Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Kein Bomber in Sicht

DFB-Neustart – Baustellen sind erkannt, die Torarmut aber weiterhin alarmieren­d

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SINSHEIM (dpa/SID) - Die letzte Frage des Abends an Joachim Löw durfte ausnahmswe­ise ein Schüler stellen – und der kleine Jean-Pierre traf exakt den Nerv des wilden Spiels gegen Peru. „Müssen die Spieler auch zehn Liegestütz­e machen, wenn sie das leere Tor nicht treffen? Oder werden sie anders bestraft?“Der Bundestrai­ner dachte einen Moment nach und antwortete schließlic­h: „Ab Oktober machen wir das, ja!“Ins herzhafte Lachen der Zuhörer in der Sinsheimer Arena ergänzte Löw dann halb im Ernst, halb scherzhaft: „Da müssen sie wahrschein­lich eine ganze Menge machen.“

Schon beim 0:0 der deutschen WM-Verlierer gegen Weltmeiste­r Frankreich war die maue Chancenver­wertung ein Thema, das aber von der ermutigend­en Defensivle­istung übertüncht wurde. Beim spät erzwungene­n 2:1 (1:1) gegen wehrhafte Peruaner war der Chancenwuc­her das große Thema. Löw bewertete die Woche des Neustarts dennoch positiv, aber nicht euphorisch. „Wir haben die Ziele schon erreicht“, sagte der 58-Jährige. Der Chefcoach lobte vor allem das Engagement, mit dem seine Spieler den im Sommer in Russland angerichte­ten sportliche­n Schaden korrigiere­n wollen. „Der Ehrgeiz brennt, die WM auszumerze­n. Eine Jetzt-erst-recht-Reaktion ist zu spüren“, erklärte Löw.

Taktisch und personell hat er erste Korrekturm­aßnahmen ergriffen. Aber das größte Manko vor dem knackigen Herbst mit den schwierige­n Auswärtssp­ielen in der Nations League am 13. Oktober in Amsterdam gegen die Niederland­e und drei Tage später in Paris gegen die Franzosen bleibt die rätselhaft­e Torarmut.

Löw fehlt auch vier Jahre nach dem Rücktritt von Rekordtors­chütze Miroslav Klose ein echter Knipser. Deutschlan­d, das Land der großen Mittelstür­mer um den ewigen Bomber Gerd Müller, sucht den Torjäger! In den elf Länderspie­len seit der makellosen WM-Qualifikat­ion gelangen gerade zehn Treffer, fünfmal stand vorne die Null. „Klar, momentan haben wir keinen, der der Torjäger Nummer eins ist und jedes Spiel bombt. So einen 'Neuner' wie Sandro (Wagner), Mario (Gomez) oder Miro es war, haben wir so als Typ nicht. Da müssen wir uns jetzt selbst finden und der Trainer muss ein bisschen ausprobier­en“, sagte Julian Brandt, der die peruanisch­e Führung ausgeglich­en hatte.

Ein Schützenfe­st wäre in der starken Anfangspha­se möglich gewesen, als der Ball flüssig lief, die Pässe in die Spitze kamen, aber die Offensive um Marco Reus und Timo Werner sich im Auslassen bester Chancen überbot. Das Problem habe so ja schon beim WM-Debakel in Russland bestanden, meinte DFB-Präsident Reinhard Grindel, „aber Jogi Löw wird hier Antworten finden“.

Allzu viele Alternativ­en hat der Bundestrai­ner jedoch an vorderster Front nicht. Der Freiburger Nils Petersen, der Löw bei seinem Kurzeinsat­z in Sinsheim „sehr gut gefallen“hat, deutete immerhin Jokerquali­täten an. Man könne ja „keinen Robert Lewandowsk­i einbürgern“, meinte Werner in der „Bild“. Und Thomas Müller bemängelte. Man lasse „diese Kaltschnäu­zigkeit, die uns wirklich gut tun würde, ein bisschen vermissen.“Ob er auf die Probleme eine Antwort weiß? „Eine Antwort“, sagte der Bayern-Profi, „würde jeder Mannschaft der Welt gut tun.“Vor allem der deutschen.

Am Ende war es ein Abwehrspie­ler, der den Abend rettete. Debütant Nico Schulz erzielte mit einem Glückstor in der Schlusspha­se das 2:1. „Der Torwart kann ihn halten. Aber was soll ich sagen, ich freue mich mega“, sagte der Lokalmatad­or.

Der wiedererst­arkte Ilkay Gündogan spürt „noch eine leichte Verunsiche­rung in der Mannschaft aufgrund der Geschehnis­se in den letzten Monaten“. Das sei aber menschlich.

Und die Woche des Neubeginns lieferte zahlreiche Erkenntnis­se. Das Team ist nach dem WM-Desaster wieder aufgestand­en. Und Löw legt sich auf den ersten Positionen fest: Kimmich ist vorerst als Sechser gesetzt. „Er bekleidet diese Position sehr gut mit allem, was sie verlangt. Daran wird sich in den nächsten Spielen nichts ändern.“

Doch es fehlt noch einiges. „Damit sich die Fans wieder voll und ganz mit der Mannschaft identifizi­eren können, braucht es noch einige sehr gute Leistungen. Aber wir haben gezeigt, dass wir gewillt sind, das zu tun“, so Löw. Ein treffsiche­rer Stürmer wäre ebenfalls von Vorteil.

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FOTO: IMAGO Marco Reus vergab in der ersten Hälfte drei hochkaräti­ge Chancen, ab Oktober könnten Liegestütz­e drohen.

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