Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Eines der ältesten Geschäfte macht zu
Umsatzrückgang bei Schreibwaren und Büchern: Geschwister Müller schließt.
BAD SAULGAU - Die Buch- und Schreibwarenhandlung Geschwister Müller in der Fußgängerzone in Bad Saulgau schließt zum Ende des Jahres. Als Grund nennt Inhaber Ulrich Gruber über Jahre anhaltende Umsatzrückgänge.
„Bevor wir in die Verlustzone geraten, habe ich die Notbremse gezogen“, sagt Ulrich Gruber (55) gegenüber der Schwäbischen Zeitung. Der über Jahre andauernde Rückgang beim Umsatz und steigende Kosten hätten diesen Schritt notwendig gemacht. Die Geschäftsaufgabe sei zwar ein Verlust für die Innenstadt. „Aber es kommen immer weniger Leute zu uns.“
Bei der Nennung der Ursache ist der Inhaber eindeutig: Digitalisierung und Internet. Die Milliardenumsätze von Amazon müssten ja irgendwo herkommen, sagt Gruber. Kunden von Amazon fehlten ihm als Händler vor Ort. Doch Amazon sei nicht der alleinige Grund.
„Wir sind die Verlierer der Digitalisierung.“Es gebe nicht das eine große Problem, wogegen er konzentriert angehen könne. „Es sind viele Kleinigkeiten, die wegfallen“, sagt Gruber. Und er kann Beispiele nennen: „Noch vor zehn Jahren haben wir in jedem Jahr hundert Lohnsteuertabellen bestellt, heute bestellen wir gar keine mehr. Kam ein neuer Duden heraus, habe ich 100 geordert, heute habe ich noch einen.“Wer sich Rezepte bei chefkoch.de holt, brauche keine Kochbücher mehr, Reisetipps im Internet machten Reiseführer in weiten Teilen überflüssig. Früher habe er meterweise Computerbücher angeboten. Auch das lohne sich nicht mehr.
Das digitale Büro sorge für den Umsatzrückgang bei den Schreibwaren. „Bürosachen gibt es inzwischen in jedem Supermarkt“, sagt Gruber. Zum Schulanfang würden sich Eltern und Schüler dort eindecken. Bei kniffligeren Sachen sei dann der Schreibwarenhändler gefragt. Gebe es den Schreibwarenhändler vor Ort nicht mehr, dann falle aber auch die Beratung für den Kauf von Füllern für Grundschulkinder weg.
Kosten für Energie, Strom und Software würden dagegen tendenziell steigen. „Die Kosten für Strom bleiben gleich, auch wenn ich weniger Umsatz mache“, so Gruber. Die Entscheidung habe er sich nicht leicht gemacht. Seit Jahren beobachte er die sinkenden Umsatzzahlen. Lange Zeit hoffte er, dass sich das „irgendwann“wieder in die andere Richtung drehe. Der Umschwung blieb aus. „Diesen Sommer traf ich die Entscheidung“, so Gruber.
Die Entscheidung trifft ihn persönlich. „Ich habe das ganze Leben hier geschafft“, sagt er. 30 Jahre sind es insgesamt. Zuerst zweieinhalb Jahre als Angestellter. 1990 übernahm er die Buchhhandlung von Walter Müller. Gute Jahre habe es anfangs gegeben. Die sind vorbei. Gruber: „Ich könnte weinen.“
Nachfolger für Räume gesucht
Seinen drei bereits langjährigen Mitarbeiterinnen hat er inzwischen gekündigt. Die Ladenfläche in der Fußgängerzone möchte er vermieten. Einen konkreten Interessenten gebe es noch nicht. Er selbst weiß noch nicht, was er nach den vielen Jahren bei Geschwister Müller machen wird. Am 22. oder 24. Dezember werde Buchhandlung und Schreibwarenladen das letzte Mal öffnen. Zuvor werde es im Schreibwarenbereich – ab Mitte Oktober – und bei den Büchern – ab Ende November – Räumungsverkauf geben. Dann werde die Zeit von „Geschwister Müller“in Bad Saulgau in aller Stille enden. „Zu feiern gibt es da nichts“, sagt Ulrich Gruber.
Die Buchhandlung in der Hauptstraße 51 in Bad Saulgau zählt zu den ältesten Einzelhandelsgeschäften in Bad Saulgau. Nach dem Krieg hatte Walter Mülller das Geschäft von zwei Großtanten übernommen. Die beiden Damen waren Schwestern, von daher rührt der bis heute verwendete Name „Geschwister Müller“. Gegründet wurde das Geschäft vor über 110 Jahren an dieser Stelle als Geschäft für Spezereiwaren (Lebensmittel) und Schreibmaterialien. Schreibwaren und Devotionalien (Andachtsgegenstände) wurden später in dem Geschäft verkauft. Nach der Währungsreform ging es schnell bergauf. Durch Zukäufe wurde die Ladenfläche vergrößert, das Sortiment erweitert. Mitarbeiter wurden eingestellt. Bücher erweiterten das Angebot. In den Jahren nach dem Weltkrieg, nach Nazidiktatur, Bücherverbrennung und Zensur erkannte Müller die wachsende Nachfrage nach Weltliteratur. Das Geschäft lief. Auch kritische Literatur im aufkommenden preiswerten Format, etwa als rororo-Bändchen, gab es fortan beim „Geschwister Müller“.