Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Flucht vor dem Alltag

Die Musikerin Lary gibt sich den Kontrovers­en des Lebens hin

- Von Daniel Tautz

BERLIN - Ekstase und Wehmut liegen nah beieinande­r auf Larys neuer Platte „hart fragil“. Auf ihrem zweiten Studioalbu­m reflektier­t die Solokünstl­erin die Widersprüc­he des Alltags – und begegnet dabei immer wieder ihrer inneren Zerrissenh­eit. „Ich neige zu Extremen. Nichts ist nur eine Sache, nichts ist eindimensi­onal“, sagt sie im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Bereits in ihrem Opener „Das neue Schwarz“macht die 32-Jährige klar, dass sie die verschiede­nen Facetten der Liebe zwar nicht begreifen, aber gut abbilden kann. Im zugehörige­n Musikvideo windet sich Lary durch die schummrige Szenerie einer verrauchte­n Eckkneipe; beginnt mit zart-brüchiger Stimme, um im Refrain bei ausbrechen­dem Gesang Tische fliegen und Gläser zerklirren zu lassen. Lary steht dabei zwischen Melancholi­e und Leidenscha­ft – und spannt diesen Bogen über alle zwölf Titel des Albums, das an diesem Freitag erscheint.

Immer wieder im Blick: die Großstadt zwischen Magie und Tristesse. Erst zog es die gebürtige Gelsenkirc­henerin nach New York, vor gut sieben Jahren landete sie in Berlin. „Es ist zwar eine echt laute Stadt“, sagt Lary, die mit bürgerlich­em Namen Larissa Sirah Herden heißt. „Aber mein Leben ist ja auch irgendwie total laut.“Sie zelebriert das aufgeregte, immerbunte Beben der Metropole – und will dem urbanen Kosmos dennoch oft entfliehen. So zieht sie sich in ihrer nachdenkli­ch-poppigen Single „Mond“auf ebenjenen Planeten zurück, in „Medizin“sucht sie im Nachtleben Zuflucht vom Alltag.

„In diesen kranken Zeiten brauchen wir immer mehr, um den Kopf über Wasser zu halten“, erzählt Lary. „Wir feiern viel, trinken viel, rauchen viel und gucken ständig auf unser Telefon, um uns abzulenken.“Es sei sehr schwer geworden, sich zwischen all den Möglichkei­ten zu entscheide­n. Mittlerwei­le habe sie gelernt, dass nur ehrliche Vielfalt authentisc­h ist. So feuert sie in Eckkneipen das Team von Schalke 04 an – und geht danach im Cocktailkl­eid aus. Sie setzt sich für den Feminismus ein, regt sich aber darüber auf, dass das Thema in Marketing und PR instrument­alisiert werde.

Von Urlaubsava­ncen

Seit ihrem Debütalbum „Futuredeut­schewelle“aus dem Jahr 2014 ist viel Zeit vergangen. Zeit, die sie gebraucht habe, bis ihre zweite CD fertig war. „Manche Geschichte­n musste ich erst zu Ende leben, um sie erzählen zu können.“Nun singt sie in „Sand“von innigen Urlaubsava­ncen, in „Zerbrechli­ch“von tiefgreife­nder, schier überforder­nder Liebe. Mal wirkt sie euphorisch verliebt, um sich an anderen Stellen dem Pathos auszuliefe­rn und von der „100 Leben lang“währenden Liebe zu singen, die sie bisweilen „in die Knie“zwingt.

So verletzlic­h sich Lary in ihren Liedern gibt, so schwer scheint es ihr zu fallen, jenseits der Musik Schwäche zu zeigen. „Meine Songtexte schreibe ich ja auch allein“, erklärt sie „Ich mache viele Dinge mit mir selbst aus. Und in der Musik kann ich all das verarbeite­n.“

So liegt eine melancholi­sch-düstere Atmosphäre über ihrer Platte, die in „Hey Fremder“ihren virtuosen Höhepunkt erreicht. Musikalisc­h inspiriert worden sei sie unter anderem von Nick Cave, Suicide oder auch Hildegard Knef – eine Vielfalt, die sie auf „hart fragil“erlebbar macht. Ihre Stimme changiert zwischen leidenscha­ftlicher Kraft und souligem Groove, wird von Synthesize­rn und R'n'B-Rhythmen unterstütz­t oder bettet sich in Beats und 60er-Jahre Gitarrenri­ffs ein.

So liefert Lary mit „hart fragil“eine authentisc­he Antwort auf den oft eindimensi­onalen Deutschpop in den Charts. Sie hat ein Album geschriebe­n für Teilzeit-Melancholi­ker und Unentschlo­ssene – den idealen Soundtrack für den bald beginnende­n Herbst.

Live: 6.11. Stuttgart, Keller Klub; 7.11. München, Ampere.

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FOTO: CARMEN JASPERSEN „Manche Geschichte­n musste ich erst zu Ende leben, um sie erzählen zu können“, sagt die 32-jährige Sängerin Lary.

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