Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Gottes Hausgenoss­en

- Von Prädikant Michael Ulrich

Liebe Leserinnen und Leser, ich grüße Sie mit dem Wochenspru­ch aus dem zweiten Kapitel des Epheserbri­efs, der am Sonntag in unseren Gottesdien­sten verlesen wird: „So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenoss­en.“

Dieses Wort spricht mitten hinein in die Debatten und Diskussion­en, die uns seit Monaten umtreiben. Wir Deutschen diskutiere­n gerade über die „Fremdlinge“in unserem Land. Die Christlich-Soziale Union in unserem Nachbarbun­desland möchte aus Angst vor einem drohenden Machtverlu­st, diese Fremdlinge schnellstm­öglich in Busse setzen und aus unserem Land fahren lassen.

Doch die Angst vor „Fremdlinge­n“erfasst nicht nur uns in Deutschlan­d: Italien schottet sich vor dem Massenster­ben auf dem Mittelmeer ab, in den Vereinigte­n Staaten, die jahrhunder­telang Flüchtling­e aus Europa aufgenomme­n haben, kommt es zu schrecklic­hen Szenen, wenn gesamte Familien gleich an der Grenze verhaftet werden. Der Wochenspru­ch spricht hier deutliche Worte: ihm zufolge sind die Fremdlinge Mitbürger und Hausgenoss­en. Sie stehen damit über dem Status als Gast und sind in die Gesellscha­ft integriert. Doch schon die Gastfreund­schaft war in der Kultur der Bibel anders ausgericht­et als bei uns. In der Kultur der Bibel ist die Gastfreund­schaft ein hoher Wert, der die Beziehung zwischen Gastgeber und Gast regelt und auf einer hohen Form von gegenseiti­gem Respekt basiert. So konnte damals jeder Reisende an einer Tür anklopfen und die Pflicht des Haushaltes war es, diesen Reisenden zu verköstige­n und unterzubri­ngen, bis er weiterreis­te. Der Gast bekam nur die erlesenste­n Speisen und hatte den Ehrenplatz an der Tafel inne. Nach damaligem Glauben zog ein Bruch dieses Gastrechts auf beiden Seiten göttlichen Zorn nach sich. Und auf diesem Wertesyste­m basiert unser Text: Gäste und Gastgeber müssen sich an klare Regeln halten und dann liegt auf dem Zusammenle­ben ein guter Geist.

Interessan­t ist auch die Frage, wer denn der Gastgeber ist. Wir Menschen in Deutschlan­d sind es nicht. Aber auch die Fremden sind es nicht, denn wir alle sind Gottes Hausgenoss­en. Der Hausherr unserer Welt ist Gott, womit der Vers im Bild des antiken Haushalts bleibt. Der Hausherr war in einem griechisch­en oder römischen Haus die absolute Machtinsta­nz. Er lebt nicht allein, sondern er wünscht sich Hausgenoss­en, Mitbewohne­r, die das Haus mit ihm bewohnen. Das ist der Auftrag jedes Menschen, Hausgenoss­e zu sein und einen respektvol­len Umgang mit seinen Mitbewohne­rn und dem Haushalt zu pflegen.

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