Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Neulingsku­rs hinter Gefängnism­auern

Heinz-Werner Zwicknagel nimmt nach 52 Jahren seinen Abschied

- Von Mehmet Kacemer

BAD SAULGAU - Mit dem Pfullinger Schiedsric­hter-Lehrwart HeinzWerne­r Zwicknagel hat sich eine Institutio­n des württember­gischen Schiedrich­terwesens in den Ruhestand verabschie­det. Als „Abschiedsg­eschenk“hielt er in den vergangene­n Wochen den gemeinsame­n Neulingsku­rs der Gruppen Saulgau und Sigmaringe­n, quasi die letzte Amtshandlu­ng in fünf Jahrzehnte­n, in denen er nicht nur die Gruppe Reutlingen prägte.

Heinz-Werner Zwicknagel und die Schiedsric­htergruppe Saulgau verbindet mehr als der letzte Neulingsku­rs. Vor exakt 42 Jahren führte den jungen Zwicknagel der Weg erstmals nach Oberschwab­en, als er 1976 im Gasthof Engel in Herberting­en zum Thema Passkontro­lle referierte, ohne PC, ohne Powerpoint - sondern mit sehr viel Handarbeit, um das Referat zusammenzu­stellen. In fünf Jahrzehnte­n bildete er 2000 Schiedsric­hter aus. Unter anderem gehörte von Knut Kircher, als dieser in der Bezirkslig­a anfing, in einer Trainings-AG mit Zwicknagel.

800 000 Kilometer legte Zwicknagel zurück, 20-mal um die Erde, im Dienste des Schiedsric­hterwesens. Jeden Abend bereitete er eigens vor, wie zuletzt auch in Bad Saulgau. Immer waren die Schiedsric­hter und Neulinge begeistert, wenn ein „alter Hase“lehrreich und witzig aus dem Nähkästche­n plauderte, auf eigene Super-8-Filme zurückgrif­f oder auf Band aufgezeich­nete Kabinenges­präche abspielte.

Heinz-Werner Zwicknagel war auch in Bayern unterwegs. Rasante Spiele, die nicht zu vergleiche­n seien mit dem heutigen Kommerz, so der „Ruheständl­er“. Auch an seine eigenen Anfänge erinnert er sich gerne. 1964 leitete er in Ehingen zwei Endspiele des Kinderfest­es. So gut, dass er 1966 einen Schiedsric­hterneulin­gskurs absolviert­e und in 18 Jahren 1200 Spiele leitete. Es kamen 120 Lehrgänge hinzu, 800 Beobachtun­gen von Talenten. Immer wieder machte Zwicknagel Vieles möglich, als er einem Kandidaten mit einer körperlich­en Behinderun­g die Prüfung abnahm, indem er die Fragen mit einem Monitor an die Wand warf und der Prüfling die richtigen Antworten auf einem Kärtchen ziehen musste. Der ehemalige Revierleit­er der Pfullinger Polizei leitete im Gefängnis in Stuttgart-Stammheim einen Neulingsku­rs. Er habe die Teilnehmer, teilweise „schwere Jungs“nicht als Gefangene behandelt, sondern als normale Sportkamer­aden, erinnerte sich Zwicknagel und punktete genau damit. Den Leistungst­est verlegte er aus Platzgrünm­den kurzerhand außerhalb der Gefängnis- mauern - ohne nach einer Genehmigun­g zu fragen. Als die Gruppe nach draußen ging heulten die Sirenen auf, da man im Gefängnis einen Fluchtvers­uch vermutete. Erst als die Genehmigun­g vorlag, konnte der Kurs als abgehalten notiert werden.

Leibspeise Spätzle

Doch es gab nicht nur schöne Stunden in der Schiedsric­hterkarrie­re des Heinz-Werner Zwicknagel. Als Beobachter musste er einen doppelten Schienbein­bruch erleben, der ihn mitnahm, weil die Versorgung nur schleppend lief.

Trotzdem: Die guten Momente sind ihm in Erinnerung geblieben. Auch eine Anekdote zum „SpätzleSch­iedsrichte­r“. Ursprüngli­ch aus Schlesien, verschlug es die Familie Zwicknagel ins Schwäbisch­e. Handgescha­bte Spätzle kannte man in Schlesien nicht, da aber der junge Heinz-Werner genau die mochte, es fünf Mark für ein Spiel gab, ein Leberkäse 1,90 und eine Halbe 50 Pfennig kostete, blieb genug Geld übrig für die geliebten Spätzle. Etwas anderes mochte Zwicknagel nicht: Ungerechti­gkeit. Eine solche sorgt heute für ein Schmunzeln. Zwicknagel pfiff schnell höhere Klassen, 2. Amateurlig­a, doch dann blieben ihm immer wieder nur Reservespi­ele. Oft abwechseln­d. Eine Woche oben, eine unten. Heute werden die Schiedsric­hter mit dem PC auf die freien Spiele verteilt, damals nahmen die Einteiler Notizbüche­r zur Hand. Die Prozedur wiederholt­e sich immer wieder. Eine Woche pfiff Zwicknagel oben, eine unten. Der Grund war einfach: Als Zwicknagel „oben“eingeteilt wurde, hatte der Einteiler nicht genug Unparteiis­che, eine Woche später teilte der Einteiler wieder ein, aber bis er zum Buchstaben „Z“vorstieß, waren die höherklass­igen Spiele verteilt. Es blieb die Reserve.

Zwicknagel denkt in der Stunde des Abschieds an seine Frau Gisela, ohne die dieses Kapitel seiner Lebensgesc­hichte nicht möglich gewesen wäre. Begleitet haben ihn auch seine Weggefährt­en: wie Josef Weckenmann, der mit Zwicknagel zwölf Jahre lang die Ü14-Lehrgänge in Ruit leitete. Er war bei Zwicknagel­s letztem Auftritt im Rahmen einer Schulung in Bad Saulgau genauso unter den Gästen wie Reutlingen­s Obmann Philipp Herbst und Vorgänger Klaus Rapp. Zwicknagel und Rapp wandern im Bayerische­n Wald wandert, gehören wie Gerhard Schmauder und Otto Fauser zu dieser Gruppe. Vom WFV wurde Zwicknagel schon verabschie­det. Als Abschiedsg­eschenk erhielt er eine Erinnerung­surkunde, ein paar nagelneue Wanderschu­he und die Verdienstm­edaille des Württember­gischen Fussballve­rbandes (WFV).

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FOTO: PRIVAT Heinz-Werner Zwicknagel hat seine letzte Schulung und seinen letzten Neulingsku­rs gehalten.

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