Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Messerstecher war kein unbeschriebenes Blatt
Obwohl der Angreifer auffällig war und als psychisch schwer krank galt, hielten ihn Psychiater für ungefährlich
RAVENSBURG - Auch drei Tage nach der Messerattacke auf dem Ravensburger Marienplatz bewegt die Menschen die Bluttat eines 21-jährigen Afghanen vom Freitag. Vor allem treibt sie die Frage um: Wie geht es den Verletzten – und was geschieht jetzt weiter mit dem mutmaßlichen Täter? Inzwischen ist klar: Der 21 Jahre alte Flüchtling, der am Freitag mit einem Messer drei Männer auf dem Marienplatz angegriffen und schwer verletzt hatte, hat offenbar bereits zuvor Polizei und Rettungskräfte beschäftigt. 2016 war er in einen Vorfall in der Landeserstaufnahmestelle in Sigmaringen (LEA) verwickelt, bestätigte ein Polizeisprecher. Auch in der Flüchtlingsunterkunft in Horgenzell, wo der Mann zuletzt wohnte, soll er auffällig geworden sein. Am 12. Juli 2017 sei es in Horgenzell zu einem ersten Ausraster gekommen, erzählt ein mit dem Angreifer bekannter Rechtsanwalt aus dem Kreis Ravensburg. „Er hat mit Stühlen um sich geworfen und einen Mitbewohner angegriffen.“Die Polizei habe für diesen Tag zumindest keinen erfassten Vorfall in ihren Akten, erklärt ein Sprecher der Polizei. Der mutmaßliche Täter, der laut seinen Ärzten psychisch schwer krank ist, war in der Unterkunft in Horgenzell wiederholt eine Gefahr – vor allem für sich selbst, aber auch für andere, wie aus Informationen der „Schwäbischen Zeitung“hervorgeht.
Am Wochenende hatte die Ravensburger Staatsanwaltschaft vermeldet, der Mann sei bislang nicht durch Aggressionen aufgefallen. Fest steht, dass er bisher nicht wegen einer Straftat verurteilt wurde. Das Zentrum für Psychiatrie (ZfP) in Weißenau, wo der 21-Jährige mehrfach in stationärer Behandlung war, hatte den Mann als ungefährlich eingestuft. „Es gab keine Hinweise darauf, dass eine Fremdgefährdung durch ihn möglich ist“, sagte Tilman Steinert, der Ärztliche Direktor des ZfP.
Stress im Flüchtlingsheim
Ein Rechtsanwalt aus der Region hat über eine nahe Verwandte den Werdegang des Asylbewerbers seit März 2017 eng begleitet. Die junge Frau und ihr Freund, auch er Asylbewerber und zeitweise Zimmergenosse des Täters, sind mit dem Afghanen befreundet und haben ihm immer wieder versucht zu helfen. „Am Ende war es so, dass sich zwei Jugendliche mit der Betreuung eines schwer psychotischen Mannes alleine gelassen fühlten. Wenn sie nicht darauf geachtet haben, dass er seine Medikamente nimmt, dann niemand“, sagt der Jurist. Dass der mutmaßliche Messerstecher gefährlich sein dürfte, sei absehbar gewesen, glaubt der Anwalt: „Seit März 2017 gab es Stress im Flüchtlingsheim. Wenn J. seine Medikamente genommen hat, ging es ihm gut, dann war er ein außerordentlich liebenswürdiger Mensch. Wenn nicht, dann hat er Stimmen gehört und sah sich von Feinden umzingelt.“ Das deckt sich mit der Diagnose „psychotische Erkrankung“der Klinik in Weißenau.
Oberbürgermeister Daniel Rapp hat indes bereits am Samstag alle drei Opfer im Krankenhaus besucht, zwei von ihnen sind inzwischen entlassen worden. „Er hat sich bei dem Touristen bedankt, der hier so beherzt eingegriffen hat“, sagte der Pressesprecher der Stadt, Alfred Oswald, am Montag. Allen drei Opfern des Messerangriffs gehe es schon besser, so Oswald. Zwei Syrer im Alter von 19 und 20 Jahren sowie ein 52-jähriger Deutscher, der mit seiner Familie einen Ausflug nach Ravensburg machte, waren von dem bewaffneten Mann verletzt worden. Der Urlauber aus Hessen war am Montag den Informationen der Stadtverwaltung zufolge noch im Krankenhaus, seine Familie noch in der Stadt. „Wir haben sie in einem Hotel untergebracht auf städtische Kosten“, so Oswald.
Nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“war der Busfahrer aus Hessen mit seiner Frau, seiner Tochter und seinem Schwiegersohn am Bodensee im Urlaub und hat am Freitag einen Ausflug nach Ravensburg gemacht, bevor es am Samstag zurück nach Hause gehen sollte. Bei einem Besuch des Gasthauses Engel am Marienplatz wurde die Familie plötzlich Zeuge der Messerattacke. Der Familienvater stellte sich dem bewaffneten Mann mit einem Stuhl in den Händen gegenüber, bekam dabei mehrere Stiche ab. Aber nicht nur der Urlauber, sondern auch Oberbürgermeister Rapp selbst wird von den Medien deutschlandweit für seinen Mut gefeiert. Das Stadtoberhaupt war unmittelbar auf den Angreifer gestoßen und hatte ihn durch Zureden dazu bewegt, das Messer niederzulegen, worauf dieser festgenommen wurde.
Bei den Großeltern aufgewachsen
Der junge Mann ist nach Informationen der SZ zwar gebürtiger Afghane, wuchs aber im Iran bei Verwandten auf. Von seinen Eltern, die noch in Afghanistan leben, sei er bereits im Alter von zehn Jahren getrennt worden. Zum Jahresende 2016 war er zunächst nach Sigmaringen und dann nach Horgenzell gekommen. Außer den beiden Jugendlichen habe er in Deutschland niemand an sich herangelassen, berichtet der mit dem Angreifer bekannte Jurist. Der Mann befand sich freiwillig in stationärer Behandlung im ZfP, hatte aber die Möglichkeit, die Klinik zu verlassen.