Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Unumstritt­ener als unumstritt­en – bei Löw

Der FC Bayern hat ihn ins Schaufenst­er gestellt – Jérôme Boateng irritiert

- Von Patrick Strasser

WATUTINKI - Zwei Weltmeiste­rschaften hat Jérôme Boateng miterlebt bisher. Mit ganz unterschie­dlichen Gemütsverf­assungen kurz vor dem Start ins Turnier. 2010 in Südafrika war der damals 21-Jährige zunächst nicht für die Startelf vorgesehen, erlebte die ersten beiden Partien als Zuschauer von der Bank aus. Erst im entscheide­nden letzten Gruppenspi­el gegen Ghana kam Boateng, der in jenem Sommer vom HSV zu Manchester City wechselte, zum Einsatz. Sein WM-Debüt gab Boateng ausgerechn­et gegen das Heimatland seines Vaters. Es kam zum vielbeacht­eten Duell mit seinem Halbbruder KevinPrinc­e. Die DFB-Elf gewann 1:0, qualifizie­rte sich fürs Achtelfina­le, Boateng blieb in der Startelf. Er hatte den aus Rot an der Rot stammenden Holger Badstuber aus der Stammelf verdrängt. Als Linksverte­idiger. Lang, lang, ist’s her.

Deutschlan­d wurde Dritter in Südafrika, vier Jahre später beim Triumph in Brasilien ging Boateng als unumstritt­ene Stammkraft in die WM, doch erst ab dem Achtelfina­le in der Innenverte­idigung, dort, wo er sich am wohlsten fühlt.

Das Auftaktspi­el der Deutschen am Sonntag in Moskau gegen Mexiko (17 Uhr, ZDF und Sky) wird also Boatengs 13. WM-Einsatz, sein insgesamt 72. Länderspie­l. Und mit 29 Jahren ist Boateng noch unumstritt­ener als unumstritt­en. Eine Führungsfi­gur. Gesetzt und geschätzt – von Bundestrai­ner Joachim Löw.

„Jérôme ist ein Fighter und ein Leader in unserer Mannschaft“, sagte Löw in Watutinki, „er ist sehr präsent, hat eine sehr gute Verfassung jetzt und von seiner Verletzung ist nichts mehr zu sehen.“Die Adduktoren­blessur aus dem ChampionsL­eague-Halbfinale gegen Real Madrid, die ihn bis Saisonende ausfallen ließ, hat er überwunden. „Ich fühle mich gut, das Training ist gut. Ich habe derzeit keine Probleme.“

Wirklich? Zumindest keine körperlich­en, eher seelische. Denn die Aussagen von Bayerns Vorstandsc­hef Karl-Heinz Rummenigge („Wenn ein Verein kommt und er kundtut, dass er zu diesem Verein wechseln möchte, werden wir uns damit befassen“) nerven ihn. Rummenigge hat den Verteidige­r, seit 2011 im Verein, öffentlich ins Schaufenst­er gestellt. Boateng reagierte am Donnerstag pikiert, auch wenn er seinen Groll zwischen den Zeilen versteckte. „Ich weiß nicht, wozu die Aussagen getätigt wurden“, sagte er, „erst einmal steht jetzt eine WM an, wir sind hier bei der Nationalma­nnschaft. Das ist das Thema für mich, alles andere überhaupt nicht.“Er wirkte leicht genervt. Kein Wunder.

Schließlic­h war es Rummenigge, der Boateng im November 2016 nach einem 2:3 in Rostow harsch gerügt hatte, weil der Verteidige­r an zwei Gegentoren seinen Anteil gehabt hatte. „Ich glaube, es fällt auf, dass Jérôme wieder ein bisschen zur Ruhe kommen muss. Seit dem letzten Sommer ist mir das ein bisschen zu viel. Es wäre im Sinne von ihm und auch vom ganzen Club, wenn er wieder ein bisschen ,back to earth’ runterkomm­t“, hatte Rummenigge gesagt.

Diese Sätze hat Boateng nie vergessen. Und nun hat auch noch sein großer Förderer und väterliche­r Freund Jupp Heynckes den Verein verlassen. Trotz seines bis 2021 datierten Vertrages könnte der Neuanfang unter Trainer Niko Kovac für Boateng der ideale Zeitpunkt zum Abschied sein. Zeit für eine neue Herausford­erung, eine neue Liga, ein neues Leben. Aus Sicht der Bayern alles eine Frage des Preises.

 ?? FOTO: DPA ?? Jérôme Boateng im Training in Watutinki.
FOTO: DPA Jérôme Boateng im Training in Watutinki.

Newspapers in German

Newspapers from Germany