Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Durststrecke beim Leergut
Mangel an Bierkästen bringt Brauereien in Bedrängnis – Mehrwegsystem in Gefahr
RAVENSBURG - Die ersten Brauereien rufen um Hilfe. Sie brauchen unbedingt ihre leeren Flaschen und Kästen zurück. Ohne das Leergut kann kein Bier abgefüllt werden. Steht die Produktion still, greift der Kunde am Ende zum Konkurrenzprodukt, um seinen Durst zu stillen. Und der Durst der Deutschen ist wegen der anhaltenden Hitze in diesem Jahr besonders groß.
„Die Situation ist angespannt“, sagt Gottfried Härle, Urenkel des Gründers Clemens Härle der gleichnamigen Brauerei in Leutkirch (Kreis Ravensburg). Für Bier habe er „Gott sei Dank“ausreichend Leergut, aber bei den Flaschen für nichtalkoholische Getränke, den Bügelflaschen für das Seezüngle Erfrischungsgetränk, gibt es derzeit Engpässe. Die Folge: Nicht alle Kunden konnten in vollem Umfang beliefert werden. Vor einem halben Jahr habe Härle bereits Nachschub bestellt – der sollte in den „nächsten Wochen eintreffen“, sagt er.
Bei Meckatzer in Heimenkirch (Landkreis Lindau) fährt man Extraschichten und stellt die Abfüllung öfters als sonst um, damit das Bier lieferbar bleibt. „Feinabstimmung in der Abfüllung“nennt es Geschäftsführer Michael Weiß, der sich die Freude über die guten Absatzzahlen nicht trüben lassen möchte: „Dann bleiben vielleicht mal ein paar Tausend Liter übrig, die werden dann eben am nächsten Tag abgefüllt.“Vergangenes Jahr habe es bei Meckatzer zweimal die Situation gegeben, dass das neu eingeführte Helle aufgrund von Leergutmangel nicht lieferbar war. Das sollte dieses Jahr nicht wieder passieren, weshalb man im Winter bereits mehr Leergut bestellt habe. Trotzdem musste Weiss im Mai nochmal nachbestellen und wartet seitdem – Ende Juli soll die Lieferung kommen.
Zu den Flaschen gehören natürlich auch die Kästen, die beispielsweise Oberland MV aus Bad Wurzach herstellt. „In der Hochsaison April bis Juni und Juli ist es immer sehr eng“, sagt Produktmanagerin Lisa Götz. In den vergangenen Jahren habe man bereits die Produktion gesteigert auf 80 000 Stück täglich. Trotzdem hätten aktuell die Lieferzeiten zugenommen. „Viele Brauereien expandieren. Damit werden die Wege weiter und das Leergut kommt seltener zurück“, nennt Götz einen weiteren Grund für den Mangel an Leergut.
Mit den weiteren Wegen verschärft sich für die Brauereien allerdings ein Problem mit dem Inhalt der Kästen: fremde Flaschen. Besonders sogenannte Individualflaschen machen den mittelständischen Brauerein im Süden der Bundesrepublik das Leben schwer. So hat man bei Gold Ochsen in Ulm, wie Frank Schlagenhauf sagt, im Gegensatz zu vergangenem Jahr zwar „momentan keine Engpässe“, sehe aber die Tendenz, dass die zunehmende Zahl an Individualflaschen den Pool der Standardflaschen reduziert.
Problem der fremden Flaschen
Ein kurzer Ausflug in die Welt der Gebinde: Die klassische braune, längliche Bierflasche heißt mit Literangabe 0,5-NRW in Vichyform. Die etwas gestauchtere 0,5-Euro. Dann gibt es noch die mit dem schmalen, fast parallelen Hals, die bezeichnenderweise Longneck heißt. Das sind die gebräuchlichsten Standardflaschen, die von vielen mittelständischen Brauereien verwendet werden und durch ihre Austauschbarkeit einfach zu handhaben sind – besonders bei der Sortierung.
Doch inzwischen haben gerade die größeren Brauereien beziehungsweise deren Biermarken eigene Flaschen – diese Individualflaschen haben oft eine Prägung am Flaschenhals mit dem Markennamen. Angefangen hat es mit Veltins, die schon 2003 ihre eigenen Flaschen auf den Markt gebracht haben. Vier Jahre später folgte Radeberger, dann Bitburger, Hasseröder, Köstritzer und Carlsberg. Krombacher hat vergangenes Jahr nach langem Zögern auch eigene Flaschen eingeführt.
Das Problem sei nun, dass beim Sortieren der Flaschen immer mehr solcher Individualflaschen in den Kästen der mittelständischen Brauereien landen, sagt Hubert Hepfer, Geschäftsführer der Wurmlinger Hirsch Brauerei (Kreis Tuttlingen). Ungefähr vier von 20 Flaschen eines Hirsch-Brauerei-Kastens, also 20 Prozent, seien inzwischen sortenfremd. Und die Quote nehme zu, je weiter nördlich man gehe. So berichtet Hopfer von Brauereikollegen im Norden der Republik mit 30 bis 40 Prozent fremden Flaschen in zurückkehrenden Kästen.
Für die Brauereien ein doppeltes Problem, das sie laut Hepfer, sowohl auf dem Pfand für die Individualflaschen sitzenbleiben als auch die fremden Flaschen wieder durch eigene neue ersetzen müssen. Als Kunde hat man kein Problem mit dem Pfand. Das bekommt man bei der Rückgabe der Flaschen vom Händler. Der wiederum gibt diese kastenweise der Brauerei zurück. Die zahlt Pfand für die vollen Kästen. Sind nun vier davon fremd, hat die Brauerei ein Problem – vier sogar, wenn es vier unterschiedliche sind. Zum einen lohne es sich kaum, diese zu sammeln, zu sortieren und zurückzugeben, so Hopfer. Zum anderen, selbst wenn man versuche, diese zurückzugeben, erhalte man keine leeren Kästen von den Großbrauereien im Norden – entsprechende Fragen würden beispielsweise bei Beck’s „auf taube Ohren“stoßen, sagt Brauereiinhaber Rainer Honer.
Altglas statt Mehrweg
Am Ende landen die fremden Individualflaschen im Altglas und führen so „das Mehrweg-Prinzip ad absurdum“, so Hopfer, was „ökologisch verheerend sei“und alles Absicht sei. Die Großbrauereien würden die Individualflaschen als Verdrängungsinstrument gegen die mittelständische Konkurrenz einsetzen, so Hepfer. Mit großer Sorge sehe man deswegen die Beteiligung von Radeberger an der Firma Leiter, dem laut Mitteilung von Radeberger „Marktführer im Bereich des Leergutmanagements in Deutschland“und „ein zentraler Baustein für das Funktionieren des Mehrwegsystems [...]. Damit verbunden ist ein Jahresumsatz von rund 170 Millionen Euro bei einem Sortiervolumen von knapp 150 Millionen Mehrwegkästen pro Jahr.“
Leiter übernimmt beispielsweise die Sortierung des Leerguts zwischen Händler und Brauerei, damit eben nicht die Kästen mit fremden Flaschen zurückkommen. Diese Dienstleistung kostet natürlich. Hepfer befürchtet nun, dass sich mit dem Einstieg von Radeberger in der Konsequenz die Konditionen für kleinere Brauereien ändern werden – „es wird wohl teurer“. Denn - und so heißt es auch in der Mitteilung von Radeberger: „Die richtigen Mehrwegflaschen in ausreichender Menge im richtigen Kasten am richtigen Ort zu haben ist heute ein bedeutender Produktionsfaktor im deutschen Getränkemarkt.“
Die Stellungnahmen von Beck’s und Radeberger lagen bis Redaktionsschluss nicht vor.