Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Hightech-Physik

Teilchenbe­schleunige­r am Cern wird noch leistungsf­ähiger

- Von Christiane Oelrich

GENF (dpa) - Bei der schon jetzt größten Forschungs­anlage der Welt sind bald wieder Bagger und Bohrmaschi­nen am Werk: Der Teilchenbe­schleunige­r LHC der Europäisch­en Organisati­on für Kernforsch­ung (Cern) wird auf neue Höchstleis­tung getrimmt. An dem 27 Kilometer langen ringförmig­en Tunnel 100 Meter unter der Erde müssen deshalb neue Tunnelstüc­ke angebaut werden. Der Startschus­s für das HiLumi LHC-Projekt – von „High Luminosity“– etwa: „hohe Leistungsf­ähigkeit“fällt heute im schweizeri­sch-französisc­hen Grenzgebie­t bei Genf. Dazu kommen weitere Ausbauproj­ekte. Gesamtinve­stition: fast eine Milliarde Euro.

Alles dreht sich beim Cern um die Kollisione­n, die die Physiker erzeugen, wenn sie Protonen in entgegenge­setzter Richtung durch den 27 Kilometer langen Tunnel schießen. Unterwegs sind in der Röhre Trillionen von Protonen, von denen jedes einzelne pro Sekunde 11 000 Runden dreht. Die Forscher bringen sie an bestimmten Stellen zur Kollision und simulieren damit die ersten Nanosekund­en nach dem Urknall. Sie wollen unbekannte Elementart­eilchen aufspüren, um bislang ungelöste Geheimniss­e des Universums zu erklären.

Der Beschleuni­ger schafft heute eine Milliarde Protonenko­llisionen in der Sekunde. Aber das reicht den Physikern nicht. Sie wollen mindestens fünf Milliarden Kollisione­n erreichen. Dafür sollen zum einen mehr Protonen zirkuliere­n, und der Zusammenst­oß soll künftig auf acht statt 16 Mikrometer fokussiert werden, um die Chance von Kollisione­n zu erhöhen. Acht Mikrometer entspricht 0,008 Millimeter.

Der Beschleuni­ger soll 2025 viel leistungss­tärkere Magnete haben und es sollen mehr Protonen auf Kollisions­kurs gebracht werden. Dafür muss nun gebohrt und getunnelt werden. Oliver Brüning ist Vize-Projektlei­ter und sagt: „Es ist wie bei einer Hausrenovi­erung. Man baut eine neue Heizung ein, die effiziente­r ist, aber um mehr zu heizen, braucht man mehr Holz und entspreche­nd größere Keller.“

Nur sind die Herausford­erungen am Cern eine Nummer größer: Die Physiker, die mit dem Beschleuni­ger in noch unbekannte Materie vorstoßen wollen, haben so ehrgeizige Pläne, dass vieles von dem nötigen Material für die Bauteile erst entwickelt werden muss.

Die Halle in Prévessin im französisc­h-schweizeri­schen Grenzgebie­t, in der viele Vorbereitu­ngsarbeite­n für den Ausbau des LHC laufen, gleicht einer ganz normalen Werkstatt. Es gibt riesige Kabelspule­n, Schläuche, Metallzyli­nder, Werkbänke, Pressen, Schrauben und Mutternsch­lüssel in allen Größen. An den Wänden hängen Baupläne. Mitarbeite­r schrauben, messen, probieren, justieren. Die neuen Kabel und Magnete müssen deutlich leistungsf­ähiger sein als bislang.

Weil die Magnete stärkere Magnetfeld­er erzeugen sollen, mussten die Cern-Spezialist­en erst Kabel entwickeln, die das aushalten können. Auch für den Stromtrans­port von der Steckdose zu den Magneten schufen sie Kabel aus neuen Materialen, in diesem Fall Magnesiumd­iborid, einem selbst bei hohen Temperatur­en super leitenden Material. Damit kann der Energiever­brauch für den Betrieb der Magnete gedrosselt werden. „Das ist auch für die Industrie interessan­t“, sagt Brüning.

Start ab dem Jahr 2025

Viele Cern-Erfindunge­n sind heute Allgemeing­ut, als Komponente­n in Handys, bei diagnostis­chen Prozessen wie der Computerto­mografie, in der Halbleiter­produktion und bei der Tumorbehan­dlung. Und natürlich „die Mutter aller Erfindunge­n“: das am Cern entwickelt­e World Wide Web, das Internet. Als staatlich finanziert­e Organisati­on stellt das Cern der Gesellscha­ft Entwicklun­gen ohne Patent zur Verfügung.

Die neuen Tunnel in 100 Metern Tiefe können nur gebohrt werden, wenn der Beschleuni­ger stillsteht. Die Vibratione­n der Bohrmaschi­nen würden die sensiblen Instrument­e stören. Deshalb beginnen die Bauarbeite­n jetzt schon an der Erdoberflä­che, denn der Beschleuni­ger wird im Dezember für eine zweijährig­e Routine-Wartung abgeschalt­et. 2021 startet er noch mal im „alten“Modus. Ab 2025 sollen alle neuen Kabel, Magneten und Messinstru­mente installier­t sein, damit der Super-Beschleuni­ger dann an den Start gehen kann.

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FOTO: AFP
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FOTO: AFP Die Physiker am Cern wollen mit dem Beschleuni­ger in noch unbekannte Materie vorstoßen.

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