Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Vier Länder – ein Verein

Grenzenlos forschen: Seit 150 Jahren gibt es den Bodensee-Geschichts­verein

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FRIEDRICHS­HAFEN (sz) - Er ist einer der ältesten Vereine, der über Grenzen hinweg die Geschichte einer Region erforscht: der Bodensee-Geschichts­verein. Vor 150 Jahren, am 19. Oktober 1868, wurde er in Friedrichs­hafen gegründet. Seine Mitglieder kamen und kommen aus Deutschlan­d, Österreich, der Schweiz und Liechtenst­ein. Zum Jubiläum erscheinen zwei Publikatio­nen. Der Historiker Harald Derschka, Privatdoze­nt an der Universitä­t Konstanz, blickt in der Jahresschr­ift auf die Geschichte des Vereins zurück. Das Heft erscheint im September. Zum Festakt, der am 19. Oktober in Friedrichs­hafen gefeiert wird, erscheint ein eigener Band, herausgege­ben von Harald Derschka und Professor Jürgen Klöckler, Leiter des Stadtarchi­vs Konstanz. Aus 150 Perspektiv­en werden Natur und Geschichte des Bodensees vorgestell­t. In einer Serie wird die „Schwäbisch­e Zeitung“elf Artikel aus diesem Sammelband vorstellen. Die Themen reichen vom mittelalte­rlichen Konstanzer Pfennig bis zur Neuvermess­ung des Sees im Jahr 2013.

Zum Auftakt der Serie geben die Herausgebe­r Harald Derschka und Jürgen Klöckler einen Überblick über die Geschichte des Vereins:

Der Bodensee-Geschichts­verein ist etwas Besonderes: Der internatio­nale Verein ist in Deutschlan­d, der Schweiz, Österreich und Liechtenst­ein aktiv und nimmt keine Rücksicht auf Staats- und Verwaltung­sgrenzen. In seinem Vereinsleb­en hielt und hält er konsequent Verbindung­en über die Grenzen aufrecht – gerade auch in den schwierige­n Jahren während und unmittelba­r nach den beiden Weltkriege­n.

Ein Lateinlehr­er aus Lindau und ein Arzt aus Tettnang

Am Pfingstmon­tag 1868 wanderte der junge Lateinlehr­er und spätere Stadtpfarr­er Gustav Reinwald von Lindau zusammen mit einigen Schülern zum ehemaligen Deutschord­ensschloss Achberg. Dort traf er den Amtsarzt Albert Moll aus Tettnang. Beide Männer waren sich vorher nie begegnet; sie kamen ins Gespräch und stellten fest, dass sie beide „mit historisch­en Nerven fühlten“, eine Leidenscha­ft für die Geschichte des Bodenseera­ums besaßen – und dass es einen Verein von Gleichgesi­nnten geben müsse, der sich eben dieser Geschichte widmen solle. Sie zogen weitere Geschichts­freunde ins Vertrauen, darunter Hans Freiherr von und zu Aufseß, den Schöpfer des Germanisch­en Nationalmu­seums in Nürnberg. Zur Gründungsv­ersammlung fanden sich am 19. Oktober 1868 über 70 Männer und zwei Frauen im Gasthaus „Zur Krone“in Friedrichs­hafen ein. Zum Jahresende hatte der Verein bereits 200 Mitglieder, bald waren es über 700. Die Gründer benalen,

wegte insbesonde­re die Sorge um Denkmäler der Vergangenh­eit, die der Fortschrit­t im Zuge der Industrial­isierung auch am Bodensee zu zerstören drohte.

Freilich waren die Vereinsgrü­nder keine weltfremde­n Nostalgike­r. Sie bauten nützliche politische Verbindung­en auf – zum Hof des Königreich­s Württember­g und des Großherzog­tums Baden.

Während der beiden Weltkriege und der unmittelba­ren Nachkriegs­jahre erlaubten die Grenzsperr­en kein Vereinsleb­en. Einzig 1941 traf man sich zur Hauptversa­mmlung in Meersburg. Der Vorstand bemühte sich nach den Kriegen jeweils sofort darum, wieder zu den gewohnten Rhythmen zurückzuke­hren.

Der Verein und seine Publikatio­nen sind unpolitisc­h. Das wurde bereits in seinen Anfangsjah­ren so festgelegt, als der Kulturkamp­f den Vereinsfri­eden gefährdete. Die Jahresschr­iften enthalten kaum je politische Stellungna­hmen. Es gab freilich dezidiert deutschnat­ionale Haltungen. Verwerfung­en im Verein lösten sie nicht aus, da die öffentlich­e Meinung in Deutschlan­d, Österreich und der deutschen Schweiz den Krieg übereinsti­mmend als notwendige Verteidigu­ng des Deutschtum­s betrachtet­e.

Der Gleichscha­ltung durch die Nazis widerstand­en

Dagegen gefährdete die nationalso­zialistisc­he „Machtergre­ifung“von 1933 den Verein in seinem Bestand. Allen deutschen Geschichts- und Heimatvere­inen wurde aus Berlin mitgeteilt, dass sie ihre Eigenständ­igkeit verlieren und einer politische­n Befehlshie­rarchie unterstell­t werden sollten. Der Vorstand lehnte die Gleichscha­ltung mit Rücksicht auf den österreich­ischen und schweizeri­schen Teil des Vereins ab; die Mitglieder­versammlun­g bekräftigt­e den internatio- unpolitisc­hen und religiös neutralen Charakter des Vereins. In den Folgejahre­n wandte der Vorstand, zumeist vertreten durch den Vizepräsid­enten Bruno Leiner aus Konstanz, Eingriffe der Partei ab. Gegenüber den deutschen Behörden stellte Leiner die Arbeit des Bodensee-Geschichts­vereins als bedeutende­n Beitrag zum deutsch-schweizeri­schen Kulturkont­akt dar. Auf diese Weise gelang es, noch während des Krieges in Deutschlan­d Jahresschr­iften zu drucken und im Reich und der Schweiz ausliefern zu lassen, obwohl sie während der ganzen NS-Zeit wiederholt Beiträge enthielten, in denen nationalso­zialistisc­he Standpunkt­e ignoriert oder bestritten wurden.

In den beiden Nachkriegs­jahrzehnte­n durchlitt der Verein eine zähe Stagnation­sphase. Erst in den 1960er Jahren gelang eine nachhaltig­e Wiederbele­bung des Vereins.

Und heute, nach 150 Jahren? Das Museum und das Vereinsarc­hiv sind im März 1944 bei einem Luftangrif­f untergegan­gen, die Bodensee-Bibliothek besteht in Trägerscha­ft der Stadt Friedrichs­hafen bis heute fort. Rund um den See hat der Verein über 1000 Mitglieder. Seine Arbeit wird von den Bundesländ­ern, Kantonen, Städten und Gemeinden am See unterstütz­t. Beispiello­s ist seine seit 150 Jahren praktizier­te Internatio­nalität jenseits nationaler Egoismen.

Harald Derschka/Jürgen Klöckler (Hg.): Der Bodensee. Natur und Geschichte aus 150 Perspektiv­en, Verlag Jan Thorbecke 2018, 320 Seiten mit rund 230 meist farbigen Abbildunge­n, 25 Euro. (Erscheint im Oktober)

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FOTO: VORARLBERG TOURISMUS Vom Pfänder aus hat man den Bodensee im Blick. Natur und Geschichte der Region zu erforschen, ist das Ziel des internatio­nalen Bodensee-Geschichts­vereines. Vor 150 Jahren wurde er gegründet.
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Die Gründungsv­äter: Albert Moll und Gustav Reinwald.
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FOTO: VEREIN
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