Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Abschiebestopp soll enden
Merkel für Kurswechsel in Sachen Afghanistan
BERLIN (dpa/se) - Nach dem jüngsten Regierungsbericht zur Lage am Hindukusch sieht Bundeskanzlerin Angela Merkel keine Notwendigkeit mehr für einen Abschiebestopp nach Afghanistan. „Aus unserer Sicht sind die Einschränkungen entfallen“, sagte die CDU-Vorsitzende am Mittwoch bei der Regierungsbefragung im Bundestag. Bislang gibt es einen teilweisen Abschiebestopp nach Afghanistan. Ausnahmen gelten nur bei Gefährdern und Straftätern sowie bei Menschen, die bei der Identitätsfeststellung nicht mitwirken.
Bei der Regierungsbefragung nahm Merkel außerdem Stellung zur Außenpolitik und zu Bamf-Skandal und Flüchtlingspolitik. Merkel stellte sich erstmals in ihrer Amtszeit den Fragen der Abgeordneten. Dieses neue Format hatte die SPD in den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU durchgesetzt. Künftig soll sich Merkel dreimal pro Jahr dem Parlament stellen.
RAVENSBURG - Am Ende macht Angela Merkel ein Versprechen. „Ich komm’ ja wieder“, sagt sie ins Mikrofon vor ihrem Sessel auf der Regierungsbank, dann lächelt sie und setzt sich. 30 Fragen hat Merkel zuvor beantwortet. Hinter ihr liegt eine historische Stunde: Zum ersten Mal hat sich die Kanzlerin im Bundestag in einer Regierungsbefragung den Abgeordneten gestellt. Eine Minute hatte jeder Fragesteller Zeit, eine Minute die Kanzlerin für ihre Antwort.
Merkel beweist bei dieser Premiere, dass sie eine Meisterin darin ist, politische Gegner mit ihren Fragen gnadenlos auflaufen zu lassen.
Im ersten Teil der Fragestunde geht es um Außenpolitik, genauer um den G7-Gipfel am kommenden Wochenende in Kanada. Merkel verspricht, dass sie gegenüber US-Präsident Donald Trump auf Klimaschutz-Standards bestehen wird. Interessant ist vor allem eine Antwort der Kanzlerin: Sie will darauf hinarbeiten, dass die EU einen Sitz im UNSicherheitsrat bekommt – damit Europa mehr Einfluss bekommt.
Die ersten Fragen sind im Ton sachlich. Die Opposition fragt kritisch, die Abgeordneten der Regierungsfraktionen zahm. Im zweiten Teil stehen Fragen zu beliebigen Themen an. Sofort wird es hitzig: AfD-Mann Gottfried Curio zetert – nicht wirklich überraschend – gegen Merkels Flüchtlingspolitik, mit AfDüblichen Parolen von Chaos, Gewalt und Untergang. Und fragt Merkel am Ende: „Wann treten Sie endlich zurück?“Die Kanzlerin atmet tief durch und sagt dann zur Asylpolitik: „Wir haben vieles verändert“. Und sie verteidigt ihre Entscheidung, 2015 in einer „humanitären Ausnahmesituation“die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen. Rücktritt? Dazu sagt sie nichts.
In den Fragen danach geht es um den Skandal um das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), um bezahlbaren Wohnraum, um drohende Dieselfahrverbote, die Sicherheitslage in Afghanistan – aber auch um Plastikmüll und die Frauenquote im Bundestag.
Vier Fragesteller aus der Region
Aus schwäbischer Perspektive besonders interessant: Von den 30 Abgeordneten, die Merkel Fragen stellen, kommen vier aus der Region.
Roderich Kiesewetter (CDU, Aalen-Heidenheim) erhält von Merkel die Auskunft, dass Deutschland breiter mit Japan zusammenarbeiten will. Dem SPD-Mann Martin Rosemann (Tübingen), antwortet Merkel, Arbeitnehmer sollten vor allem durch Weiterbildung im Betrieb fitgemacht werden für den digitalen Umbruch. Den aus Bad Saulgau stammenden Michael Theurer (FDP) lässt die Kanzlerin wissen, dass sie im Dialog mit China verhindern will, dass der deutsche Markt mit chinesischem Stahl überschwemmt wird. Und Theurers Parteikollege Stephan Thomae (Oberallgäu) bekommt von der Kanzlerin zu hören, dass sie den damaligen Bamf-Chef im Laufe der Flüchtlingskrise ab 2015 „unzählige Male“getroffen habe, um mit ihm Probleme beim Bamf zu besprechen.
Nach einer Stunde ist Merkels Premiere zu Ende.