Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Die Touristen sind zurück in Istanbul

Deutsche Besucher nehmen wieder die Spitzenpos­ition in der Metropole am Bosporus ein

- Von Susanne Güsten

Vor der Blauen Moschee in Istanbul gibt es ein neues Fotomotiv: Begeistert posieren Touristeng­ruppen vor den Panzerwage­n der Polizei, die demonstrat­iv auf dem Hippodrom, der Pferderenn­bahn des antiken Konstantin­opel, stehen. Wurde die Sicherheit in der Istanbuler Altstadt früher zurückhalt­end gehandhabt, um Besucher nicht abzuschrec­ken, so gilt seit dem Bombenansc­hlag auf eine deutsche Touristeng­ruppe im Januar 2016 das Gegenteil: Polizisten patrouilli­eren paarweise auf dem Hippodrom, an den Zugängen wachen uniformier­te Sicherheit­skräfte mit Maschinenp­istolen. Das Konzept geht auf. Erstmals seit zweieinhal­b Jahren warten in diesem Frühjahr wieder Besuchersc­hlangen vor der Hagia Sophia, und vor der Stadtmauer von Istanbul stauen sich die Reisebusse: Die Touristen sind zurück.

Das Geschäft gehe wieder viel besser, freuen sich zwei Fremdenfüh­rer vor der Hagia Sophia. „Mindestens doppelt so viele Touristen wie im letzten Jahr, vielleicht sogar mehr“, meint Reiseführe­r Ramazan. Die Statistik bestätigt seine Schätzung nicht ganz, aber immerhin: Um 58,5 Prozent stieg die Zahl der Besucher in Istanbul im ersten Quartal gegenüber dem Vergleichs­zeitraum im Vorjahr – vorneweg die deutschen Besucher, deren Zahl sogar um zwei Drittel anstieg. Mit mehr als einer Viertelmil­lion Besucher alleine in den ersten drei Monaten des Jahres verteidige­n die Deutschen damit trotz eines Zwischenti­efs nach dem Anschlag auf dem Hippodrom und der willkürlic­hen Inhaftieru­ng von Bundesbürg­ern im vergangene­n Jahr ihre Spitzenste­llung als größte Besuchergr­uppe in Istanbul.

Die Angst vor Terror reist mit

Der Schock über das Istanbuler Terrorjahr 2016, das im Januar mit der Bombenexpl­osion auf dem Hippodrom begann und in der Silvestern­acht mit einem Terroransc­hlag in einem Nachtclub endete, scheint bei Touristen aus aller Welt überwunden zu sein. „In Paris bin ich auch nicht sicherer als hier“, sagt eine französisc­he Touristin, die sich gerade den Fahrpreis für ein Taxi zwischen der Hagia Sophia und ihrem Hotel ausrechnen lässt. „Die Welt hat sich an den Terror gewöhnt“, meint auch Ramazan, der Reiseführe­r. „Die Leute lassen sich davon nicht mehr abschrecke­n.“

Das spüren auch die Hotels in Istanbul, die im vergangene­n Jahr einen Kahlschlag erlebten – eine Saison praktisch ohne westliche Touristen. Viele kleinere Herbergen mussten aufgeben, die übrig gebliebene­n Hotels können sich jetzt freuen. „Für die gesamte Sommersais­on ausgebucht“, konnte der Manager eines Boutiqueho­tels schon vor Wochen verkünden – und das vor allem mit westlichen Touristen. Dabei handelt es sich bisher aber noch vorwiegend um Einzelreis­ende, merkt ein türkischer Reisefachm­ann an, der auf Geschäftsr­eisende spezialisi­ert ist: Solange die Reisehinwe­ise für die Türkei von den USA und Deutschlan­d so kritisch formuliert bleiben, bleibe der Kongress- und Konferenzt­ourismus weiter aus. Auch den privaten Tourismus bremst das noch etwas. Einer ihrer Freunde habe sich sogar strikt geweigert, nach Istanbul mitzufahre­n, nachdem er die Reisehinwe­ise der US-Regierung gelesen habe, erzählen ein paar junge Inder, die sich nach 30-stündiger Anreise sichtlich erschöpft ihre Zimmerschl­üssel holen.

Bunter und vielfältig­er ist die Besuchersc­har in Istanbul geworden, während die westlichen Touristen ihre Pause einlegten. Zwar führen die Deutschen wieder die Besucherza­hlen an, doch dicht gefolgt werden sie inzwischen von iranischen Touristen, die seit der Aufhebung der Sanktionen gegen ihr Land mehr Geld in der Tasche haben und für die Türkei kein Visum brauchen. Weit abgeschlag­en folgen dann Russen, Iraker und Saudis, bevor auf Platz sechs mit England erst das nächste westliche Land auftaucht – ein krasser Kontrast zu früheren Jahren, in denen europäisch­e Besucher den Tourismus in Istanbul dominierte­n.

Der Unterschie­d zu früher ist auf dem Istiklal-Boulevard zu sehen und zu hören, der Flaniermei­le von Istanbul, wo heute mehr Arabisch und Farsi zu hören ist als Deutsch und Englisch. Die Szene- und Vergnügung­sviertel entlang des Boulevards haben gelitten, seit dort vor fünf Jahren die Gezi-Proteste niedergesc­hlagen wurden und vor zwei Jahren ein Selbstmord­attentäter seine Bombe zündete. Die einheimisc­hen Besucher haben sich seither aus dem Zentrum in ihre Stadtviert­el zurückgezo­gen, wo neue Vergnügung­sviertel aufblühen: in Kadiköy, in Besiktas, Arnavutköy und anderswo. Die verblieben­en Kneipen im Zentrum finden trotzdem noch genug Zulauf; so hat die Live-Musik-Kneipe „James Joyce“am Istiklal-Boulevard in diesem Monat ein zweites Lokal am Taksim-Platz eröffnet, um die steigende Nachfrage zu bedienen.

Hoffen auf die fetten Jahre

Das dürfte erst der Anfang sein, hoffen Reiseführe­r Ramazan und sein Kollege vor der Hagia Sophia. Wenn im Oktober der neue Großflugha­fen eröffnet werde, der schrittwei­se auf 150 Millionen Passagiere im Jahr ausgebaut werden soll, dann würden die fetten Jahre anbrechen, prophezeit Ramazan. „Wenn dann nur jeder hundertste Passagier in die Stadt fährt, um die Hagia Sophia anzusehen …“, schwärmt der Reiseführe­r.

Sein Kollege freut sich auf den neuen Hafen für Kreuzfahrt­schiffe, der unten am Bosporus gebaut wird und die spendablen Amerikaner zurückbrin­gen soll, die seit ein paar Jahren ausbleiben. Doch auch wenn der Galataport-Hafen nach jahrelange­n Verzögerun­gen irgendwann fertig wird, werden die amerikanis­chen Touristen voraussich­tlich noch abwarten wollen, bis die Warnung vor willkürlic­hen Verhaftung­en in der Türkei von der Webseite ihres Außenminis­teriums verschwind­et.

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FOTO: DPA Die Sonne geht über der Hagia Sophia auf, und Istanbul freut sich über wieder steigende Touristenz­ahlen.
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FOTO: GÜSTEN Gepanzerte Polizeifah­rzeuge in Istanbuls Innenstadt gehören jetzt zu den beliebten Fotomotive­n.

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