Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Mordanschlag auf Muslimin
Verwandte wegen sogenannten Ehrenmordes vor Gericht
RAVENSBURG (dpa) - Sieben Monate nach einem brutalen Mordanschlag auf eine junge Muslimin in Laupheim (Kreis Biberach) hat am Montag der Prozess gegen vier Familienmitglieder begonnen. Der aus Syrien stammende Ehemann und der Bruder der zur Tatzeit 17-Jährigen müssen sich vor dem Landgericht Ravensburg wegen gemeinschaftlichen versuchten Mordes verantworten.
Den Eltern wirft die Staatsanwaltschaft gefährliche Körperverletzung vor. Sie sollen die mutmaßlichen Täter zur Tötung ihrer Tochter aufgefordert, später jedoch Hilfe für die Verletzte geholt haben. Staatsanwalt Florian Steinberg sagte, die Tat am 27. Februar mit insgesamt drei Messern, bei der das Opfer lebensgefährlich verletzt wurde, sei „aus niedrigen Beweggründen“erfolgt.
Aus Sicht der Eltern sowie der mutmaßlichen Täter habe die Frau die Familienehre beschmutzt und sollte dafür getötet werden.
RAVENSBURG/LAUPHEIM - Unter großem Medieninteresse hat am Montag vor dem Ravensburger Landgericht der Prozess zu einem versuchten „Ehrenmord“in Laupheim begonnen, der im Februar deutschlandweit für Entsetzen gesorgt hatte: Ein damals 17-jähriges, schwangeres Mädchen wurde vermutlich von ihrem Bruder und ihrem Ehemann mit Messerstichen lebensgefährlich verletzt, weil es deren Überzeugung nach die Ehre der libanesisch-libyschen Familie beschmutzt haben soll. Angeklagt sind neben den beiden auch die Eltern der jungen Frau, die nicht nur zugeschaut, sondern die Männer zu der Tat angetrieben haben sollen. Zum Prozessauftakt stand lediglich die Verlesung der Anklage der Stuttgarter Staatsanwaltschaft auf dem Programm. In zehn weiteren Verhandlungstagen möchte das Gericht das genaue Geschehen vom 27. Februar 2018 rekonstruieren und die Täter am Ende zur Rechenschaft ziehen.
Der am Tattag 20-jährige Bruder des Opfers war erst tags zuvor aus dem Gefängnis in Stuttgart-Stammheim entlassen worden. Er hatte in Untersuchungshaft gesessen, weil er in einem Laupheimer Drogeriemarkt mehrere Tausend Zündhölzer für einen Bekannten gekauft haben soll, damit dieser einen islamistischen Sprengstoffanschlag in Kopenhagen verüben konnte. Der Anschlag scheiterte, weil der Mann auf dem Weg nach Dänemark verhaftet wurde. Das Biberacher Amtsgericht hob den Haftbefehl gegen den 20-Jährigen auf, weil die Beweislage für einen dringenden Verdacht der Beihilfe zu dünn war. Der Prozess sollte 14 Tage später fortgesetzt werden. Wieder in Freiheit, fuhr der junge Mann noch am Abend zu seiner Familie nach Laupheim. Dass dort bereits ein folgenschwerer Konflikt schwelte, ahnte niemand.
Die 17-jährige Tochter des Hauses war knapp zwei Jahre zuvor mit einem etwa doppelt so alten Syrer nach islamischem Recht verheiratet worden. Mit dem Mann hatte sie zum Zeitpunkt der Tat einen zehn Monate alten Sohn, glücklich schien sie mit der Ehe aber nicht zu sein: Sie hatte ein Verhältnis mit einem anderen, jüngeren Mann aus Biberach und wollte sich für ihn von ihrem Ehemann trennen. Sie war außerdem im zweiten Monat schwanger, wusste aber wohl nicht, von welchem der beiden Männer.
Aus der vom Ersten Staatsanwalt Florian Steinberg verlesenen Anklageschrift geht hervor, dass der Bruder bereits am Abend nach seiner Entlassung aus der U-Haft seine Schwester in der Wohnung in Laupheim zur Rede stellte. Sie berichtete, dass sie in ihren Freund verliebt sei und mit ihm zusammenleben wolle. Ihr Bruder machte ihr klar, dass das nicht gehe und zeigte seiner Schwester auf dem Handy angebliche Facebook-Fotos, die das Mädchen mit für islamische Verhältnisse allzu leicht bekleidetem Oberkörper zeigen. Daraufhin kam auch der Ehemann des Mädchens ins Zimmer, die beiden Männer beschimpfen die 17-Jährige als Hure und werfen ihr vor, die Familienehre zu beschmutzen.
Was danach passiert, klingt wie aus dem Drehbuch eines Horrorfilms. Der Syrer, so die aktuellen Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft, zieht ein Messer, und sein Schwager fordert ihn auf, das Mädchen zu töten. Die 17-Jährige kämpft um ihr Leben, greift nach den Klingen und verletzt sich schwer an den Händen. Auch im Gesicht wird das Opfer traktiert, an beiden Mundwinkeln klaffen Schnittwunden. Der Ehemann versucht, der jungen Frau den Hals durchzuschneiden, was ihm nicht gelingt. Dann reicht er ihrem Bruder das Messer und fordert ihn auf, die Schwester zu töten. Der 20-Jährige hat bereits ein Messer zur Hand und sticht dem Mädchen in den Oberkörper. Es folgen weitere Attacken, ein Stich streift den Herzbeutel.
Laut Staatsanwaltschaft machten die Männer anschließend mit einem Mobiltelefon insgesamt 13 Videoaufnahmen von dem schwerst verletzten Mädchen. Der Bruder kommentierte die Bilder, auf denen er noch genüsslich eine Zigarette raucht, mit den Worten: „Ich genieße es, meiner Schwester beim Sterben zuzusehen.“Die Filme schickte er dem Freund des Mädchens – auch als Drohung, dass ihm dasselbe Schicksal widerfahren werde. „Der Angeklagte hatte schon immer die Vorstellung, seine Schwester und deren Freund zu töten, weil deren Lebenseinstellungen nicht den seinen entsprachen“, sagte der Erste Staatsanwalt.
Eine dubiose Rolle bei der Tat spielten die Eltern der 17-Jährigen. Während die beiden Hauptangeklagten bereits am Tag danach auf ihrer Flucht in einem Zug im Schweinfurter Bahnhof festgenommen wurden, blieben der 64-jährige Vater und die 61-jährige Mutter von den Ermittlern zunächst weitgehend unbehelligt – wohl auch deshalb, weil der Vater es war, der nach der Flucht der Messerstecher den Rettungsdienst alarmiert hatte. Dank schneller Hilfe konnte das Mädchen mit knapper Not gerettet werden. Gegenüber Journalisten gaben sich die beiden in den Tagen danach als die hilflosen Eltern, die sich Sorgen um die Tochter und deren zehn Monate alten Sohn machten, der nach der Tat – die er in der Wohnung wohl mitbekommen hat – dem Jugendamt überstellt wurde. In einem Fernsehbeitrag brachten die Eltern jedoch auch das islamische Recht der „Scharia“zur Sprache. „Wenn eine verheiratete Frau eine Beziehung führt und der islamische Richter sie zum Tode verurteilt, dann darf ich nicht Nein sagen“, erklärte der Vater dem Fernsehsender.
Als sich der Verdacht der Mitschuld der Eltern erhärtete, wurden auch sie – knapp vier Wochen nach der Tat – in Untersuchungshaft genommen und angeklagt. Allerdings nur wegen gefährlicher Körperverletzung, weil sie durch das Alarmieren des Rettungsdienstes – juristisch betrachtet – vom Mordversuch zurückgetreten seien. Ob es dabei bleibt? Denn der Staatsanwalt schilderte auch, dass die Mutter, nachdem ein Messer abgebrochen sei, aus der Küche ein neues spitzes Messer geholt und ihren Schwiegersohn aufgefordert habe, die Tat zu vollenden. Auch war das Verhältnis zwischen der Tochter und den Eltern seit Jahren äußerst angespannt. Das Mädchen verbrachte wegen häufiger Streitigkeiten immer wieder Tage oder Wochen in verschiedenen Jugendhilfeeinrichtungen. Nach der Tat entzog das Amtsgericht den Eltern das Sorgerecht für die inzwischen 18 Jahre alte Tochter, die nach der Entlassung aus dem Krankenhaus zunächst in die Pflegschaft des Jugendamtes gegeben und in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wurde, weil die Gefahr bestand, dass weitere Angehörige der Familie dem Mädchen nach dem Leben trachten könnten.
Der Prozess wird am 9. Oktober fortgesetzt. Der Vorsitzende Richter Böhm teilte mit, dass am zweiten Verhandlungstag die Befragung der Angeklagten auf dem Programm stehe. Vor dem Blitzlichtgewitter und den Kameras der zahlreichen Medienvertreter schützten sich die Eltern mit Kopftuch und Mütze, der mit Bart und gewaltiger Afrofrisur erschienene Bruder des Opfers hielt sich einen Ordner vors Gesicht.
Nur der Ehemann blickte selbstbewusst durch den Saal. Er muss sich während des Prozesses für eine weitere Tat verantworten: Er soll während der Untersuchungshaft mit einem Feuerzeug die Matratze und Kleidung in seiner Zelle in Brand gesteckt haben. Das Feuer verursachte einen Schaden in Höhe von 2500 Euro. Weshalb er das getan hat? Eine von vielen Fragen, auf die der Prozess Antworten liefern soll.
„Ich genieße es, meiner Schwester beim Sterben zuzusehen.“ Der angeklagte 20-jährige Bruder des Opfers
„Der Angeklagte hatte die Vorstellung, seine Schwester und deren Freund zu töten.“ Der Erste Staatsanwalt Florian Steinberg