Zum einen ist Kircher als Teamleiter bei der Daimler AG viel unterwegs, auch im Ausland, zum anderen kümmert er sich als Coach um den Schiedsrichternachwuchs und er hat im Württembergischen Fußball-Verband (WFV) den Job des Ehrenamtsbeauftragten übernommen. Er nimmt an den Ehrenamtsveranstaltungen in den Bezirken teil, zeichnet aus, hält Laudationes und wird nicht müde, die Bedeutung des Ehrenamtes zu betonen. „Gerade was die kleinen Vereine leisten ist phänomenal. Dies zu würdigen liegt mir am Herzen.“Nur pfeifen, das tut Knut Kircher nicht mehr, abgesehen vom einen oder anderen Benefizspiel. „Nein, das möchte ich niemandem antun. Dazu ist meine Toleranzschwelle mittlerweile zu niedrig.“