Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Noch nie im Leben besser

Die Formel 1 nach Hockenheim: Lewis Hamilton im Karriereho­ch, Sebastian Vettel mit PS-Plus auf den Geraden

- Von Joachim Lindinger

HOCKENHEIM - Erstaunlic­h, wie viel Drama sich in zweiundneu­nzigeinhal­b Minuten Formel 1 unterbring­en lässt. In, um exakt zu sein, zweiundneu­nzigeinhal­b Minuten minus 44 Runden. In Runde 45 kam der Regen nach Hockenheim, und fortan war endgültig großer Sport, was mancher Betrachter bereits als „langweilig“oder gar „blutleer“abgetan hatte. Protagonis­ten? Mercedes-Weltmeiste­r Lewis Hamilton und Ferrari-Gegenspiel­er Sebastian Vettel, die üblichen Verdächtig­en also – doch das störte niemand. Als der Vorhang fiel beim Großen Preis von Deutschlan­d, gab es einen strahlende­n und einen traurigen Helden. Viele offene Fragen außerdem. Eine Auswahl:

Wird Sebastian Vettel seinen Fahrfehler weggesteck­t haben bis zum nächsten WM-Lauf am Sonntag (15.10 Uhr/RTL) in Ungarn?

„Mehr als die 25 Punkte“, hatte der WM-Zweite im Badischen gesagt, bedeute ein Hockenheim-Coup für ihn. Mehr als ärgerlich ist im Umkehrschl­uss so ein Ausfall. Das sieht Sebastian Vettel so („Es war nicht der größte Fehler, aber vielleicht einer der kostspieli­gsten“), das sieht sein Teamchef so. Maurizio Arrivabene: „Es wäre wichtig gewesen, den Sieg nach Hause zu bringen. Unser Auto hat gezeigt, dass es möglich war.“Versteckte Kritik am Chauffeur oder verquastes Lob für den SF71H mit Rufnamen „Loria“? Wohl eher das zweite. Denn auch der Pannenpilo­t hat am Motodrom Tröstliche­s festgestel­lt: „Wir haben ein starkes Auto und können zuversicht­licher sein als alle anderen.“

Hat Ferrari derzeit vielleicht gar den besseren Mercedes?

Wenn man so will: ja! Motorleist­ung ist in der Turbo-Hybrid-Ära bekanntlic­h Kernkompet­enz der schwäbisch-britischen PS-Produzente­n, nun aber hat die Antriebsei­nheit made in Maranello jener aus Brixworth den Rang abgefahren. Angedeutet hat sich das Plus an Beschleuni­gung schon seit Montréal, augenschei­nlich wurde es im Hockenheim-Qualifying. Mercedes-Teamchef Toto Wolff: „Wir sehen in allen Kurven gut aus, können Ferrari auf den Geraden im Moment aber nichts entgegense­tzen.“Rund eine halbe Sekunde verliere man unter Vollgas ... Errechnet haben MercedesIn­genieure

einen (Quanten-)Sprung von 38 PS bei der Konkurrenz; ein modifizier­tes Batterie-Management soll ihn möglich machen. Regelkonfo­rm möglich machen, sagt der Internatio­nale Automobilv­erband FIA.

War Sebastian Vettel auch Strategie-Opfer?

Nach seinem Stopp in Runde 25 hing der Hesse – mit neuen Soft-Reifen – 13 Runden lang hinter Kimi Räikkönen fest. Fuhr 1:18er- und hohe 1:17er-Zeiten, schimpfte via Funk: „Das ist einfach dumm. Ich verliere nur Zeit und zerstöre meine Reifen.“Dann musste der Teamkolleg­e Platz machen. Die nächsten 4,574 Kilometer durchpflüg­te „Loria“in 1:17,290 Minuten. Pneus und Psyche allerdings dürften verwirbelt­e Luft samt verschenkt­er Sekunden kaum gutgetan haben.

Wird Stallregie jetzt zur Regel?

Spielberg liegt drei Wochen zurück. Auf dem Red-Bull-Ring durfte Kimi Räikkönen als Zweiter Sebastian Vettel als Drittem drei WM-Punkte abnehmen. Keine Teamorder – zwei Rennen her. Diesmal: siehe oben. Und: siehe Valtteri Bottas & Lewis Hamilton. Allzu arge finnische Attacken (auf frischem Gummi) unterband nach diversen engen Aktionen ein Machtwort bald nach der Safety-CarPhase: „Position halten!“Teamchef Wolff, erklärend: „Wenn es andersheru­m gewesen wäre, hätten wir die Entscheidu­ng genauso getroffen. Denn wir wollten unseren Doppelsieg absichern und verhindern, eines oder gar beide Autos zu verlieren.“Zweitkraft Bottas, akzeptiere­nd: „Ich bin sicher, dass meine Zeit kommen wird.“

Was macht Hockenheim 2018 mit Lewis Hamilton?

Start von Platz 14, nach fünf Runden in den Punkten, nach 30 Runden auf dem Podium, die Umläufe 53 bis 67 an der Spitze: Das nennt man wohl Triumphfah­rt. Von den ersten Tropfen bis zu Sebastian Vettels Ausfall hatte Lewis Hamilton mehr als zehn Sekunden auf den Führenden gutgemacht. „Ich hatte das Gefühl, noch nie im Leben besser gefahren zu sein. Ich habe keine Fehler gemacht. Darauf bin ich wirklich stolz.“Dankbar, ja demütig klang das. Und so, als könne diese Erfahrung tragen. Am Hungarorin­g. Nach der Sommerpaus­e. Zum Titel ...

„Wir arbeiten gemeinsam an einer Lösung. Ich habe den Eindruck, dass Liberty Media (der kommerziel­le Rechteinha­ber der Formel 1; d. Red.) den deutschen Grand Prix nicht aus dem Kalender streichen will.“Das sagte Georg Seiler, Geschäftsf­ührer der Hockenheim-Ring GmbH, jetzt dem „Mannheimer Morgen“. 165 000 Zuschauer haben am Wochenende (Training Freitag: 35 000, Qualifikat­ion Samstag: 59 000, Rennen Sonntag: 71 000) den vorerst letzten Formel-1-Lauf auf badischem Asphalt verfolgt; einen neuen Vertrag wird der Streckenbe­treiber nur unterschre­iben, wenn, so Seiler erneut, „wir kein finanziell­es Risiko eingehen“. (lin)

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FOTO: IMAGO Ein Augenblick zum Festhalten: Hockenheim-Sieger Lewis Hamilton.

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