Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Zeltlager Schwende wird zu San Schwendos
Martin Hahn (Die Grünen) und Klaus Hoher (FDP) besuchen den „neuen Staat“im Deggenhausertal
DEGGENHAUSERTAL - Wer diese Woche das Zeltlager Schwende der katholischen Jugend besucht, braucht als erstes ein Visum. Das gilt auch für die Landtagsabgeordneten des Bodenseekreises Martin Hahn (Die Grünen) und Klaus Hoher (FDP), die zu einer Diskussionsrunde eingeladen waren.
„Unser Staat nennt sich San Schwendos“, erklärt der derzeitige Präsident Tom Sibrecht. Er besucht normalerweise die Realschule Nürtingen und ist einer von 28 Teilnehmern des Zeltlagers im idyllischen Deggenhausertal. Die Jugendlichen zwischen 13 und 16 Jahren haben sich entschieden, das Lagerleben demokratisch zu organisieren. „Vorbild war die Aktion Schule als Staat“, berichtet Teamleiter Jonathan Müller. Das habe den Vorteil, dass die Jugendlichen selbst bestimmen könnten und nicht nur die Leiter des Zeltlagers.
Klar, dass es eine eigene Währung gibt und verschiedene Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Der Präsident selbst bezieht kein Gehalt, weil er nach eigener Auskunft über einen gut gehenden Kiosk verfügt. Einige Mädchen verkaufen selbst gebackene Waffeln und auch eine Unternehmensberatung wurde gegründet. Sehr beliebt ist die Versteigerung von Süßigkeiten, der Erlös ist für einen guten Zweck bestimmt. Mit von der Partie sind einige Hausschweine, Ziegen und Hasen, die allerdings nicht zum Verzehr gedacht sind, sondern von den Jugendlichen betreut werden.
Amtszeit dauert nur drei Tage
Der Staat ist gut organisiert, dem Präsidenten steht ein Finanzminister zur Seite, der 15-jährige Aeneas Schulze aus Schwäbisch Gmünd. Er ist dafür verantwortlich, die Steuern einzutreiben und die Gehälter auszuzahlen. Zum Glück dauert die Amtszeit jeweils nur drei Tage, denn die Jugendlichen stellten schnell fest, dass mit den Ämtern einiges an Arbeit und Verantwortung verbunden ist.
Bei einem Rundgang durch das Zeltlager informieren sich die Abgeordneten über die Organisation von San Schwendo. Sie interessieren sich nicht nur für die Verfassung des Staates, sondern auch für das tägliche Leben. „Das Wasser für die Dusche wird in einem kleinen Ofen, der mit Holz befeuert wird, erwärmt“, erläutert Jonathan Müller. Wem das zu viel Aufwand ist, muss eben kalt duschen. Verpflegt werden die Jugendlichen von vier Helfern in der Küche, das Spülen erledigen die Teilnehmer selbst. Im Anschluss an den Rundgang eröffnet Müller die Diskussionsrunde, zu der sich fast alle Bewohner einfinden. Das Spektrum der Fragen ist breit. „Welche Fußballspieler finden Sie gut?“und „Wie beeinflusst die Fußball-WM die Politik?“gehören ebenso dazu wie die Frage, ob beide schon einmal in eine Polizeikontrolle kamen.
„Was geht Ihnen in der Demokratie am meisten auf die Nerven?“, fragt ein Junge. Klaus Hoher bedauert, dass heute fast alles weiter hinterfragt werde, auch wenn die Entscheidung längst demokratisch gefallen sei. So werde immer noch gegen Stuttgart 21 demonstriert, obwohl es eine Volksabstimmung gegeben habe. „Irgendwann sollte man das Ergebnis akzeptieren“, sagt der FDP-Abgeordnete. Das Recht zu demonstrieren wird von der 15-jährigen Sophia engagiert verteidigt und auch Martin Hahn von den Grünen bestätigt das Recht auf freie Meinungsäußerung. Ihn störten am meisten die langwierigen Prozesse in der Politik. Beide Abgeordnete outen sich bei entsprechenden Nachfragen nicht als Befürworter von Stuttgart 21 und hätten andere Lösungen besser gefunden.
Diskussion über Lobbyismus
„Welche Rolle spielt Bestechung?“, fragt ein Junge. „Mir wurde noch nie etwas angeboten“, sagt Klaus Hoher schmunzelnd, und Martin Hahn nutzt die Gelegenheit, das Thema Lobbyismus zu erklären. „Lobbyismus ist auch Aufklärungsarbeit“, sagt Hoher, denn schließlich sei fast jeder irgendwo organisiert – sei es in einem Sportverein oder in einer Musikkapelle.
Geduldig und offen beantworten die Abgeordneten die Fragen. Nur bei wenigen Themen müssen sie passen – beispielsweise, als es um die Fertigstellung des Berliner Flughafens geht. Das Thema Flüchtlinge interessiert die Jugendlichen dagegen nur am Rande. „Insgesamt war es ein interessanter Nachmittag“, ziehen die Teilnehmer Bilanz.