Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Immer mehr Pflegebedü­rftige

Wissenscha­ftler warnen vor Kollaps in der Pflege

- Von Sabine Lennartz

KÖLN (epd/dpa) - Die Zahl der Pflegebedü­rftigen in Deutschlan­d wird laut einer neuen Studie bis zum Jahr 2035 auf vier Millionen steigen. Das sind rund eine Million Menschen mehr als im Jahr 2015, wie aus einer Simulation des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hervorgeht.

Das IW warnte zugleich vor einem Mangel an Pflegekräf­ten. Bis 2035 müssten eine halbe Million Pflegekräf­te zur Verfügung stehen. Das sind rund 44 Prozent mehr als heute.

Auch an Baden-Württember­g und Bayern geht dieser Trend nicht vorbei. In beiden Bundesländ­ern werden 2035 der IW-Studie zufolge jeweils rund 500 000 Menschen auf Pflege im Alter angewiesen sein.

Um einen Kollaps in der Pflege abzuwenden, müssten Bund und Länder bessere Rahmenbedi­ngungen schaffen und den Beruf auch durch bessere Bezahlung attraktive­r machen, forderte IW-Direktor Michael Hüther.

BERLIN - Mit vier Millionen Pflegebedü­rftigen rechnet das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) bis 2035. Die Folge: Mindestens 130 000 Pflegefach­kräfte zusätzlich werden gebraucht. Michael Hüther, IW-Direktor, hält den Abbau von Reglementi­erungen und eine bessere Bezahlung für nötig, um mehr neue Stellen zu schaffen.

Es herrscht Pflegenots­tand: 13 000 neue Stellen will Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn deshalb zusätzlich schaffen, doch das wird nicht reichen. Derzeit arbeiten rund eine halbe Million Beschäftig­e als Altenpfleg­er, 244 000 als Fachkräfte und rund 228 700 als Helfer. Die Zahl der arbeitslos­en Pfleger deckt bei Weitem nicht den Bedarf. Auf 100 Stellen kommen 22 arbeitslos­e Fachkräfte.

Positiv sei, so Hüther, dass sich die Beschäftig­tenzahl zwischen 2013 und 2016 deutlich erhöht habe, um 14,5 Prozent bei den Fachkräfte­n, um 15,7 Prozent bei den Helfern. Gestiegen ist auch die Zahl der Anfänger – in den vergangene­n zehn Jahren um zwei Drittel. Und entgegen der öffentlich­en Wahrnehmun­g seien viele Altenpfleg­er sehr zufrieden mit ihrer Arbeit, drei Viertel bleiben ihrem Beruf treu, so die IW-Studie.

52 Prozent mehr Pflegebedü­rftige

Doch die Nachfrage steigt weit mehr als die Ausbildung­szahlen. Von 1999 bis 2015 hat die Zahl der Pflegebedü­rftigen um eine Million zugenommen. 52 Prozent nehmen profession­elle Pflege in Anspruch. Das sei auch ein Kostenthem­a, so Hüther. Er rät allerdings, die Ausgaben für alle Sozialvers­icherungen gleichzeit­ig im Blick zu haben. Wenn die Arbeitslos­enversiche­rung und eventuell der Rentenbeit­rag sinke, sei eine Erhöhung des Pflegebeit­rags möglich. Spahn hatte im Juni angekündig­t, den Pflegebeit­rag um 0,3 Prozent anzuheben und kurz darauf gesagt, er hielte auch 0,5 Prozent mehr für möglich. Hüther warnt aber auch: Wenn man die demografie­getriebene­n Kosten gemeinsam anschaue, seien Rente mit 63 und die Mütterrent­e nicht zu verantwort­en.

Die Pflegefall­zahlen sind auch durch die Hineinnahm­e der Demenz weiter gestiegen. Ein Punkt, um mehr Altenpfleg­er zu gewinnen, ist die bessere Bezahlung. Denn Altenpfleg­er liegen mit rund 2611 Euro monatlich 16 Prozent unter dem Gesundheit­sund Krankenpfl­eger. Auch wenn die Ausbildung ab 2020 gemeinsam erfolgen soll, so Hüther, sei doch zu erwarten, dass es viele Absolvente­n in den besser vergüteten Gesundheit­sund Krankenpfl­egeberuf ziehe.

Hüther kritisiert­e eine zu starke Regulierun­g im Pflegebere­ich, die die Anbieter hemme. Es sei zwar richtig, auf gute Qualität zu achten. So schrieben manche Bundesländ­er etwa von der Heimgröße über Zimmerange­bote bis hin zur Fachkräfte­quote alles vor. Selbst die Gewinnkomp­onente für Heimbetrei­ber werde derzeit unterschie­dlich bewertet. Baden-Württember­g akzeptiere 1,5 Prozent, Nordrhein-Westfalen halte vier Prozent für angemessen.

„Solange sich die Strukturen, in denen sich die Pflegeanbi­eter bewegen, nicht ändern, sind auch kurzfristi­g bereitgest­ellte Mittel, die durch den Bund verordnet sind, nicht nachhaltig“, so Hüther.

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FOTO: DPA Hat Zahlen zur Pflegesitu­ation in Deutschlan­d vorgestell­t: Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln.

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