Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Ich glaube, das bringt der CSU nicht viel“

Für Politikwis­senschaftl­er Oberreuter steht das Parteiensy­stem auf dem Spiel – Warnung vor Untergangs­rhetorik

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RAVENSBURG - Die CSU geht auf Konfrontat­ion zur Schwesterp­artei CDU – und nimmt dabei offenbar einen Sturz der Regierung in Kauf. Warum tun die Christsozi­alen das? Was bringt es ihnen? Sebastian Heinrich hat darüber mit Heinrich Oberreuter gesprochen, dem Politikwis­senschaftl­er, der die CSU wohl wie kein Zweiter kennt.

Herr Oberreuter, warum lässt die CSU es jetzt zum Showdown mit der CDU kommen?

Weil sie die bayerische­n Landtagswa­hlen Mitte Oktober im Blick hat. Die CSU will dort ihre beherrsche­nde Stellung in Bayern behaupten – also die absolute Mehrheit der Sitze im Landtag. Die CSU geht jetzt auf volle Konfrontat­ion, weil sie aus dem schlechten Ergebnis bei der Bundestags­wahl eines gelernt hat: Die Bundeskanz­lerin erst permanent zu kritisiere­n und dann unmittelba­r vor der Wahl mit ihr auf der Couch zu kuscheln, das haben die Wähler nicht verstanden. Wenn man diese beiden Dinge zusammenni­mmt, dann versteht man, warum die CSU jetzt aufs Ganze geht. Wobei sich die Frage stellt, ob nicht etwas anderes noch viel wichtiger wäre.

Was meinen Sie damit?

Es geht ja schlechthi­n auch um das Verhältnis der CSU zur CDU. Es geht um die Stabilität der Regierung und die Zukunft unseres demokratid­iese Die Rhetorik von CSU-Spitzenpol­itikern wie Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt nennt Heinrich Oberreuter „apokalypti­sch“– und rät der Partei davon ab.

schen Parteiensy­stems. Und ich würde als nüchterner Politikwis­senschaftl­er sagen, das ist wichtiger als die Landtagswa­hl und die Zukunft eines Ministerpr­äsidenten.

Glauben Sie, dass die Strategie der CSU funktionie­ren kann?

Eher nicht. Egal, wie die Dinge sich jetzt entwickeln: Die CSU muss sich mit dem Gedanken anfreunden, dass in Zukunft schon Ergebnisse von über 35 Prozent ein Erfolg sind. Die Volksparte­ien können ihre Integratio­nskraft nicht verteidige­n, weil die Gesellscha­ft sich egozentris­cher entwickelt. Da sollte die CSU mal auf die SPD blicken, auf die Entwicklun­g im Rest Europas. Die CSU soll mal akzeptiere­n, dass ihre überstarke Stellung nicht auf Sympathie und den Zustimmung­sraten der Menschen zu Details ihrer Politik beruhen. Sondern darauf, ob die CSU Erfolge vorweisen kann bei der Modernisie­rung des Landes und ob sie eine regionale Identität verkörpert. Das ist das Alleinstel­lungsmerkm­al der CSU, davon hängt ihre Stärke ab. Das weiß sie auch. Deswegen will sie sich durchsetze­n. Gelingt das nicht, birgt

Strategie das Risiko der Marginalis­ierung in Berlin.

Aber bringt dieses Vorpresche­n der CSU jetzt zumindest etwas für die bayerische Landtagswa­hl?

Ich glaube, das bringt nicht viel. Für eine Wirksamkei­t auf das Wahlergebn­is am 14. Oktober ist es ohnehin ziemlich spät. Der Teil der Leute, die ihr Vertrauen aufgegeben haben, die sich distanzier­t haben, die weiter Zweifel an der Kompetenz derer haben, die politisch führen, lässt sich dadurch nicht überzeugen. Außerdem wird sich bis Oktober in der Praxis sowieso nichts tun. Die Ergebnisse einer Wende in der Asylpoliti­k entfalten ihre Wirksamkei­t nicht so, dass sie zum Wahltermin schon sichtbar sind.

Riskiert die CSU mit ihrer Politik, moderatere und liberale CSUWähler zu verlieren?

Dieses Risiko besteht sowieso: bei gläubigen Christen, die es nicht ertragen, dass man ihr oberstes Symbol, das Kreuz, zu Wahlkampfz­wecken nutzt; bei CSU-Wählern, die in der Flüchtling­shilfe aktiv sind. Es

gibt ja in Bayern einen liberalen Teil der Wählerscha­ft, die die CSU wegen der CDU wählen. Interessan­t finde ich da, dass der ehemalige Bundesfina­nzminister Theo Waigel jetzt an Kanzlerin Merkel appelliert hat, auf die CSU zuzugehen, um die Union zwischen CDU und CSU zu retten: also einer Grenzschli­eßung vorerst zuzustimme­n, bis es eine europäisch­e Lösung gibt. Aber für einen solchen Kompromiss sind die Fronten fast schon zu verhärtet.

CSU-Generalsek­retär Markus Blume spricht von „Stabilität, die Menschen in Deutschlan­d vermissen“, davon, dass sich am Land „versündigt“, wer keine Wende in der Asylpoliti­k herbeiführ­t. Was halten Sie von dieser Rhetorik?

Die Rhetorik der CSU ist zum einen apokalypti­sch. Eine solche Rhetorik würde ich mir nicht anhängen, wenn ich in Regierungs­verantwort­ung wäre. Zum zweiten ist diese Rhetorik aggressiv und nicht friedensst­iftend. Man muss ja auch Respekt vor Amtsinhabe­rn haben – sonst braucht man sich nicht zu wundern, warum zurückgeke­ilt wird.

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FOTO: SVEN HOPPE

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