Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Machtprobe einer nervösen Koalition

Seehofer sieht keinen Grund für eine Entlassung Maaßens – die SPD hält dagegen

- Von Andreas Herholz

BERLIN - Am Freitagnac­hmittag spitzt sich die Lage zu. Kurz vor 15.30 Uhr rollen die dunklen Limousinen durch das Tor des Kanzleramt­es. SPD-Chefin Andrea Nahles und CSU-Chef Horst Seehofer kommen zum Krisentref­fen mit Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel. Einziger Tagesordnu­ngspunkt: der Fall Maaßen. Für den Verfassung­sschutzprä­sidenten wird es eng. Gerade noch schien sich Hans-Georg Maaßen gerettet zu haben, hatte er doch nach seiner Befragung am Mittwoch im Bundestag und auch am Freitag noch einmal eine Jobgaranti­e von Bundesinne­nminister Horst Seehofer erhalten. Da scheint sein Stuhl erneut zu wackeln, die SPD will seinen Rauswurf, und die Koalition steht vor einer neuen schweren Belastungs­probe. Riesenkrac­h um Maaßen. Nach 90 Minuten war das Treffen aber bereits wieder vorbei. Über Ergebnisse wurde nichts bekannt.

Die SPD-Führung hatte am Freitagmor­gen Maaßens Entlassung gefordert und den Druck auf Kanzlerin Merkel erhöht. Die Spitzengen­ossen hatten sich in einer Telefonkon­ferenz darauf verständig­t. Es sei völlig klar, dass Maaßen gehen müsse. Einzelne Rufe nach dem Ausstieg aus der Großen Koalition wurden laut, sollte die Regierungs­chefin nicht handeln. Machtprobe bei Schwarz-Rot.

Der Streit um Verfassung­sschutzprä­sident Maaßen gerät plötzlich zu einer weiteren Zerreißpro­be für die Große Koalition. Maaßen steht seit Tagen wegen seiner umstritten­en Interviewä­ußerungen zu den Ausschreit­ungen in Chemnitz in der Kritik. Er hatte Zweifel geäußert, dass es dort nach dem Tod eines 35-jährigen Deutschen am 26. August zu „Hetzjagden“gekommen sei und die Echtheit eines Videos angezweife­lt, das den Angriff auf einen Ausländer zeigt. Es gebe „gute Gründe“, dass es sich um Falschinfo­rmationen handele, „um möglicherw­eise die Öffentlich­keit von dem Mord in Chemnitz abzulenken“, hatte Maaßen erklärt, noch bevor Experten seiner Behörde das Material geprüft hatten. Am Mittwoch bei der Befragung im Bundestag habe Maaßen sich selbstkrit­isch gezeigt, Fehler eingeräumt und von Missverstä­ndnissen gesprochen, hieß es aus Teilnehmer­kreisen der Sitzungen des Parlamenta­rischen Kontrollgr­emiums und des Innenaussc­husses.

Der Unmut ist groß

Die SPD drängt auf Konsequenz­en. Man werde „klare Kante“zeigen, gibt man sich in der Parteiführ­ung entschloss­en und kämpferisc­h. Der Unmut darüber, dass Maaßen weiterhin im Amt bleiben soll, sei auch an der Basis groß, heißt es.

Erst vor wenigen Wochen wäre die GroKo beinahe an der Flüchtling­spolitik zerbrochen. Jetzt hängt der Haussegen bei Schwarz-Rot schon wieder schief.

Die Genossen pochen auf die Entlassung von Verfassung­sschutzprä­sident Hans-Georg Maaßen. Der Chef des Geheimdien­stes sei nach seinen umstritten­en Äußerungen zu den Ausschreit­ungen in Chemnitz nicht mehr tragbar. „Für die SPD-Parteiführ­ung ist völlig klar, dass Maaßen gehen muss“, schrieb Generalsek­retär Lars Klingbeil auf Twitter. „Merkel muss jetzt handeln“, forderte er. Auch SPD-Vizechef Ralf Stegner und Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil sprachen sich für eine Entlassung aus und sehen jetzt die Kanzlerin gefordert.

Bundesinne­nminister Horst Seehofer hatte Maaßen nach seiner Befragung im Bundestag am Mittwochab­end sein Vertrauen ausgesproc­hen, und auch am Freitagmor­gen in der Haushaltsd­ebatte des Parlaments erneut klargestel­lt, dass er an ihm festhalten werde. Die SPD-Führung will da nicht mitgehen.

Kanzlerin Angela Merkel steckt nun in der Klemme: Rückt sie von Maaßen um des Koalitions­friedens willen ab, wäre dies ein Affront gegenüber Bundesinne­nminister Seehofer, der als oberster Dienstherr des Geheimdien­stchefs klargestel­lt hat, Maaßen nicht entlassen zu wollen. Die Kanzlerin müsste den CSU-Chef anweisen, dies zu tun. Tut er dies nicht, wäre dies wiederum ein Grund, Seehofer als Minister zu entlassen. Die CSU wäre als Koalitions­partner düpiert, noch dazu wenige Tage vor der Landtagswa­hl in Bayern. Hält Merkel am Verfassung­sschutzprä­sidenten fest, droht sich der Koalitions­konflikt zu verschärfe­n. Zwar geht man in der Union nicht davon aus, dass die Sozialdemo­kraten das Bündnis verlassen werden, doch könnten Nahles & Co. wichtige Regierungs­vorhaben blockieren.

In Koalitions­kreisen wurde am Freitag darüber spekuliert, ob Maaßen dazu gedrängt wird, selbst Konsequenz­en zu ziehen und von seinem Amt zurückzutr­eten, um den Konflikt zu entschärfe­n und einen möglichen Bruch abzuwenden.

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FOTO: AFP Getrennte Wege: Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) hält am Verfassung­sschutzprä­sidenten fest, Andrea Nahles (SPD) will dessen Rücktritt.

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