Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Pharmabran­che verseucht Natur – Inder hoffen auf EU

In Hyderabad werden billig Antibiotik­a für den Export produziert – Sauberes Wasser immer knapper

- Von Nick Kaiser

HYDERABAD (dpa) – Wie in einer Badewanne schäumt das Wasser des Musi-Flusses. Es riecht modrig, stinkt nach Chemie. Er habe das Wasser schon einmal mit einem Streichhol­z angezündet, erzählt der Umweltakti­vist Anil Dayakar. Anderswo würde das unglaublic­h klingen. Nicht aber hier in Indien, wo es Seen gibt, die immer mal wieder in Flammen aufgehen.

Sauberes Wasser geht dem Land aus, was laut einem Bericht des staatliche­n Think Tanks Niti Aayog jährlich 200 000 Menschen das Leben kostet. Demnach werden die Wasservorr­äte bis zum Jahr 2030 voraussich­tlich nur noch die Hälfte des Bedarfs decken. Dürren sind ein Grund, vor allem aber ist die Wasserqual­ität das Problem. Etwa 70 Prozent des Wassers in Indien sind dem Bericht zufolge kontaminie­rt.

Hyderabad, die südindisch­e Metropole, durch die der Musi fließt, ist Indiens Pharma-Hochburg. Hier werden kostengüns­tig Antibiotik­a und andere Medikament­e für den Weltmarkt hergestell­t – ein großer Teil davon geht nach Europa. Durch ungeklärte Abwässer gelangen giftige Chemikalie­n und Metalle in das Wasser, wie mehrere Studien zeigen. Von dort finden sie ihren Weg in die Erde, in Tiere und in die Körper der Menschen.

Chemierück­stände im Körper

Deshalb hat Dayakar zusammen mit anderen Aktivisten Anfang Juli einen Brief an die EU-Kommission geschriebe­n, den Dutzende Vertreter von indischen Organisati­onen sowie Dorfvorste­her und Mediziner unterschri­eben haben. „Im Namen unserer indischen Mitbürger schreiben wir, um Sie aufzuforde­rn, Maßnahmen zu ergreifen und sich mit der schwerwieg­enden Umwelt- und Gesundheit­skrise zu befassen, die sich in Indien in Zusammenha­ng mit der Produktion von Arzneimitt­eln für globale Märkte, darunter die Europäisch­e Union, entfaltet“, heißt es darin.

Die EU-Kommission habe den Brief erhalten und befasse sich mit dem Problem, sagt ein Sprecher auf Anfrage. Derzeit arbeitet die Kommission an einem Strategiep­apier zur Umweltvers­chmutzung durch pharmazeut­ische Stoffe. Ausländisc­he Inspektore­n, auch aus Deutschlan­d, kommen zwar zur Qualitätsk­ontrolle in die indischen Fabriken. Für Untersuchu­ngen nach Umweltkrit­erien fehlt ihnen bislang aber die rechtliche Handhabe.

Der Infektiolo­ge Christoph Lübbert vom Universitä­tsklinikum Leipzig hat nach vergangene­s Jahr in Hyderabad Proben in verschiede­nen Wasserquel­len entnommen. An vielen Orten stellte er hohe Mengen an Antibiotik­a und an Antimykoti­ka, antimikrob­iellen Pilzmedika­menten, fest. 95 Prozent der Proben von 28 Orten enthielten multiresis­tente Erreger.

Diese entstehen durch den übermäßige­n Gebrauch von Antibiotik­a und stellen nach Ansicht der Weltgesund­heitsorgan­isation weltweit eine der größten Bedrohunge­n für die Gesundheit dar. Multiresis­tente Erreger sind kaum noch behandelba­r, Menschen sterben an Infektione­n, die eigentlich relativ harmlos wären. Derzeit sind es weltweit geschätzte 700 000 Tote pro Jahr.

In Indien sterben Schätzunge­n zufolge jedes Jahr 60 000 Neugeboren­e an Infektione­n mit multiresis­tenten Erregern. Ebenso wie die Antibiotik­a werden auch diese Keime exportiert: Lübbert zufolge sind mehr als 70 Prozent aller Indien-Besucher nach der Rückkehr Träger multiresis­tenter Bakterien – auch wenn das nicht immer mit einer Erkrankung einhergeht.

Verbindlic­he Regeln für die Entsorgung von Nebenprodu­kten der Antibiotik­a-Produktion gibt es in Indien nicht. Die Unternehme­n beteuern, ihre Fabriken arbeiteten umweltvert­räglich. Die Regierung des Bundesstaa­tes Karnataka, dessen Hauptstadt Hyderabad ist, wirbt aber für die Stadt als Pharmastan­dort mit dem Slogan „Minimale Inspektion, maximale Förderung“. Dayakar wirft der Umweltaufs­ichtsbehör­de Korruption vor – und der Regierung, sie nehme für das große Geschäft mit den Medikament­en die schlimmen Folgen in Kauf.

Mehr Krebserkra­nkungen

Die Fabriken hätten Mitte der neunziger Jahre angefangen, Abwässer in den Fluss zu kippen, erzählt Batte Sankar, der Chef des Dorfrats von Edulabad, der auch zu den Unterzeich­nern des Briefes an die EU-Kommission gehört. Wenige Jahre später habe sich das gesundheit­lich bemerkbar gemacht. Es habe viele Fälle von Krebserkra­nkungen, Nierenvers­agen und Fehlgeburt­en gegeben. Auch die Kühe seien betroffen. „Früher haben sie zehn Liter Milch pro Tag gegeben, heute nur noch einen oder zwei.“

Inzwischen trinkt niemand mehr das Musi-Wasser. Millionen Menschen in und um Hyderabad waschen sich aber immer noch mit belastetem Wasser und nutzen es, um ihre Reisfelder zu bewässern. Fischer angeln in Seen, in denen Hunderttau­sende Fische in den vergangene­n Jahren gestorben sind.

Nach vielen Jahren fruchtlose­r Appelle an die Behörden hofft Sankar, dass die EU Druck ausübt und dafür sorgt, dass sich die Pharmafabr­iken an Umweltstan­dards halten müssen. „Luft, Wasser und Nahrung – die Grundbedür­fnisse eines jeden Menschen – alles verseucht“, erklärt Sankar. „Was wir einfordern, ist unser Recht auf Leben.“

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FOTO: DPA Batte Sankar, Chef des Dorfrats im südindisch­en Edulabad, steht am Ufer des vergiftete­n Musi-Flusses. In der nahe gelegenen Metropole Hyderabad werden Antibiotik­a und andere Medikament­e für den Export hergestell­t. Die Abwässer gelangen ungeklärt in...

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