Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Willkommen in der „Bridges-Familie“

Eine interkultu­relle Musikiniti­ative bringt Flüchtling­e und Einheimisc­he zusammen – Der Austausch ist längst zu einer Herzensang­elegenheit geworden

- Von Carina Dobra Mehr Informatio­nen und die Konzertter­mine gibt es im Internet: www.bridges-musikverbi­ndet.de

FRANKFURT (epd) - Hoch konzentrie­rt schaut Pejman Jamilpanah von seinem Notenständ­er auf zum Dirigenten. „Den Ton ruhig noch etwas länger ziehen: Laaahhh. Ungefähr so“, unterbrich­t Martin Wettges das Orchester und zieht mit seinen Händen in der Luft langsam eine Welle. Jamilpanah notiert sich mit einem Bleistift die Änderungen auf seinem Notenblatt.

Die Musiker der Initiative „Bridges“proben in der Freien Waldorfsch­ule Frankfurt für ein Konzert. Gegründet wurde „Bridges“Anfang 2016 und bringt seitdem profession­elle Musiker und Musikerinn­en aus Frankfurt und der ganzen Welt zusammen, mit oder ohne Flucht- und Migrations­hintergrun­d.

Kurz vor der Probe sitzt Pejam Jamilpanah auf dem Pausenhof der Schule auf einer Holzbank und holt behutsam ein gitarrenäh­nliches Instrument aus seiner Tasche. Der Bauch des Saiteninst­ruments ist mit Klebeband versehen. Anders als bei einer Gitarre ist der Instrument­enkörper mit Tierhaut umspannt. „Die ist extrem empfindlic­h sowohl bei Kälte als auch bei Hitze“, erklärt der Iraner und streicht die Klebestrei­fen glatt.

Drei Mädchen umringen ihn: „Was ist das für ein Instrument?“. Neugierig zupft eine an den Saiten. „Das ist eine Tar“, antwortet Jamilpanah und erklärt, dass er die Laute aus seinem Heimatland mitgebrach­t hat. Er habe dafür 600 Euro bezahlt. „Im Iran“, betont der sportliche junge Mann. „In Deutschlan­d kostet das locker 2000 Euro.“Das Mädchen-Trio legt den Rückwärtsg­ang ein.

Jamilpanah spielt mehrere persische Instrument­e, auch die Setar, eine Langhalsla­ute. Die orientalis­chen Klänge machten die Konzerte von „Bridges“einzigarti­g, sagt Kulturmana­gerin Anke Karen Meyer, die das Projekt gemeinsam mit der künstleris­chen

Leiterin und Flötistin Johanna Leonore-Dahlhoff organisier­t. Der musikalisc­he Mix aus europäisch­en und orientalis­chen Stücken ziehe auch ein breiteres Publikum an als bei klassische­n Konzerte, etwa in der Alten Oper, erklärt Meyer.

Seit dem Start von „Bridges“haben die Musiker aus aller Welt 170 Konzerte gegeben, als großes Orchester oder in kleineren Ensembles. Die meisten wurden im Rhein-MainGebiet aufgeführt, einige aber auch deutschlan­d- und sogar europaweit wie etwa in Italien.

„Nach dem ersten Konzert im Sendesaal des Hessischen Rundfunks hatten wir so viele Anfragen, damit hatten wir gar nicht gerechnet“, erinnert sich Meyer. Inzwischen beteiligen sich rund 120 Musiker an dem Projekt, doppelt so viele wie am Anfang. Es gebe allerdings keine feste Mitgliedsc­haft. Der harte Kern besteht nach Meyers Worten aus etwa 40 Musikern und Musikerinn­en.

Einer davon ist Pejman Jamilpanah. Er ist seit dem ersten Tag dabei. Der 35-Jährige kam 2015 nach Deutschlan­d, alleine. Die erste Zeit lebte er im hessischen Limburg, vor drei Monaten ist er nach Frankfurt gezogen. Der junge Komponist fühlt sich wohl in der Mainmetrop­ole. Nur teuer sei es. Als freiberufl­icher Musiker hätte er es nicht leicht, sagt er, aber: „Musik ist das, was ich machen will und auch kann, ich liebe das einfach.“

Auch Rabie Azar geht es nicht vorrangig um das Geld. Jedenfalls zurzeit nicht. Der 38-Jährige lebt seit Dezember 2017 in Darmstadt. Nachdenkli­ch schaut er auf seine Bratsche. In Syrien hat er studiert, war Musiklehre­r. Sein Studium würde er in Deutschlan­d gerne fortführen. Jetzt möchte er aber erst einmal Deutsch lernen und in der Musikerbra­nche Fuß fassen. Einige Aufträge für die nächsten Monate habe er schon, sagt er. Neben „Bridges“spielt Azar für das Syrian Expat Philharmon­ic Orchestra – ein Symphonieo­rchester von syrischen Musikern im Exil.

„Wir möchten die Musiker langfristi­g in den Arbeitsmar­kt integriere­n“, erklärt Meyer. Ihre Kollegin und sie unterstütz­en sie auch etwa bei der Anmeldung bei der Künstlerso­zialkasse. Jedes Mal aufs Neue kämpfen die beiden Frauen bei den Veranstalt­ern der Konzerte um eine faire Gage für die Musiker, wie sie sagen. Die sei dann teilweise sogar höher als das, was freie Musiker normalerwe­ise verdienten.

Mindestens genauso wichtig wie die Bezahlung sei aber der Austausch über die Musik hinaus, sagt Meyer. Viele der Musiker seien auch privat miteinande­r befreundet. „BridgesFam­ilie“nennt Meyer das Projekt darum gerne.

Bei der Probe in der Aula der Waldorfsch­ule trudeln unterdesse­n nach und nach immer mehr Musiker ein. Herzlich umarmen sich die Frauen und Männer zur Begrüßung. „Wo viele Leute sind, gibt es viele Verständni­sse von Pünktlichk­eit“, sagt Meyer und lacht, „das ist doch ganz normal“. Mit der Kommunikat­ion scheint es hingegen keine Schwierigk­eiten zu geben. Englisch können alle, der Rest klappt mit Blicken, Handbewegu­ngen – und natürlich der Musik.

„Wo viele Leute sind, gibt es viele Verständni­sse von Pünktlichk­eit.“Anke Karen Meyer, Kulturmana­gerin

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FOTO: EPD In der Aula der Waldorfsch­ule in Frankfurt am Main findet diese „Bridges“-Orchesterp­robe mit dem Dirigenten Martin Wettgesam statt.

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