Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Von der Jugendsünde zum Geschäftsmodell
2017 wird die Hanfzigarette aus der Schweiz binnen Stunden rund um den Globus bekannt – ihr Erfinder strebt jetzt auf den Weltmarkt
STEINACH/OSTSCHWEIZ - Der Großvater wäre wohl stolz auf seinen Enkel: Ernst Gsell rauchte 1987 mit seinem damals 12-jährigen Enkel Roger Koch im Wald eine Zigarette. Die Pafferei mit dem Opa begründet drei Jahrzehnte später einen Bubentraum besonderer Art, der völlig aus der Zeit gefallen scheint: 2015 gründet Koch seine Tabakmanufaktur Koch & Gsell, 2017 erfindet er die weltweit erste legale Hanfzigarette und wird weltberühmt. Binnen Stunden, nachdem ein Leserbild aus der Zürcher Coop-Filiale Sihlcity bei einer Gratiszeitung gelandet war, hatte der Steinacher Unternehmer die halbe Welt am Telefon. Jeder wollte wissen, was es mit der Zigarette „Heimat Tabak & Hanf “auf sich hatte, und vor allem, wo man die Hanfzigarette kaufen könnte. Dabei ist der Anteil des wirksamen Tetrahydrocannabinol (THC) so gering, dass die Zigarette selbst bei Kettenrauchern zu keinerlei Rauschzustand führt, wie Toxikologen betonen. Also viel Rauch um wenig bis nichts.
Und doch: „Geil“sei dieser 12. Juli gewesen und ein Glücksmoment, sagt Roger Koch heute. Aus dem Nichts und ohne Budget rau(s)chte die Hanfzigarette durch das Internet. „Wir waren parat, aber das war alles ungeplant.“Koch erklärt, dass das Gratisbild eine besondere Spannung vermittelte: „Hier die Hanfzigarette, dort der Supermarkt, Coop war halt am mutigsten.“Inzwischen haben viele Märkte und Verteiler die Zigaretten aus Steinach im Programm: Neben Hanf (grün) gibt es die leichte Helle (gelb) und die stärkere Dunkle (rot). Ein Sortiment aus Ampelfarben, aber berühmt ist nur die Grüne mit der Hanfbeimischung.
Zu Ehren des Großvaters
„Das macht man nur einmal im Leben mit“, sagt Koch mit einem Lächeln auf und einer Zigarette zwischen den Lippen. Der Mann ist kein Kiffer, kein Spinner oder was man sonst mit einem „Hanfzigi-Erfinder“verbinden mag. Im Gegenteil: Koch sei ein Tüftler mit dem Glück des Tüchtigen. Er hat nicht nur den Dreh gefunden, wie man den sich eigentlich beim Mischen mit Tabak verklebenden Hanf zusammenbekommt, sondern auch das zugkräftige Marketing. Den Großvater machte er zum Logo und erfand mit „Heimat einen Namen, den man nicht erklären muss“, sagt der 43-Jährige mit einer Selbstverständlichkeit, die Marketingexperten staunen lässt.
Das Gsell im Firmennamen hat Koch als Hommage an den Großvater hinzugefügt. Der hat das alles nicht mehr erlebt. Ernst Gsell ist 1990 verstorben, bleibt aber dennoch überall präsent. In der Halle steht er lebensgroß auf Holz aufgeklebt und schaut zu, was seit dem Moment passiert, als die Welt auf Koch & Gsell aufmerksam wurde: In einer neuen zweiten Halle im Steinacher Industriegebiet steht inzwischen eine große Maschine, in der der Tabak getrocknet, befeuchtet, gemischt und geschnitten wird. „Die macht in eineinhalb Stunden, was wir bis dato in zwei Tagen schafften“, zeigt Koch auf die Maschine, eine sogenannte „Primary“. Er steht derweil am „Maker“und „Packer“– also am „Secondary“– und raucht zu diesem zweiten Arbeitsschritt fürs Foto, was das Zeug hält. Auf seinem T-Shirt prangt natürlich Großvater Ernst.
Daneben stehen noch verpackte neue Maschinen für schnelleres Füllen und Verpacken. Koch ist Unternehmer, der das Risiko nicht scheut. Das Geld aus dem Anfangserfolg hat er wieder investiert. Der Mann will die Schweiz und die Welt erobern. Und er hat viele Ideen, manche davon sind aber noch nicht reif zur Publikation, wie er um Diskretion bittend betont. Schon 1987 hat er mit seinen beiden Brüdern eine Zigarette für den Flohmarkt produziert: „Schädel Extra hieß die“, sagt er lachend, „mit einem Totenkopf drauf. War aber im Grunde nur Laub drin.“Einer der Brüder arbeitet heute bei ihm.
Koch & Gsell ist nicht sein erstes Unternehmen: Der gelernte Berufsschullehrer hatte die Übersetzungsagentur Diction AG gegründet, zog sich 2015 beim Stand von 60 Mitarbeitenden aus dem operativen Geschäft zurück und verkaufte die Firma an den aktuellen Geschäftsführer. Viel Geld aus dem Verkauf hat er in die neue Firma investiert. Die Anfangsjahre waren hart: An manchen Tagen gab der Geldautomat keine Scheine mehr heraus. Was seine Frau dazu sagte? Sie wisse, auf wen sie sich eingelassen habe, meint Koch. Seine fünf Kinder rauchen alle nicht. „Das kennt man ja. Die Rebellion gegen die Eltern. Man macht fast immer das Gegenteil.“In diesem Fall scheint Koch aber nicht unglücklich über die Gegenreaktion zu sein.
Die ersten Wochen nach dem Welterfolg arbeiteten in Steinach alle rund um die Uhr. Sie waren auf 10 000 Päckchen pro Woche eingestellt gewesen, 30 000 wurden es. Inzwischen arbeiten 25 Leute für Koch & Gsell, viele können aus der nun viel effizienteren Produktion an die Kundenfront abgezogen werden. „Was wir jetzt am Point of Sale, also am Verkaufspunkt machen, ist Knochenarbeit.“30 000 Päckchen pro Woche verkauft er derzeit, 100 000 könnte er bald schaffen. „Platz nach oben ist da: 10 Millionen Päckchen Zigaretten werden allein in der Schweiz pro Woche verkauft“, rechnet
„Gerade die Russen interessieren sich für diese ökologische Schweizer Variante.“Roger Koch über die Nachfrage nach seinen Zigaretten.
er vor – zwischen Proben von Mischungen, die er während des Gesprächs munter testet. Voller Aschenbecher garantiert.
Aber die Schweiz reicht ihm nicht. Leider, aus seiner Sicht, sind in der EU Hanfzigaretten verboten. Aber Koch glaubt an seine „Hanfzigi“. In einigen Ländern der EU suchen Anwälte den juristischen Dreh. Das bedeutet Knochenarbeit nicht nur beim Kunden, sondern auch am Schreibtisch.
Zur Produktion könnte er dann mit einer mobilen Einheit für den zweiten Arbeitsschritt in die EU fahren, damit er den 57-prozentigen Strafzoll auf Tabakexporte in die EU legal umgehen kann. Der Zoll fällt nämlich nur an, wenn beide Arbeitsschritte in der Schweiz gemacht werden. Wie gesagt, der Mann hat Ideen. Und dann gibt es noch Indien, Kanada und andere Weltmärkte, die sich für seine Zigarette interessieren, teils ohne Strafzölle. Koch nennt sein Testrauchen „Forschung & Entwicklung“– Chefsache.
Er mischt im Büro Tabaksorten mit Hanf, befeuchtet mit einer Sprühdose, macht sich die Zigarette mit der Handmaschine und raucht die Proben. Nicht nur Hanf-, sondern auch normale, leichtere wie gehaltvollere Glimmstängel. Aktuell tüftelt er an einer Mischung mit Minze. Einzige Bedingung: Alle Zutaten müssen aus der Schweiz kommen: Tabak, Beimischungen und Bodenseewasser – alles soll sauber sein und ohne Chemie. „Gerade die Russen interessieren sich für diese ökologische Schweizer Variante“, erklärt Koch und verweist auf die Bekanntheit etwa von Schweizer Wasser in Russland.
Ein erfüllter Bubentraum
Der Weg zum Welterfolg à la Ricola oder Valser werde natürlich lang und hart sein. Da mache Roger Koch sich keine Illusionen, aber der Bubentraum sei erfüllt. Er hat nach eigenen Angaben ersten Kaufangeboten für seine Firma aus Indien, Kanada oder China widerstanden. Wie kam der Traum von 1987 dann Jahrzehnte plötzlich an die Oberfläche? „2009 bekam ich ein Buch in die Hände, über den Tabakanbau im eigenen Garten. Davon hatte mein Großvater mir beim Rauchen im Wald erzählt.“Erst wurde im Garten angebaut und getestet, später in Steinach produziert. So einfach kann es mit Träumen sein, wenn man sie realisiert. „Was wir hier tun, ist verrückt und gegen den Trend“, sinniert Koch, „aber ich hätte es mir nicht verziehen, hätte ich es nicht versucht“.