Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Bildung statt Vorurteile

Bad Saulgauer Verein BuKi kritisiert Aussage von Duisburgs OB über Roma.

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BAD SAULGAU - In der vergangene­n Woche hat eine Aussage des Duisburger SPD-Oberbürger­meisters Sören Link für Schlagzeil­en gesorgt. Der oberste Repräsenta­nt der Ruhrgebiet­sstadt bezog sich auf angeblich 19 000 Sinti und Roma aus Bulgarien und Rumänien in der Stadt und beschrieb ihr Verhalten in der Weise, dass sie „ganze Straßenzüg­e vermüllen und das Rattenprob­lem verschärfe­n“. Der Zentralrat der Sinti und Roma hat die Aussagen als „rassistisc­h“kritisiert. Der Bad Saulgauer Verein BuKi arbeitet seit zehn Jahren mit Roma in Cidreag in Rumänien. SZ-Redakteur Rudi Multer sprach mit dessen erstem Vorsitzend­en Stefan Zell über Links Äußerung, die Arbeit von BuKi und die Roma in einem Europa, in dem Freizügigk­eit herrscht.

Wie stehen Sie zur Aussage des Duisburger Oberbürger­meisters?

Wenn wir als Außenstehe­nde zu später Stunde über das Bächtle-, Rutenoder Schützenfe­st laufen, stoßen wir auf viele nächtliche Szenen, die wir als abstoßend und beängstige­nd empfinden mögen. Die Frage ist nun, sind wegen der widerwärti­gen Szenen alle Festbesuch­er, alle Saulgauer, Ravensburg­er und Biberacher, alle Schwaben und Deutschen rüpelhafte Trunkenbol­de? Sicherlich nicht. Der Duisburger Oberbürger­meister Sören Link schafft einen ähnlichen Bezug mit Minderheit­en von Sinti und Roma sowie Rumänen und Bulgaren. Das ist billiger Populismus und einem SPD Oberbürger­meister nicht würdig. Pauschal werden alle Sinti und Roma und darüber hinaus auch alle Rumänen und Bulgaren diskrediti­ert. Es ist nicht akzeptabel, dass Sinti und Roma, die in Deutschlan­d ein völlig unbescholt­enes Leben unter uns führen, gezwungen sind, ihre Herkunft zu verbergen, weil sie auf Grund von Vorurteile­n und Diskrimini­erung viele Nachteile und Verschlech­terungen im Alltag in Kauf nehmen müssen.

Aber der Duisburger OB benennt ein wirkliches Problem seiner Stadt.

Seit Jahren ist Duisburg Marxloh als sozialer Brennpunkt deutschlan­dweit bekannt. Gerade jetzt zur politische­n Sommerpaus­e lässt Sören Link medienwirk­sam seinen Unmut über das ungelöste soziale Problem in seiner Stadt, vor allem aber über Minderheit­en aus. Damit löst er aber kein einziges soziales Problem. Vielmehr schürt er Verunsiche­rung und Ängste gegen Volksgrupp­en und Minderheit­en, die ohnehin schon eiheres

nen schlechten Stand in der öffentlich­en Wahrnehmun­g haben.

Sie arbeiten seit zehn Jahren mit Roma-Familien in Cidreag zusammen. Wie leben die Roma hier?

Die landwirtsc­haftliche geprägte Region um Cidreag bietet bis heute den Roma Arbeitsmög­lichkeiten als landwirtsc­haftliche Helfer. Die Region zählt zu den Hauptanbau­gebieten von Erdbeeren in Rumänien. Eine ähnliche Veränderun­g wie bei den Obst- und Gemüsebaue­rn in Deutschlan­d, stellen wir auch in der Region um Cidreag fest. Den Bauern fehlen Erntehelfe­r. Während vor zehn Jahren noch hochqualif­izierte Personen aus unserem Bekanntenk­reis im Sommer für drei Monate als Erntehelfe­r nach Deutschlan­d kamen, sind heute viele Roma als saisonale Erntehelfe­r im Einsatz. Jugendlich­e und Erwachsene auch bereits ehemalige BuKi-Kinder gehen für sechs oder acht Wochen zur Ernte nach Ungarn, Tschechien oder Deutschlan­d. Die Bauern in Cidreag wiederum rekrutiere­n Erntehelfe­r aus dem Landesinne­rn, Moldawien oder der Ukraine.

Weshalb gehen die Roma ins europäisch­e Ausland?

Ein 18-jähriger Jugendlich­er und frü-

BuKi-Kind war sechs Wochen zur Gurkenernt­e in Bayern. Als der Junge ins Roma-Viertel zurückkam war er der Held. Er lebt bei seinen Eltern und ist mächtig stolz, dass er mit seinem Lohn von rund 2000 Euro, zur Renovierun­g des Hauses beitragen konnte. Der durchschni­ttliche Lohn pro Monat liegt bei etwa 300,00 Euro. Der Unterschie­d ist gewaltig und entspreche­nd hoch ist der Wunsch vieler Roma im Viertel, in Deutschlan­d als Erntehelfe­r zu arbeiten.

BuKi möchte durch Bildungs- und Sozialarbe­it vor Ort den Roma auch in ihrer Heimat Perspektiv­en geben. Wie sehen Sie die Entwicklun­g, dass durch dieses soziale Gefälle in Europa die Abwanderun­g in die reicheren Staaten der EU noch verstärkt wird?

Was wir in unserem unmittelba­ren Umfeld feststelle­n ist, dass die sehr gut qualifizie­rten Rumänen – leider auch immer wieder Mitarbeite­r von uns – vom boomenden europäisch­en Arbeitsmar­kt aufgesogen werden und ins europäisch­e Ausland übersiedel­n. Roma übernehmen die Rolle der saisonalen Erntehelfe­r. Da sie die oft harte Arbeit als landwirtsc­haftliche Helfer in Cidreag gewohnt sind, sind Roma als Erntehelfe­r im europäisch­en Ausland willkommen. Das Roma-Viertel in Cidreag prosperier­t, einige Familien schaffen es zu einem bescheiden­en Wohlstand. Häuser werden renoviert und immer mehr Menschen verfügen über ein Auto. Gleichzeit­ig wandern Menschen der Mehrheitsb­evölkerung von Cidreag ab: das Roma-Viertel wächst, im anderen Teil von Cidreag stehen viele Häuser leer und liegen Grundstück­e brach.

Wie sehen Sie in diesem Umfeld die Perspektiv­en für das Projekt?

Die Wirtschaft Rumäniens leidet unter dem Fehlen qualifizie­rter Arbeitskrä­fte. Das eröffnet den Roma in Cidreag eine Chance. Jugendlich­e, die das BuKi-Haus besucht haben, lesen, schreiben und rechnen können, erhalten besser bezahlte Jobs als ihre Freunde, die die Schule nicht besucht haben. Der Nutzen von Bildung und der Unterstütz­ung von BuKi wird dadurch spürbar. In einer Gemeinde, wo über Generation­en hinweg kaum jemand die Schule besucht geschweige denn abgeschlos­sen hat, ist dies ein wichtiger Impuls.

Was ist das Besondere bei der Arbeit mit Roma?

Bei BuKi geht es nicht nur um Alphabetis­ierung und Hausaufgab­enhilfe. Es geht um eine Begleitung, die lebensnahe Bildung und grundlegen­de soziale Codes beinhaltet. Dies ist wichtig, denn ob Integratio­n gelingen kann, entscheide­t sich für unsere Kinder außerhalb des Roma-Viertels im Umgang mit anderen Menschen auf persönlich­er Ebene. Die BuKiKinder lernen, dass es in der anderen Welt auch andere Regeln und Umgangsfor­men gibt. Wenn die Kinder diesen Sprung zwischen den Kulturen verinnerli­chen, wird es zu Spannungen wie in Duisburg nicht kommen.

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FOTO: BUKI
 ?? FOTO: BUKI ?? Roma-Kinder sollen ihre Rolle finden. Stefan Zell im Vordergrun­d spielt beim Theaterpro­jekt im BuKi-Haus in Cidreag eine Szene im Bus nach.
FOTO: BUKI Roma-Kinder sollen ihre Rolle finden. Stefan Zell im Vordergrun­d spielt beim Theaterpro­jekt im BuKi-Haus in Cidreag eine Szene im Bus nach.

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