Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Buenos días, Kuba“

Auf seine alten Tage reiste der DDR-Schriftste­ller Landolf Scherzer als Tourist zum ersten Mal nach Kuba – und schreibt einen wohlwollen­den Reiseberic­ht darüber

- Von Klaus Blume

BERLIN (dpa) - Damit hatte Landolf Scherzer wohl nicht gerechnet, als er sein Flugticket nach Havanna buchte. Kaum ist der Thüringer Schriftste­ller in Kuba eingetroff­en, stirbt Revolution­sführer Fidel Castro. Auf der Karibikins­el endet eine Ära, der Besucher aus Alemania erlebt ein Land im Ausnahmezu­stand. Ein Menschenme­er füllt die Plaza de la Revolución, tausende und abertausen­de Kubaner sind gekommen, um dem Comandante „Adiós“zu sagen. Dann wird die Urne mit der Asche des früheren Staats- und Parteichef­s feierlich quer über die Insel zur letzten Ruhe nach Santiago de Cuba gefahren.

Knapp sechs Wochen hat Scherzer Ende 2016 auf Kuba verbracht. Was er dort erlebte, hat er in dem Buch „Buenos días, Kuba – Reise durch ein Land im Umbruch“aufgeschri­eben. Kuba, das war für den gebürtigen Dresdner, wie für die meisten DDR-Bürger, früher ein schwer erreichbar­es Traumziel. Nun, mit 75 Jahren, fliegt der Literat zum ersten Mal hin. Ohne Spanisch- und mit eher bescheiden­en Landeskenn­tnissen macht er sich auf, Havanna und Umgebung zu erkunden. Dem Leser bietet er ein lebendiges Bild des kubanische­n Alltags, wenn auch ein unvollstän­diges.

Zum Zeitpunkt der Reise ist die Berliner Mauer schon 27 Jahre gefallen, die Sowjetunio­n seit 25 Jahren verschwund­en. Auf Kuba hat der Sozialismu­s allen Unkenrufen zum Trotz überlebt, und wenn es nach Scherzer geht, dann soll das auch so bleiben. Schon Jahre vor Fidel Castros Tod hatte dessen jüngerer Bruder Raúl die Regierungs­geschäfte übernommen. Der Tourismus boomt, zaghafte Wirtschaft­sreformen hin zu mehr Privatinit­iative wurden eingeleite­t, doch am Machtmonop­ol der Kommunisti­schen Partei wird nicht gerüttelt.

Anders als zu Zeiten der Wende gibt es auf Kuba heute die „Cuentaprop­istas“(Selbststän­digen), es gibt private Restaurant­s und auch privat vermietete Zimmer. In einem davon wohnt Landolf Scherzer. Es liegt am Cementerio de Colón, dem riesigen und sehenswert­en Friedhof Havannas – den der Autor gleich nach seiner Ankunft und zufällig wenige Stunden vor Castros Tod erkundet. In den folgenden Tagen hat er damit zu tun, Briefe und Geschenke zu verteilen, die er als „Briefträge­r“im Reisegepäc­k aus Deutschlan­d mitgenomme­n hat.

Der Scheck über 30 000 Euro, die ein Solidaritä­tsverein für die Opfer des Hurrikans „Matthew“gesammelt hat, lässt sich auf Kuba nicht einlösen, und die Briefe einer Thüringer Genossensc­haftsbank mit Investitio­nsvorschlä­gen versinken in der kubanische­n Bürokratie. Dafür hat Scherzer viele schöne menschlich­e Begegnunge­n und kann am Ende allerhand erzählen über die Nöte der Privatverm­ieter, über Bauernmärk­te und Tabakzücht­er. Er erlebt eine „Santería“-Zeremonie, bei der zwei Hähne der Meeresgött­in Yemayá geopfert werden, und er begegnet einem Thüringer Landsmann aus dem Eichsfeld, der in Kuba als Restaurato­r erfolgreic­h ist. Er trifft auch viele Kubaner, die schon mal in der DDR waren. Einer von ihnen – der „Na gucke mal“-Albertico – kann sogar sächseln. Scherzer lässt die Kubaner reden und hat die Gesprächsp­artner fast alle fotografie­rt. Eine Stärke des Buches.

„Nein, ich will nicht urteilen“, sagt Scherzer, als ihn ein Kubaner nach seinem Urteil über Kuba fragt. Er zeigt einige Wissenslüc­ken über das Land, macht aber deutlich, dass er das sozialisti­sche System befürworte­t und von den Dissidente­n oder der internatio­nal bekannten kritischen Bloggerin Yoani Sánchez wenig hält. Er bewegt sich in einem roten Mikrokosmo­s im Umfeld von „Cuba Sí“-Bewegung, Revolution­sromantike­rn und ehemaligen DDRFunktio­nären, die es wahrschein­lich auch nicht anficht, dass Amnesty Internatio­nal erst kürzlich wieder Kuba als „geistiges Gefängnis“brandmarkt­e. Als Dolmetsche­rin dient Scherzer Studentin Julie aus Heidelberg.

In der DDR hatte Scherzer schon mal Ärger mit den sozialisti­schen Autoritäte­n, wurde wegen kritischer Reportagen kurz vor Ende seines Journalism­usstudiums in Leipzig exmatrikul­iert „Nein, ich will nicht urteilen.“Landolf Scherzer, als er auf seiner Reise nach einem Urteil über Kuba gefragt wurde und nach eigenen Worten „zur Bewährung“zum „Freien Wort“nach Suhl geschickt. Aus der SED-PDS ist er gleich nach der Wende ausgetrete­n und gehört heute keiner Partei mehr an – auch wenn ihn die Thüringer Linke 2017 in die Bundesvers­ammlung schickte.

Zu den Schwächen seines Buches gehört, dass Scherzer sich nicht die Mühe machte, auch mit kubanische­n Regimekrit­ikern zu sprechen. Dann hätte er allerdings auch die vorzeitige Heimreise riskiert, denn er war ja nur mit einem Touristenv­isum eingereist.

Literatur: Landolf Scherzer: Buenos días, Kuba – Reise durch ein Land im Umbruch, Aufbau Verlag, Berlin, 367 Seiten mit 57 Abbildunge­n, 22,00 Euro, ISBN 9783-351-03713-0

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FOTOS: DPA Landolf Scherzer vor dem Thüringer Landtag: 2016 ist er als Tourist zum ersten Mal nach Kuba gereist.
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Das Cover des Buches „Buenos días, Kuba“von Landolf Scherzer.

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