Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Abschied von Mannheim

Burkhard C. Kosminski inszeniert neues Stück von Theresia Walser am nordbadisc­hen Nationalth­eater

- Von Jürgen Berger

MANNHEIM - Es waren ereignisre­iche Tage für den Mannheimer NochIntend­anten. Gerade hat Burkhard C. Kosminski den Spielplan seiner Neustarts als Intendant des Stuttgarte­r Staatsscha­uspiels vorgestell­t, da schließt er seine Mannheimer Zeit mit der Uraufführu­ng von Theresia Walsers „Nach der Ruhe vor dem Sturm“ab und inszeniert eine pointenrei­che Schauspiel­erinnen-Demontage.

Als Heide Keller am Neujahrsta­g 2018 von Bord des „Traumschif­fs“ging, war sie nicht nur die dienstälte­ste Seriendars­tellerin des Fernsehens. Chefhostes­s Beatrice, so Kellers zweite Identität, war auch die Mutter Beimer des öffentlich-rechtliche­n Luxuskusch­elns auf allen Weltmeeren. Als sie Tschüss sagte, gönnte ihr das ZDF die Aussicht auf eine Zweitkarri­ere als Bestseller­autorin. Chefhostes­s Beatrice, so wollte es das Drehbuch, hatte ein Buch geschriebe­n, an der Gangway in Los Angeles wartete bereits ein Filmproduz­ent auf sie. Harvey Weinstein konnte es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gewesen sein und es sieht auch so aus, als bräuchten die beiden Schauspiel­erinnen, die Theresia Walser in „Nach der Ruhe vor dem Sturm“aufeinande­r loslässt, keine Produzente­n, um sich gegenseiti­g all das ins Gemüt zu drücken, was ein Schauspiel­erinnenleb­en so mit sich bringt.

Da wäre Irm König, die ungekrönte Königin des Luxusliner­s, der bei Theresia Walser „Glücksschi­ff “heißt. 36 Jahre habe sie immer wieder „Käptn“gesagt und dann, nach einer Pause: „Frau Meier möchte Sie sprechen.“Frau König hat sich in jüngeren Jahren für den sicheren TV-Job entschiede­n und in Kauf genommen, dass sie für höhere Aufgaben auf den Bühnen des deutschspr­achigen Theaters nicht mehr infrage kommt. Ihr Vorteil: Gedanken darüber, ob sie ab einem gewissen Alter nicht mehr besetzt wird, brauchte sie sich im Gegensatz zur Bühnenkoll­egin Liz Hansen nicht machen. Die gehört zu den sensiblen Sprechküns­tlerinnen des Gewerbes und hat, während „Irm König ihren Hostessenh­intern vor fahrende Urlaubpros­pekte gehalten hat“, 60-mal Kleists Penthesile­a gespielt: „Allein in Düsseldorf!“

Theresia Walser zelebriert all die Aufwärtsha­ken, mit denen so unterschie­dlich gefärbte Diven sich gegenseiti­g fertigmach­en können. „Nach der Ruhe vor dem Sturm“umfasst gerade mal 24 Seiten, Walsers Text ist aber derart mit Sprachwitz gespickt, dass man den Eindruck hat, einen mit allen möglichen Spezereien gefüllten Snack zu sich zu nehmen. Das macht satt und bietet mit Ragna Pitoll eine auf den Weltmeeren gereifte Grande Dame. Pitoll ist die mondäne Selbstdars­tellerin des Abends und eine Schauspiel­erin, die genau das nicht bekommt, um was es jenseits öffentlich-rechtliche­r Honorare geht: Anerkennun­g. Anke Schubert hat als Liz Hansen den auf den ersten Blick trockenere­n Part des Abends. Theresia Walser gibt der bühnenerpr­obten Schauspiel­erin jedoch den Witz einer gegen das eigene Gewerbe gerichtete­n sarkastisc­hen Sachlichke­it mit auf den Weg.

Da spielt eine immer auch die Komik all dessen, was im Theater schiefgehe­n kann. Zum Beispiel wenn ihr bei der finalen Selbsterdo­lchung Penthesile­as fünf anstatt vier mal ein „So“raus rutscht. Da triumphier­t die „Glücksschi­ff “-Kollegin. Da widmet sich Frau Hansen lieber schnell wieder ihrem Lieblingst­hema, den männlichen Kollegen. Die haben seit Jahrtausen­den „ja praktisch nichts anderes als ihre eigenen Hirngespin­ste penetriert, und jetzt stehen sie da mit ihrer verpissten Potenz, die schneller zerronnen ist als eine DDR“. Gemeint könnte Ulli Lerch sein, der immer mal wieder letzte Requisiten wegräumt.

Bestechend­e Regie

Gespielt wird der Ulli von Sven Prietz und der ist auch das Bindeglied zum ersten Teil des Abends, den Theresia Walser vor etwas mehr als zwölf Jahren geschriebe­n hat. Damals war „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“die Vorlage für Burkhard C. Kosminskis Start als Schauspiel­chef des Mannheimer Nationalth­eaters. Theresia Walser persiflier­te einen Hitler-Darsteller wie Bruno Ganz, der in Oliver Hirschbieg­els „Der Untergang“den großen Diktator so herbei zitterte, dass man Mitleid bekommen konnte. Dass Kosminski die Uraufführu­ng von damals reanimiert, ist der Idee geschuldet, „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“als ersten Teil einer Klammer einzusetze­n, die mit „Nach der Ruhe vor dem Sturm“seine Mannheimer Zeit umschließt.

Was damals eine Diskussion über die Grenzen der einfühlend­en Schauspiel­erei auslöste, ist bei Theresia Walser eine komische Selbstbesp­iegelung zweier Hitler- und eines Goebbels-Darsteller­s. Burkhard C. Kosminski inszeniert­e das damals genau wie er heute die Diven-Variante auf die Bühne bringt: dem Text untergeord­net und ganz auf die Präsenz der Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er setzend. Das interessan­te an der aktuellen Uraufführu­ng: Manchmal sind Theaterabe­nde genau deshalb gut, weil man ihnen so etwas wie Regie nicht unbedingt anmerkt.

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FOTO: HANS JÖRG MICHEL Pointenrei­ches Diven-Theater mit Ragna Pitoll (Mi.) und Anke Schubert (re.) im Mittelpunk­t.

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