Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
„Die Frage lautet: Wie geht es nachhaltiger?“
Der Kreis kalkuliert für die neue Bertha-Benz-Schule in Sigmaringen schon vor Baubeginn mit Betriebskosten
SIGMARINGEN - Mit dem Neubau der Bertha-Benz-Schule in Sigmaringen wagt sich der Kreis auf neues Terrain: Während sich herkömmliche Realisierungsmodelle für Bauprojekte auf Planung und Bau beschränken, könnte die Schule mit einem in Baden-Württemberg kaum verbreiteten Modell umgesetzt werden, das die Nutzungsphase eines Gebäudes samt Energieverbrauch in den Gesamtkosten berücksichtigt. Der Kreis erstellt derzeit einen Wirtschaftlichkeitsvergleich, um dann abzuwägen, ob dieses Modell infrage kommt. SZ-Redakteurin Anna-Lena Janisch hat sich mit Helmut GöppelWentz, Fachbereichsleiter Liegenschaften und Technik, und KreisKämmerer Franz-Josef Schnell unterhalten.
Worin besteht der Unterschied zwischen beiden Modellen?
Göppel-Wenz: Bisherige Modelle haben überwiegend die Planung und den Bau im Blick, da geht es vor allem um Kosten, aber nie über diesen überschaubaren Zeitraum hinaus, was bei größeren Vorhaben zu kurz greift. Das Lebenszyklusmodell hingegen hat auch die Nutzungsphase, also den Betrieb unter dem Aspekt der Gesamtwirtschaftlichkeit von Beginn an im Blick. Erfahrungsgemäß belaufen sich die Planung- und Baukosten nur auf 20 bis 30 Prozent der Gesamtlebenskosten, wohingegen Betriebskosten 70 bis 80 Prozent ausmachen können, das Einsparund Optimierungspotenzial ist also in der Betriebsphase zu sehen. Beim Lebenszyklusmodell wird beispielsweise auch der spätere Energieverbrauch des Gebäudes in der Angebotsphase berechnet und von der ausführenden Firma zugesichert. Statt „wie geht es billiger“lautet die Frage hier: „wie geht es nachhaltiger?“.
Schnell: Wir waren mit dem Kreistag in Nürnberg und Radolfzell und haben uns unterschiedliche Schulzentren angeschaut, die auch nach dem Lebenszyklusmodell realisiert wurden. Die Erfahrungen zeigen, dass mit dem Lebenszyklusmodell eine Effizienzrendite von bis zu zehn Prozent möglich ist.
Wie lange gibt es dieses Modell schon? Göppel-Wentz: Seit etwa zehn bis 15 Jahren, im Südwesten ist es aber, im Vergleich zu Bayern oder dem Norden, kaum verbreitet. Wir haben bisher noch nicht damit gearbeitet.
Warum nicht? Göppel-Wentz: Zunächst einmal muss man erst darauf stoßen und sich intensiv damit beschäftigen. Das ist auch mit einem Umdenken verbunden. Natürlich eignet sich das Modell erst ab einer gewissen Größenordnung von Bauvorhaben ab 15 Millionen Euro. Zum Vergleich: Der Neubau der Bertha-Benz-Schule soll 75 Millionen Euro kosten.
Schnell: Mit dem Erweiterungsbau des Landratsamtes haben wir bereits eine Art Zwischenlösung zwischen einem klassischen Realisierungsmodell und dem Lebenszyklusmodell gefunden und das Vorhaben auch an einen Generalunternehmer, der Lebenszyklusinformationen miteinberechnet hat, vergeben. Allerdings wurden uns die Verbrauchsdaten wie Strom-, Wasser- oder Energieverbrauch nicht garantiert, da der Auftragnehmer nicht an der Konzeption und Grundlagenplanung mitgestalten konnte. Das soll bei dem Neubau der Bertha-Benz-Schule anders werden. Da denken wir als Landkreisverwaltung schon sehr weit.
Das heißt, das ausführende Unternehmen garantiert beispielsweise die Nutzungsdauer einer Heizung? Schnell: Geht die Heizung vor Erreichen des zum Austausch festgelegten Zeitpunktes kaputt, muss angenommen werden, dass billig gebaut wurde, sie muss dann vom Unternehmen ersetzt werden. Das wird vertraglich festgehalten, über eine Laufzeit von beispielsweise 20 Jah- ren. Deswegen achtet die ausführende Firma auch umso mehr auf Qualität und Nachhaltigkeit bei Auswahl und Einbau von Materialien und Anlagen. Geht die Heizung zum im Instandsetzungsplan angenommenen und festgeschriebenen Zeitpunkt kaputt, dann wird der Auftraggeber dies durch eine zweckgebundene Rücklage finanzieren, in die er monatliche Raten einzahlt. Die Kosten sind also planbar und kalkulierbar.
Göppel-Wentz: Das Angebot, das der Auftraggeber im Rahmen des Ausschreibungs- und Vergabeverfahrens für Planung, Bau und Betrieb erhält, wird von der anbietenden Firma im Rahmen eines Expertenteams erarbeitet. In solch einem Expertenteam sind Facilitymanagement, Handwerker, diverse Fachingenieure, Reinigungsunternehmen und andere vertreten. Neben der Planung und den Investitionskosten wird auch ein Instandhaltungs- und Instandsetzungsplan mit zugehörigen Kosten vorgelegt. Lässt sich daraus schließen, dass das Lebenszyklusmodell für Firmen unattraktiv, da aufwendig in der Vorbereitung und bindend über einen langen Zeitraum ist? Göppel-Wentz: Nein, im Gegenteil. Diese Art der Realisierung stößt bei Firmen durchaus auf Interesse. Es kann aber ob des Aufwands nur von großen und leistungsfähigen Firmen ausgeführt werden.
Was hat die Firma davon? Göppel-Wentz: Sie kann ihre personellen Ressourcen voll ausschöpfen, ist über viele Jahre ausgelastet und verlässt sich nicht nur auf einen Geschäftszweig, sondern ist breiter aufgestellt.
Gibt es Nachteile für den Landkreis? Göppel-Wentz: Die Vorteile überwiegen. Beim Lebenszyklusmodell sind die Firmen erfahren, auch was die Schnittstellen zwischen den Bereichen angeht. So kann Kinderkrankheiten vorgebeugt werden.