Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Hoffenheim ist das neue Leverkusen
Das Interesse des FC Bayern an Kevin Vogt könnte auf einen Paradigmenwechsel deuten
MÜNCHEN - „Wir werden nix mehr investieren, sondern werden unsere Spieler dazu bringen, besser zu spielen“, sagte Uli Hoeneß am Rande der eher lauwarmen Meisterfeier des FC Bayern München am Münchner Marienplatz am Sonntag. „Einen 100Millionen-Transfer werden wir dieses Jahr sicher nicht machen“, verdeutlichte der Präsident.
Dies scheinen zwar nicht alle in der Führungsebene des Rekordmeisters so zu sehen –„wir haben kein Limit. Wenn wir einen Spieler unbedingt wollen und der kostet 80 oder 90 Millionen, werden wir irgendwann springen müssen“, hatte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge noch vor dem 1:3 im Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt gesagt – doch momentan scheinen beim Rekordmeister eher die Sichtweisen des Präsidenten mehrheitsfähig zu sein.
Taktik nicht mehr so wichtig
Dazu passt auch das neueste Transfergerücht. Demnach soll Bayern stark an einer Verpflichtung von Hoffenheims Verteidiger Kevin Vogt interessiert zu sein. Wie der „kicker“berichtet, soll der 26-Jährige der Wunschspieler des neuen Trainers Niko Kovac sein, weil der sowohl in in einer Dreier-, als auch Viererkette spielen könne und zudem passsicher ist. Vogt könnte nach Sebastian Rudy, Niklas Süle und Sandro Wagner bereits der vierte Neuzugang aus Hoffenheim seit Sommer 2017 werden; zudem kommt im Sommer noch der ausgeliehene Serge Gnabry zurück.
Wird Hoffenheim also das neue Leverkusen? Oder der neue KSC? Der Bundesligaclub, bei dem sich der FCB am liebsten bedient. Anfang des Jahrtausends kamen Robert Kovac, der nun als Co-Trainer seines Bruders zurückkehrt, Michael Ballack, Zé Roberto und Lucio aus Leverkusen. Anfang der 1990-er Jahre waren Michael Sternkopf, Oliver Kreuzer, Markus Schupp, Mehmet Scholl und Oliver Kahn aus Karlsruhe gekommen.
Nun hat Vogt eine sehr gute Saison gespielt. Doch international dürfte so ein Transfer nicht wirklich für Nervosität sorgen. Doch womöglich wollen das die Bayern ja gar nicht mehr. Womöglich findet in München gerade ein Paradigmenwechsel statt.
Man habe sich für Kovac als Trainer entschieden, „weil er wie Jupp das Familiäre und Menschliche hat. Das ist wichtiger, als wenn uns einer
erklären kann, was eine falsche Neun oder flache Raute ist“, sagte Hoeneß am Sonntag auch. Das sollte wahrscheinlich vor allem eine Spitze in Richtung Thomas Tuchel sein, der zwar wie kaum ein anderer den Unterschied zwischen einer flachen Raute und einer abkippenden Sechs erklären kann, der den zu lange zögernden Bayern aber einen Korb gab und sich für Paris St. Germain entschied.
Doch Hoeneß’ Sätze sind auch entlarvend. Wenn Bayern keine verrückten Dinge auf dem Transfermarkt machen will und das präsidiale Wohlbehagen über die taktische Ausbildung oder über eine Spielidee stellt, bedeutet das in letzter Konsequenz auch eine Rolle rückwärts.
Bis 2007 war das Festgeldkonto des FC Bayern Legende und Verpflichtung zugleich. Bayern war schuldenfrei und stolz drauf. Man kaufte der nationalen Konkurrenz die besten Spieler weg, viel mehr aber auch nicht. Die Bundesliga dominierte man ja, in der Champions League war man als Club der Kategorie 1b für eine Überraschung gut.
Kein Festgeldkonto finanziert einen Neymar
2007 aber verpasste Bayern die Champions League – und öffnete das Festgeldkonto. Für rund 90 Millionen Euro kamen auf einen Schlag Franck Ribéry, Miroslav Klose und Luca Toni. Plötzlich konnte man in München ähnlich viel verdienen wie in Mailand, Madrid, Barcelona oder London. Und plötzlich wollten sie in München nicht nur erfolgreich sein, sondern auch schön spielen. Louis van Gaal, Jupp Heynckes und Pep Guardiola schufen ab 2009 Bleibendes. Drei Champions-League-Finals, sieben Meisterschaften, vier Pokalsiege, 2013 das Triple – und das bis 2016 mit einem unverkennbaren Ballbesitzfußball. Der FC Bayern war, auch dank seiner Idee von Fußball, auf Augenhöhe mit Barcelona, Real Madrid und Co.
Und jetzt? „Real soll ruhig Neymar kaufen, wir müssen anders sein. Wir müssen langfristiger planen als einige dieser Clubs, die sich auch mal kurzfristig von einer WM oder EM beeinflussen lassen und dann teuer einen Spieler einkaufen“, sagte Sportdirektor Hasan Salihamidzic der „Süddeutschen Zeitung“. Klar, kein Festgeldkonto der Welt finanziert auf einem total irrationalen und zunehmend überhitzten Markt einen Neymar.
Für, mit Verlaub, Kevin Vogt reicht es aber dicke.