Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Kampf gegen Krankheit und Kasse

Jasmin Doser aus Scheer leidet an einem Lipödem.

- Von Theresa Gnann

SCHEER - Jasmin Doser aus Scheer ist mitten in der Pubertät, als sie zum ersten Mal merkt, dass etwas nicht stimmt. Sie ist aktiv, viel unterwegs, ernährt sich gesund – und nimmt trotzdem immer weiter zu. „Das sind Reiterhose­n“, diagnostiz­iert damals ihre Mutter: unschöne aber harmlose Dellen an den Oberschenk­eln. Doch mit der Gewichtszu­nahme beginnen auch die Schmerzen. Und für Jasmin Doser damit ein Kampf: Sie macht Diäten, treibt noch mehr Sport, nimmt weiter zu. Schließlic­h geht sie zum Hausarzt – und ohne Diagnose wieder nach Hause.

Jahrelang zieht sich die heute 23Jährige zurück, geht nicht mehr ins Schwimmbad, nicht mehr unter Leute, will nicht gesehen werden. Sie schämt sich für ihre Beine, die immer dicker werden. Dabei ahnt niemand, dass die Fettpolste­r eine medizinisc­he Ursache haben: Jasmin Doser leidet an einem Lipödem. Eine Störung im Fettstoffw­echsel führt dazu, dass sich die Fettzellen in ihren Beinen krankhaft verändern und stark vermehren. Dieses Fett entsteht nicht durch die Ernährung und ist in den meisten Fällen sogar resistent gegen Diäten. Ausgelöst wird die Krankheit – so vermuten es Mediziner – in Phasen starker hormonelle­r Veränderun­gen, zum Beispiel in der Pubertät. Die Hormone setzen einen Mechanismu­s in Gang, der die Zellen teilt und doppelt so schnell wachsen lässt wie gesundes Fett.

Jasmin Dosers Hautärztin hat schließlic­h den richtigen Tipp und schickt die junge Frau zu einem Spezialist­en nach Mittelfran­ken. Der stellt dann die Diagnose Lipödem. Deutschlan­dweit sind mehr als drei Millionen Frauen davon betroffen, informiert die Landesärzt­ekammer Baden-Württember­g. Weil die Krankheit aber oft nicht erkannt wird, wird sie oft fälschlich­erweise mit der lebensstil­bedingten Adipositas, also der Fettleibig­keit, gleichgese­tzt. Die betroffene­n Frauen kämpfen deshalb auch um die gesellscha­ftliche Anerkennun­g ihrer Krankheit.

Hilfe bieten Selbsthilf­egruppen. Jasmin Doser ist nach ihrer Diagnose viel im Internet unterwegs und sucht den Kontakt zu Frauen, die unter der gleichen Krankheit leiden. „Sich auszutausc­hen hilft“, sagt sie. Einmal fährt sie für ein Fotoshooti­ng bis nach RheinlandP­falz. Eine selbst an Lipödem erkrankte Fotografin organisier­t dort Fototermin­e für Frauen mit Lipödem. Mit ihrer Aktion will sie Aufmerksam­keit für die Krankheit schaffen und den Frauen ihr Selbstbewu­sstsein zurückgebe­n. „Die Stimmung war super. Und es tut einfach gut zu wissen, dass man mit seiner Krankheit nicht allein ist.“

Viel schlimmer als die fehlende gesellscha­ftliche Anerkennun­g sind für Doser aber ohnehin die Schmerzen, denn Gewicht und Fehlbelast­ung schädigen die Gelenke. „Manchmal kann ich bei der Arbeit kaum aufstehen“, erzählt die Erzieherin. Seit ihrer Diagnose ist sie in Behandlung, bekommt zwei Mal in der Woche eine Lymphdrain­age. Außerdem zahlt ihr die Kasse pro Halbjahr ein Paar Kompressio­nsstrümpfe. Das hilft ein bisschen. „Aufhalten lässt sich die Krankheit damit aber genau so wenig wie mit Sport und Diäten“, sagt Doser.

Langfristi­gen Erfolg verspricht sie sich nur von einer Fettabsaug­ung. Kostenpunk­t: 18 000 Euro. Einen Antrag auf Kostenüber­nahme lehnt ihre Krankenkas­se ab. Im versicheru­ngsrechtli­chen Sinn liege keine Krankheit vor, die eine chirurgisc­he Interventi­on medizinisc­h notwendig macht, heißt es im Ablehnungs­schreiben.

Selbstbewu­sster geworden

Auf Nachfrage der Schwäbisch­en Zeitung verweist die Kasse auf ein Urteil des Bundessozi­algerichts vom April dieses Jahres. Die dauerhafte Wirksamkei­t einer solchen Liposuktio­n sei nicht ausreichen­d gesichert, heißt es darin. Zwar soll jetzt eine neue Studie auf den Weg gebracht werden, auf deren Grundlage dann neu entschiede­n wird, ob die Liposuktio­n in den Katalog der Kassenleis­tungen mit aufgenomme­n wird. Doch bis Ergebnisse vorliegen, dauert es noch mehrere Jahre. „So lange kann ich nicht warten“, sagt Doser und entscheide­t sich, den Eingriff aus eigener Tasche zu bezahlen. „Ich habe sonst Angst, irgendwann im Rollstuhl zu landen.“

Mittlerwei­le, sagt sie, gehe sie viel selbstbewu­sster mit ihrer Krankheit um. „Heute zieh ich meine Kompressio­nsstrümpfe an, auch im Sommer. Ich lass die Leute einfach schauen.“Aber ihrem Körper dabei zusehen, wie er sich kaputt macht, das könne sie einfach nicht.

„Aufhalten lässt sich die Krankheit damit aber genau so wenig wie mit Sport und Diäten“, sagt Jasmin Doser über die Lymphdrain­agen und die Strümpfe, die sie bekommt.

Jasmin Doser baut derzeit in der Region eine Lipödem-Selbsthilf­egruppe auf. Betroffene Frauen, die sich austausche­n wollen, können sich unter

●» jasmin.doser@web.de melden.

 ?? FOTO: CORINNA HANSEN-KREWER ??
FOTO: CORINNA HANSEN-KREWER
 ?? FOTOS: CORINNA HANSEN-KREWER/SOUL-FEELINGS.DE ?? Bei einem Fotoshooti­ng in Rheinland-Pfalz lässt sich Jasmin Doser zusammen mit anderen Frauen ablichten, die auch an einem Lipödem leiden. Die Aktion soll mehr Aufmerksam­keit für die Krankheit schaffen.
FOTOS: CORINNA HANSEN-KREWER/SOUL-FEELINGS.DE Bei einem Fotoshooti­ng in Rheinland-Pfalz lässt sich Jasmin Doser zusammen mit anderen Frauen ablichten, die auch an einem Lipödem leiden. Die Aktion soll mehr Aufmerksam­keit für die Krankheit schaffen.
 ??  ?? Jasmin Doser will sich das in ihren Beinen eingelager­te Fett gern absaugen lassen.
Jasmin Doser will sich das in ihren Beinen eingelager­te Fett gern absaugen lassen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany