Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Nationalist
Bis Sonntag war Devlet Bahceli in politischen Kreisen der Türkei so etwas wie eine Witzfigur. Der 70-Jährige hatte seinen Verbündeten, Präsident Recep Tayyip Erdogan, zu Neuwahlen gedrängt. Umfragen sagten jedoch einen Absturz für Bahcelis Partei der Nationalen Bewegung (MHP) voraus. Bahcelis Taktik zahlte sich aber aus. Die MHP behauptete sich und wurde zu einer „Schlüsselpartei“, wie Bahceli sagte. Erdogan braucht die MHP für Mehrheiten im Parlament – und Bahceli steht als Königsmacher da.
Seit mehr als 20 Jahren führt der aus dem südtürkischen Osmaniye stammende Bahceli die MHP, die politische Heimat der extremistischen „Grauen Wölfe“. Von 1999 an war Bahceli drei Jahre Vizepremier in einer Koalition unter dem Sozialdemokraten Bülent Ecevit, bevor er nach einer Wahlschlappe seiner Partei ein halbes Jahrzehnt am Rand des Politbetriebes ausharren musste. Als er 2007 ins Parlament zurückkehrte, trat er als Gegner Erdogans auf.
Doch das hat sich geändert. Eine innerparteiliche Revolte führte zur Spaltung der MHP und zwang Bahceli zu einem Bündnis mit Erdogan, um sein eigenes politisches Überleben zu sichern. Im Präsidentschaftswahlkampf unterstützte die MHP nun die Kandidatur Erdogans und durfte im Gegenzug ihre Politiker im Schutz einer Listenverbindung mit der Erdogan-Partei ins Parlament bringen. Für Bahceli hat sich das Manöver gelohnt: Die MHP kann nun mit ihren 49 Abgeordneten versuchen, die Erdogan-Partei AKP politisch nach rechts zu schieben, weil die AKP keine eigene Mehrheit hat.
Bahceli steht für eine strikt antikurdische und antiwestliche Politik. So lehnt er die Aufhebung des derzeit herrschenden Ausnahmezustandes ab, der den Behörden die Verfolgung politischer Gegner erleichtert. Erdogan hatte dagegen die Rückkehr zu normalen rechtlichen Verhältnissen angekündigt. Interessenkonflikte zwischen MHP und Erdogans AKP sind also unausweichlich. Bahceli könnte versucht sein, die Partei des Präsidenten vor sich herzutreiben, denn erste Analysen des Wahlausgangs vom Sonntag lassen den Schluss zu, dass die MHP zum Auffangbecken für unzufriedene AKP-Wähler geworden ist. Susanne Güsten