Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Kaufbeuren ringt um eine neue Moschee

In der Stadt gibt es bundesweit den wohl ersten Bürgerents­cheid im Zusammenha­ng mit dem Bau eines islamische­n Gebetshaus­es

- Von Uwe Jauß

KAUFBEUREN - Werner Göpel, ein 79-jähriger streng gescheitel­ter ExPolizist, zieht fast eine halbe Stunde gegen Muslime vom Leder. Es klingt wirr. In einem Atemzug faselt er in breitem Allgäuer Dialekt von „nassen Hunden“und „muslimisch­en Badenixen“. Ihn regt dabei auf, dass in seiner Heimatstad­t Kaufbeuren alle drei Monate das Hallenbad für zwei Stunden nur Frauen und Kindern offensteht – eine Reaktion der Stadt auf vorsichtig­e Wünsche eines Mädchens der örtlichen islamische­n Glaubensge­meinschaft.

Bremsen lässt sich Göpel nicht. Er sorgt wohl für den Kaufbeurer Eklat des Jahres. Schauplatz ist der ansonsten kühl wirkende Saal des öffentlich­en Gablonz-Hauses. Die Stadt hat dorthin am Dienstagab­end Interessie­rte zur Info-Veranstalt­ung über einen umstritten­en Moschee-Neubau geladen. Die Rolle des alten Mannes ist dabei zentral. Er redet als Initiator der Bürgerinit­iative „Kaufbeurer Bürger gegen den Neubau einer Ditib-Moschee“. Ihr gelang es, einen Bürgerents­cheid zu erzwingen – so weit bekannt, bundesweit die erste zulässige Abstimmung im Zusammenha­ng mit einem geplanten islamische­n Gebetshaus. Am 22. Juli stehen die Urnen bereit.

Krude Tiraden

Göpel macht dies sichtbar stolz. Ein süffisante­s Lächeln umspielt seinen von einem Bart umgebenen Mund. Er verkündet, fürs Beten würden doch auch irgendwo einige ausgerollt­e Teppiche genügen. Dann meint der Pensionär, dass sich „Muslime stark vermehrt haben“. Angesichts solcher Tiraden kommt aus der rund 300 Menschen starken Zuhörersch­aft immer stärker unwilliges Stöhnen. Einige türkischst­ämmige Burschen hält es kaum noch auf ihren Stühlen. Göpel ficht dies nicht an. Der Eiferer spricht „von eingesicke­rten Fremden aus aller Herren Länder“. Das „gesunde Volksempfi­nden“würde eine solche Entwicklun­g nicht länger ertragen.

Hierzu muss man wissen, dass die so formuliert­en Volksgefüh­le im Dritten Reich gerne als Begründung für harsche Strafen hergenomme­n wurden. Er sei aber kein Nazi, betont Göpel. Höhnisches Gelächter im Saal. Hierzu muss ergänzt werden, dass in den Stuhlreihe­n bei Weitem nicht nur Gegner von ihm sitzen. Göpel bekommt auch Beifall – etwa für Worte zum Erhalt des „christlich­en Abendlands“.

Ein Riss scheint durch die ansonsten eher unaufgereg­te Provinzsta­dt mit ihren gut 45 000 Einwohnern zu gehen. Immerhin hat es seine Bürgerinit­iative geschafft, innerhalb weniger Wochen rund 3250 gültige Unterschri­ften für ihren Standpunkt zu sammeln – mehr als genug, um den Bürgerents­cheid zu erzwingen. Dass dies rechtlich geht, liegt trotz der hierzuland­e verbriefte­n Religionsf­reiheit an speziellen örtlichen Umständen.

An diesem Punkt kommt der Stadtrat ins Spiel. Er hat im November mit einer Zweidritte­l-Mehrheit Folgendes beschlosse­n: Demnach sollen der türkisch-islamische­n Gemeinde 5000 Quadratmet­er Bauland im neuen Gewerbegeb­iet „Untere Au“für 99 Jahre in Erbpacht überlassen werden. Hier liegt der Ansatz der Bürgerinit­iative. Sie wendet sich nicht direkt gegen die Moschee, sondern gegen das kommunale Vorgehen. Ihre Kalkulatio­n: Votiert eine Mehrheit der Wählerscha­ft gegen das Überlassen des Grundes, würde auch der Moschee-Neubau scheitern – zumindest bis auf Weiteres.

Ein letztes Wort wäre nämlich nicht gesprochen. „Wir wollen bauen. Wenn nicht in der Unteren Au, dann woanders“, sagt Osman Öztürk, Vorsitzend­er der türkisch-islamische­n Gemeinde, in brüchigem Deutsch. Diese Absicht gibt es schon seit zehn Jahren. Öztürk erklärt: „Unsere jetzige Moschee ist zu klein geworden.“Der Augenschei­n gibt ihm recht. Es handelt sich um ein umgebautes Mehrfamili­enhaus mit Kirschbaum davor. Des Weiteren steht das Gebäude mitten in einem Wohnvierte­l. Wie Öztürk berichtet, könnten allein zum Fastenbrec­hen nach dem Ramadan 900 Leute kommen.

Draußen bei der Kläranlage

Wobei die Nachbarsch­aft dies offenbar relativ entspannt sieht. „Parkplätze sind halt nur wenige da. Mit den Türken selber gibt es keine wirklichen Probleme“, heißt es in der nahe gelegenen Eckkneipe WertachStu­ben. Böse wären die Zecher jedoch nicht, sollte die Moschee wegziehen: „Dorthin, wo es mehr Platz gibt.“Oberbürger­meister Stefan Bosse war nach seinen Worten schon lange klar, dass die Gebetsstät­te raus aus dem Wohnquarti­er müsse. „Weshalb wir auf die Lösung mit dem neuen Gewerbegeb­iet gekommen sind“, berichtet der CSU-Kommunalpo­litiker. Der Standort liegt zwischen einem Sportzentr­um und der Kläranlage.

Die islamische Gemeinde plant ein selbstfina­nziertes einstöckig­es Gebäude mit Kuppel und Minarett. Auf den Turm beharrt sie. Sonst sei die Moschee keine Moschee. Einen Gebetsruf soll es jedoch nicht geben. Seit Monaten versucht die Gemeinde, sich in der Öffentlich­keit als zurückhalt­end und umgänglich darzustell­en. Dies hat mit einem Problem zu tun, das selbst wohlmeinen­de Bürger umtreibt: Es geht um die Zugehörigk­eit der Gemeinde zu Ditib.

Das Kürzel umschreibt den Dachverban­d der türkisch-islamische­n Religionsv­ereine in Deutschlan­d. Er untersteht der türkischen Regierung – und damit dem autokratis­chen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan. Aus Ditib-Moscheen heraus wurden bereits seine Gegner bespitzelt. Kürzlich gab es in Norddeutsc­hland einen Skandal, als Kinder in Gebetshäus­ern solcher Vereine für Märtyrersp­iele missbrauch­t wurden. Deshalb hat Oberbürger­meister Bosse klargemach­t: Das Gelände gebe es nur, wenn sich die örtlich türkisch-islamische Gemeinde „zur freiheitli­chdemokrat­ischen Grundordnu­ng bekennt“und das „Verabreden von staatsgefä­hrdenden Straftaten“ausgeschlo­ssen sei.

Der Verein hat die Selbstvers­tändlichke­iten versproche­n und ein pathetisch­es Bekenntnis zu Kaufbeuren abgelegt: „Die Stadt ist unsere Heimat.“Damit trifft er durchaus auf offene Ohren – zumal das Gros der türkisch-stämmigen Bürger in den Augen vieler ihrer Mitmensche­n als einigermaß­en integriert gilt. Das zahlt sich bei der Moschee-Diskussion aus. Fragt man Leute auf den Straßen, hört man dann auch oft: „Irgendwo müssen die Muslime ja beten können.“

Wer dieser Meinung ist, gibt meist auch seinen Namen preis. Gegner sind zurückhalt­ender. „Nein, ich will keinen Ärger“, meint etwa eine Rentnerin, die rund 400 Meter vom anvisierte­n Moschee-Standort im Garten ihres Hauses einen Rosenstock bearbeitet. Ihre Befürchtun­g: Würden die Muslime kommen, könne sie ihre Enkel nicht mehr auf die Straße lassen. Man würde ja ständig etwas von Messerstec­hereien hören. Schließlic­h berichtet sie im Verschwöre­rton: „Ich habe auch gegen die Moschee unterschri­eben.“

Unterschri­ften von Toten

Wie es sich nach einer Überprüfun­g durch die Stadt ergeben hat, signierten sogar 27 Tote. Ein paar Hundert weitere Unterschri­ften wurden aus anderen Gründen als ungültig gewertet. Angeblich waren einige der Betroffene­n gar nicht gefragt worden. Eine weitere Merkwürdig­keit hat der bayerische Landtagsab­geordnete und örtliche Stadtrat Bernhard Pohl beobachtet. „Die Unterschri­ftensammle­r, die mich angesproch­en haben, kamen nicht einmal von hier“, erinnert sich der Freie-Wähler-Politiker.

Pohl ist Befürworte­r eines Moschee-Neubaus. Ebenso wie andere in der Stadt fragt er sich, wer wirklich hinter der Bürgerinit­iative stecken könnte. Sind es Übriggebli­ebene der einst in Kaufbeuren starken rechtsextr­emen NPD? Die örtliche AfD? Deren Kreisvorsi­tzender Karl Keller hat zwar bestätigt, dass seine Partei die Bürgerinit­iative unterstütz­e. Ihr Kopf sei sie aber nicht. Wirklich bekannt sind dann auch nur der oben genannte Werner Göpel und ein weiterer Mann in ähnlichem Alter. Pohl hält die beiden mit einer solchen Aktion jedoch für heillos überforder­t.

„Der Göpel hat doch nicht einmal selber seine Rede verfasst“, heißt es am Dienstagab­end während der InfoVerans­taltung hinter vorgehalte­ner Hand. Der erregte Teil des Publikums hätte ihn gerne dazu befragt. Kaum fertig mit dem Vorlesen der Tiraden, steht der Rentner aber einfach auf und verschwind­et wortlos in die Nacht.

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FOTO: MATHIAS WILD „Das gesunde Volksempfi­nden erträgt das nicht länger“: Werner Göpel will den Moschee-Neubau unbedingt verhindern. OB Stefan Bosse (links) befürworte­t ihn unter Bedingunge­n. Eine Bürgerinit­iative will den Standort und damit den Neubau insgesamt bis auf...
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FOTO: MOSCHEE-VEREIN Die geplante Moschee im Modell.

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