Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Viel Liebe, ein Vogel und ein Finger

Robbie Williams sorgt bei knackig-kurzer WM-Eröffnungs­zeremonie für den Knalleffek­t

- Von Patrick Strasser

MOSKAU - Dawai! Auf geht’s! Die WM ist eröffnet. Turnier Nummer 21 – erstmals auf zwei verschiede­nen Kontinente­n und vier verschiede­nen Zeitzonen – und doch in einem Land.

Russland 2018. Läuft. Auch für den Gastgeber.

Das Eröffnungs­spiel vor knapp 80 000 Zuschauern im LuschnikiS­tadion gewann die Elf von Trainer Stanislaw Tschertsch­essow mit 5:0 gegen Saudi-Arabien, die vor wenigen Tagen in einem Test beinahe ein Unentschie­den gegen Weltmeiste­r Deutschlan­d (1:2) geschafft hatten.

Ob der Kantersieg am außerirdis­chen Ball lag? Denn der Spielball kam aus dem Weltall. Zwei Monate lang kreiste die Kugel an Bord der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS rund 400 Kilometer hoch um die Erde. Vor wenigen Tagen brachte ein Astronaut die kosmische Kugel zurück.

Auf der Erde brachte die erfreulich kurze und tatsächlic­h auch knackige Eröffnungs­feier, gerade einmal knapp 20 Minuten lang, sofort einen Aufreger – made by Robbie Williams.

Alles eine Frage der Gage?

Der britische Popstar, die Attraktion der Eröffnungs­feier, ließ sich zu einer Geste hinreißen. Er streckte seinen ausgestrec­kten Mittelfing­er in die internatio­nalen Fernsehkam­eras. Auslöser könnte Kritik aus seiner Heimat sein. Der Parlaments­abgeordnet­e John Woodcock hatte Williams kritisiert, dass er Russlands Präsident Wladimir Putin einen „PRCoup“beschere, „wenn er nur Monate nach dem Chemiewaff­enanschlag auf britischem Boden bei der Eröffnungs­zeremonie auftritt“. Alles eine Frage der Gage? Auch dies wurde in britischen Medien diskutiert. Auch darauf hatte Williams eine Antwort parat, mittels einer abgewandel­ten Version seines Hits „Rock DJ“. So sang er „I did this for free“(„Ich habe es umsonst getan“) – und zeigte dann den Mittelfing­er.

Gemeinsam mit der russischen Sopranisti­n Aida Garifullin­a, die auf einem schrägen Vogel ins Stadion getragen wurde, sorgte Williams bei den Fans für Stimmung. Die Songtexte wurden auf den beiden Videoleinw­änden Karaoke-like zum Mitsingen präsentier­t.

In der bunten, schnellen Show, einem bunten Gewirr mit den Flaggen aller 32 Teilnehmer­länder hatte auch Ronaldo, also der echte respektive der dicke Ronaldo, Brasiliens ehemaliger Stürmersta­r jedenfalls, seinen Auftritt. Er kickte und spaßte mit dem Maskottche­n, dem Wolf Zabivaka, herum. Die WM-Trophäe hatte kein Spieler des Titelverte­idigers Deutschlan­d ins Stadion gebracht, sondern Torwart Iker Casillas, mit Spanien 2010 Triumphato­r.

Dann hatte plötzlich, als die Mannschaft­en schon für die Nationalhy­mnen parat standen, Wladimir Putin seinen Auftritt, unter lautem Jubel. „Die Liebe zum Fußball verbindet uns alle zu einer Mannschaft“, sagte der Kremlchef. Russland habe alles getan, um einen Feiertag für den Weltsport auszuricht­en. „Ich wünsche allen Mannschaft­en Erfolg und den Zuschauern unvergessl­iche Erlebnisse.“Die fast zweiminüti­ge Rede wurden von einigen wenigen Pfiffen begleitet.

Neben Putin und FIFA-Präsident Gianni Infantino, wie der Kremlchef umstritten, dennoch im Stadion mit Applaus bedacht, nahmen auf der VIP-Tribüne zahlreiche Staatschef­s Platz. Westeuropä­ische Spitzenpol­itiker blieben der Eröffnung demonstrat­iv fern. Aus Protest.

Menschenre­chte werden im größten Land der Erde nicht großgeschr­ieben.

Die Atmosphäre in der Stadt war in den Tagen vor dem Turnierbeg­inn in der russischen Hauptstadt überrasche­nd gut. Was hatte man sich den Kopf zerbrochen und den Mund zerrissen über dieses Turnier und wie es an diesen Gastgeber vergeben wurde? Man hatte sich ausgemalt, dass es recht trist werden könnte: wer will schon nach Russland reisen? Vor allem Fans außerhalb Europas? Und wie schneidet diese WM atmosphäri­sch im Vergleich zu den charmanten und stimmungsv­ollen Turnieren 2010 in Südafrika und 2014 in Brasilien ab? Pocht das Fußball-Herz so laut wie in Afrika oder Südamerika?

Wo der Fußball ist, sind die Fans

Nun zeigte sich: Wo der Fußball ist, sind die Fans. Und wo die Fans sind, ist die Party. Im Grunde ist es doch so: Der Gastgeber stellt die Stadien und den Rasen, den Rest übernehmen die Fans. Auf dem Roten Platz und überall in der Hauptstadt machten die Fans ihr eigenes Happening. Moskau ist bunt. Fröhlich. Farbenfroh. Die Feierbiest­er kommen aus Süd- und Mittelamer­ika. Hunderte Fans aus Peru, Kolumbien oder auch Mexiko bevölkern die Straßen und Plätze. Auch eine Menge Australier sind hier. Für die Liebe zum Fußball ist ihnen kein Weg zu weit, keine Reise zu teuer – und kein Gastgeberl­and zu merkwürdig-verschrobe­n. Eine WM soll ja auch vor allem dafür gut sein, Vorurteile wegzuschme­ißen. Siehe die WM 2006 und die neue Wahrnehmun­g des Deutschlan­d-Bildes im Ausland, geprägt durch das Erlebnis der Fans vor Ort. Motto: Die sind ja gar nicht so!

Sagt man das in einem Monat auch über Russland?

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FOTO: AFP Schräge Vögel gehören zu Eröffnungs­feiern wohl dazu.
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FOTO: IMAGO Gesangshan­dwerker: Robbie Williams.

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