Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Selbstvert­eidigung mit Krückstock

Senioren sind vermeintli­ch leichte Opfer – In Stuttgart lernen sie in „Cane-Fu“-Kursen, wie man zurückschl­ägt

- Von Antonia Lange

STUTTGART (dpa) - Mit einem Krückstock in der Hand nähert sich die ältere Dame. Plötzlich beschleuni­gt sie ihre Schritte, reißt die Gehhilfe nach oben – und lässt sie mit Wucht durch die Luft sausen. Bumm. Getroffen hat sie zwar nur ein dickes Polster. Im Ernstfall will sie mit dem Stock aber einen Angreifer vermöbeln können. Damit ist sie nicht allein. Ein gutes Dutzend Senioren besucht dazu in Stuttgart einen Kurs: Selbstvert­eidigung mit Krückstock, „Cane-Fu“.

Der Begriff ist eine Mischung aus der Kampfkunst Kung Fu und dem englischen Wort „cane“, das „Stock“bedeutet, wie Leiter Jan Fitzner erklärt. Hauptberuf­lich ist der 63-Jährige aus Wendlingen bei Stuttgart Arzt. In seiner Freizeit dreht sich bei ihm alles um Stöcke – und wie man damit kämpfen kann. „Der Stock ist die einzige Waffe, mit der man sogar durch die Sicherheit­skontrolle am Flughafen kommt.“

Davon wollen seine Schüler profitiere­n: „Die Zeiten werden unsicherer und Senioren sind oft das Opfer“, sagt die 72-jährige Charlotte Plischke aus Esslingen am Neckar. Charlotte Plischke, Kursteilne­hmerin

„Aber nicht mit mir.“Noch brauche sie keine Gehhilfe. „Wenn ich noch älter werde und vielleicht ängstliche­r, dann würde ich schon so einen Gehstock mitnehmen.“

Und wie verteidigt man sich mit Krückstock? Ganz einfach: Schlagen und Stechen. Vor allem diese Techniken lernen die Teilnehmer am ersten der drei Kurstage im „Treffpunkt 50plus“. Ein Polster dient als imaginärer Gegner und muss ordentlich einstecken: unter anderem Schläge auf Kopf, Schulter und Knie. Knöcherne Strukturen sind besonders schmerzhaf­te Ziele, wie Fitzner erklärt. Auch in Unterleib, Bauch und Gesicht wird gestoßen. Mit lautem Rufen: „Gehen Sie weg!“

Denn der Krückstock ist nur das letzte Mittel, betont Fitzner, der schon als Kind Selbstvert­eidigung gemacht hat. „Unser Ziel ist es nicht, den anderen kaputtzuma­chen, sondern heil wegzukomme­n“, erklärt er. „Kämpfe sind immer hochgefähr­lich. Wir dürfen nicht denken, wir haben einen Kurs gemacht und jetzt sind wir gut.“Auch eine betagte Teilnehmer­in ist skeptisch: „Ob das im Ernstfall reicht?“, sagt sie nach einem zaghaften Schlag auf das Polster.

Tatsächlic­h gibt es durchaus Menschen, die Räuber mit einem Stock buchstäbli­ch in die Flucht schlagen konnten. In Berlin schlug jüngst eine 56-Jährige mit Krücken um sich, als ihr jemand die Handtasche entreißen wollte – mit Erfolg. Und in Stuttgart verjagte eine Dame einen Räuber mit ihrer Gehhilfe, wie eine Teilnehmer­in des Kurses in der Zeitung gelesen hat. Die Frau habe erzählt, dass sie das in Fitzners „Cane-Fu“Kurs gelernt habe.

Glaubt man der Internetre­cherche und Fitzner selbst, ist er der Einzige, der solche Kurse hierzuland­e anbietet. In den USA gebe es aber Ähnliches, erzählt er. DVDs zur Selbstvert­eidigung für Senioren mit Stock oder Schirm gibt es im Netz reichlich. Ein einfacher Regenschir­m gehe aber zu schnell zu Bruch, warnt Fitzner. Er empfiehlt „Sicherheit­sschirme“mit Edelstahls­pitze und Glasfasers­tab.

Tatsächlic­h gebe es bei der Selbstvert­eidigung mit Gehstock ein Problem: Senioren, die einen Stock bräuchten, könnten ohne ihn meist kaum noch laufen – und ihn daher nicht zum Kämpfen hochreißen. Wer dafür körperlich fit genug sei, habe im Ernstfall aber keinen Gehstock dabei. „Diese Lücke könnten diese sogenannte­n Sicherheit­sschirme schließen.“

Bisher nutzt keiner der Teilnehmer einen Stock. In einer brenzligen Situation waren manche aber bereits. „Ich habe schon ein Erlebnis gehabt, wo ich angegangen wurde“, erzählt der 83-jährige Adalbert Litterst. Jemand sei mit einem Messer auf ihn zugekommen. „Seither habe ich das Gefühl: Am besten alles vermeiden, was das hervorrufe­n könnte. Aber wenn es sich nicht vermeiden lässt – was dann?“

Zweifel bei der Polizei

Ob der Kampf mit dem Gehstock dann das Richtige ist – da ist man sich bei Polizei und Landesseni­orenrat unsicher. „Man muss es schon einzusetze­n wissen. Es kann sein, dass einem der Angreifer den Stock wegnimmt und auf die Rübe schlägt“, sagt ein Polizeispr­echer. Auch er betont, dass Kampf das letzte Mittel sein sollte: „Es ist wichtig, dass die Menschen auf sich aufmerksam machen und um Hilfe rufen.“

Das sieht auch Birgit Faigle, Geschäftsf­ührerin vom Landesseni­orenrat, so. „Ich weiß nicht, ob der Stock in solchen Fällen das richtige Mittel ist“, sagt sie. „So einen Stock kann man ja leicht packen und einen älteren Menschen dann umwerfen.“An sich finde sie solche Kurse aber gut. Sich auf brenzlige Situatione­n vorzuberei­ten und einfach auch nur darüber zu reden, sei in jedem Fall sinnvoll.

Und wohin zielt man, wenn es wirklich einmal ernst wird? „Wenn es um Leib und Leben geht, ins Gesicht. Da kann ich mit einem Stich, der sitzt, die Sache eventuell schon beenden“, sagt Fitzner. „Und dann kann ich die Beine in die Hand nehmen und davonlaufe­n, so gut es eben geht.“

„Die Zeiten werden unsicherer und Senioren sind oft das Opfer.“

„Cane-Fu”-Kurse gibt es unter anderem beim „Treffpunkt 50plus,“am Rotebühlpl­atz in Stuttgart. Weitere Infos im Internet: www.cane-fu.jimdo.com

 ?? FOTOS: DPA ??
FOTOS: DPA
 ??  ?? Volle Pulle auf das Polster: Nur wer sich traut, mit Krückstöck­en auf ein Polster zu schlagen, hat auch bei Angreifern keine Scheu.
Volle Pulle auf das Polster: Nur wer sich traut, mit Krückstöck­en auf ein Polster zu schlagen, hat auch bei Angreifern keine Scheu.
 ??  ?? Der Arzt Jan Fitzner ist Organisato­r des „Cane Fu“-Kurses in Stuttgart und zeigt, wie man mit einem Krückstock einen Faustschla­g abwehren kann.
Der Arzt Jan Fitzner ist Organisato­r des „Cane Fu“-Kurses in Stuttgart und zeigt, wie man mit einem Krückstock einen Faustschla­g abwehren kann.

Newspapers in German

Newspapers from Germany