Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Putin dankt
Denis Tscheryschew vom FC Villarreal ist der einzige der russischen Profis, der in einer europäischen Topliga spielt. Spielmacher Alexander Golowin (22), momentan noch bei ZSKA Moskau unter Vertrag, hat als einziger der WM-Helden bei Topclubs Interesse entfacht. Der Rest ist Durchschnitt, die Spieler sind im Kollektiv über sich hinausgewachsen. Tschertschessow zögert noch, die Sbornaja weiter zu betreuen – wahrscheinlich weiß er, dass mehr als das Viertelfinale bei der Heim-WM kaum zu erreichen ist.
Aber nicht nur sportlich ist fraglich, ob die WM als Sprungbrett in eine bessere Zukunft taugt. Im Schatten der Endrunde hatte die russische Regierung wegen der angespannten wirtschaftlichen Lage im Land eine fundamentale Rentenreform angekündigt. Das Renteneintrittsalter soll von 2019 an stufenweise angehoben werden, bei Frauen von 55 auf 63 Jahre und von 60 auf 65 bei Männern, die in Russland nur eine durchschnittliche Lebenserwartung von 67,5 Jahren haben. Zudem soll die Mehrwertsteuer von 18 auf 20 Prozent angehoben werden.
Vor allem für russische Männer würde die Sozialreform „de facto die Abschaffung der Rente“bedeuten, sagt Martin Brand von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen: „In diesem Spannungsfeld ökonomischer und sozialer Faktoren wird sich die Debatte um die Reform des Rentensystems in Russland bewegen – spätestens nach der Fußball-WM.“
Während des Turniers, bei der Polizeiund Sicherheitskräfte im Licht der weltweiten Öffentlichkeit extrem zurückhaltend agierten, herrschte Ruhe. Damit dies auch ohne WM und im grauen Alltag so bleibt, ist möglicherweise wieder ein strikteres Vorgehen des Staatsapparates notwendig. Human Rights Watch erinnerte unlängst daran, dass in Russland „die größte Menschenrechtskrise seit der Sowjetära“herrsche.
Hinzu kommen die großen Spannungen mit dem Westen. Auf dem Nato-Gipfel in Brüssel betonten die Staats- und Regierungschefs erneut, die Annexion der Krim nicht anzuerkennen. Sie warfen Russland „versuchte Einmischung in Wahlprozesse“, „weit verbreitete Desinformationskampagnen und bösartige CyberAktivitäten“vor.
Putin bekam am Sonntag rund um das Finale noch viele warme Worte zu hören. Doch schon am Montag ist die erste WM in Russland auch für den Präsidenten Geschichte. Die Weltpolitik wird sie endgültig verdrängen, wenn Putin in Helsinki USPräsident Donald Trump trifft. Der russische Staatschef
hat der FIFA und ihrem Präsidenten Gianni Infantino für das Vertrauen in Russland als Ausrichter der WM gedankt. „Ich hoffe, wir haben dieses Vertrauen gerechtfertigt“, sagte Putin am Samstagabend bei einer Gala-Opernvorstellung. Russland habe sich sorgfältig auf das Turnier vorbereitet, sagte Putin. „Wir sind froh, dass unsere Gäste alles mit eigenen Augen gesehen haben, dass ihre Mythen und Vorurteile zerbrochen sind.“Wer zu einem weiteren Besuch kommen wolle, für den bemühe man sich um eine möglichst einfache Einreise. (SID)