Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Regierung hält Hundeverordnung für ausreichend
Angeklagte müssen sich ein Jahr nach dem Drama in Frohnstetten vor Gericht verantworten
SIGMARINGEN/STUTTGART (sz) - Rund ein Jahr nach dem tödlichen Hundeangriff auf eine Seniorin in Stetten am kalten Markt sieht BadenWürttembergs Innenministerium keinen Grund für strengere Vorschriften. Die Polizeiverordnung über das Halten gefährlicher Hunde sei ausreichend, um Gefahren abzuwehren, teilte ein Ministeriumssprecher am Dienstag mit. Zeitgleich begann vor dem Amtsgericht Sigmaringen der Prozess gegen die Besitzer des Hundes der Rasse Kangal, der in Stetten zugebissen hatte. Der Kangal steht im Südwesten nicht auf der Liste gefährlicher Hunde.
SIGMARINGEN/FROHNSTETTEN - Seit Dienstag müssen sich vor dem Sigmaringer Amtsgericht zwei frühere Halter eines Kangal wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Das Tier riss sich vor genau einem Jahr in Frohnstetten (Kreis Sigmaringen) los, verließ das Grundstück, attackierte eine 72-jährige Passantin und verletzte sie durch seine Bisse tödlich. Der Ehemann des Opfers tritt als Nebenkläger auf.
Die von Oberstaatsanwalt Jens Gruhl verlesene Anklageschrift enthielt Details aus dem Obduktionsbericht. Demnach verstarb die Frau an ihren vielen Verletzungen und dem hohem Blutverlust. Die Staatsanwaltschaft wirft den Haltern des Hundes vor, dass dieser sich aufgrund eines beschädigten und porösen Halsbandes habe losreißen können und das Privatgrundstück obendrein völlig unzureichend gegen einen Ausbruch gesichert gewesen sei. Ein Polizist sagte aus, dass der lediglich 1,20 Meter hohe Lattenzaun zum Haus hin durch ein 80 Zentimeter hohes Brett ergänzt gewesen sei: „Das ist für so ein Tier überhaupt kein Hindernis.“
Entscheidend ist für die Staatsanwaltschaft bei ihrer Anklage auch, dass der Hund den ganzen Tag allein zu Hause war. Die Halterin kam am Tag der Tragödie erst gegen 23.30 Uhr nach Hause – nach rund 16,5 Stunden Abwesenheit und betrunken. Ein Atemalkoholtest ergab an diesem Abend einen Wert von 1,4 Promille. Sie hatte indes nicht nur diesen Kangal allein gelassen, sie hielt noch ein weiteres Exemplar. Außerdem lebten rund 20 Katzen in ihrem Haus.
Angeklagte schirmt sich ab
Die Angeklagte erschien mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze im Gerichtssaal, später schirmte sie sich mit einer Kappe vor den Blicken der Zuschauer ab. Durch ihre Anwälte ließen sich die beiden Angeklagten, die seit Jahren getrennt leben, für den tödlichen Angriff des Hundes entschuldigen. Beide wollen nicht geahnt haben, dass der Kangal ein derartiges Aggressionspotenzial hatte. Die Angeklagte „bedauert zu- tiefst, was passiert ist“, sagte der Verteidiger der 44-Jährigen. Sie sei seit 2007 arbeitslos und inzwischen auch arbeitsunfähig. „Sie hat Depressionen, die in Zusammenhang mit dem schrecklichen Vorfall stehen.“Ähnlich äußerte sich der Anwalt des 48jährigen Angeklagten: „Es tut ihm sehr leid.“Schuld an der Attacke treffe ihn aber nicht. „Er war ja nicht vor Ort und konnte gar nicht wissen, dass die Tiere allein zu Hause sind.“
Der Mann wohnt nicht in Frohnstetten und hatte die Kangal über seinen Arbeitgeber erhalten. Weil seine Wohnung zu klein sei, hätten die Tiere bei seiner Frau gelebt – er selbst sei dort lediglich regelmäßig zu Besuch gewesen. Den Kangal, der die 72-Jährige totgebissen hatte, hätten sie aber ohnehin nicht behalten, „sondern in gute Hände abgeben“wollen. Warum sie ihn überhaupt angenommen hatten, blieb unklar. Beide leben von Arbeitslosengeld II und können sich die vielen Tiere nach eigenen Angaben nur dank der Unterstützung der Tiertafel leisten. Emotionen ließen beide Angeklagten nicht erkennen; auch die teils extrem grausamen Schilderungen von Zeugen nahmen sie ungerührt zur Kenntnis.
Ermittler zeichneten vor Gericht das Bild eines völlig verwahrlosten, vermüllten und von den vielen Tieren verkoteten Haushalts. Nachbarn beschrieben die Angeklagte als Alkoholikerin, die im Großen und Ganzen ein zurückgezogenes und unauffälliges Leben führe. Das Amtsgericht muss nun insbesondere bewerten, ob die beiden Kangal artgerecht gehalten wurden. Das bezweifelt der Staatsanwalt klar. Aus seiner Sicht hatten die Tiere zu wenig Platz und zu wenig Auslauf. Die unzureichende Sicherung des Grundstücks und das kaputte Halsband hätten ihr Übriges zu dem Vorfall beigetragen.
Immer wieder kommt es zu Attacken von Hunden. Zuletzt biss ein Kampfhundmischling in Hannover seine Besitzerin und deren Sohn tot. Im April tötete ein Mischlingshund einen sieben Monate alten Jungen in Hessen mit einem Biss in den Kopf. In München fiel kürzlich ein Rottweiler mehrere Passanten an. Der Prozess vor dem Amtsgericht wird am Dienstag fortgesetzt.