Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Chemnitz und der braune Sumpf
Die Festnahme mutmaßlicher Rechtsterroristen bringt die Stadt erneut in Verruf
CHEMNITZ/BERLIN (dpa) - Chemnitz will den Tag der Deutschen Einheit mit einem „Fest für Toleranz und Demokratie“begehen. Doch während die lokale Wirtschaftsförderung gemeinsam mit Vereinen aus der Kultur- und Jugendarbeit Stände und ein Bühnenprogramm organisiert, bereitet sich in der Stadt auch eine Gruppe von Rechtsextremisten auf den Tag vor. Was die Männer aus der örtlichen Hooligan- und Neonazi-Szene genau planten, ist noch nicht bekannt. Fest steht nur: Im September haben sie sich laut Generalbundesanwalt zur Terrorgruppe „Revolution Chemnitz“zusammengeschlossen. Gewalt spielt in ihrem Szenario eine Rolle. Am Tag der Einheit sollte ein Zeichen gesetzt werden. Die Polizei hat sie nun dingfest gemacht.
Sechs Mitglieder der Gruppe „Revolution Chemnitz“wurden in Sachsen festgenommen, ein weiteres in Bayern. Dort war der Mann gerade auf Montage. Ein achter Mann, der mutmaßliche Anführer, sitzt bereits seit zwei Wochen in Untersuchungshaft. Der 31-jährige Christian K. spielte nach Angaben der Ermittler bereits zuvor eine führende Rolle in der Chemnitzer Neonazi-Szene, in der bereits die NSU-Terroristen zugange waren.
Getarnt als Bürgerwehr
Damals war er im Anschluss an eine rechtspopulistische Demonstration der Vereinigung „Pro Chemnitz“mit mehr als einem Dutzend Anhängern seiner Gruppe durch Chemnitz gezogen und hatte auf der Schlossteichinsel, getarnt als Bürgerwehr, eine Gruppe von Ausländern mit einem Elektroschocker und Quarzhandschuhen angegriffen. Ein Iraner wurde durch eine Glasflasche am Kopf verletzt.
Es sollte nicht bei diesen Waffen bleiben. „Die Mitglieder hatten sich bereits nach den Preisen für halbautomatische Waffen erkundigt“, sagt Carolin Urban, Sprecherin der Generalbundesanwaltschaft. Sie planten am 3. Oktober eine größere Gewalttat, über deren Ablauf die Ermittler bislang schweigen. Die Festgenommenen sind Teil einer Szene von rund 1300 gewaltbereiten Rechtsextremen im Freistaat Sachsen, das ist die Hälfte aller Angehörigen dieser politischen Strömung dort. 900 Menschen sind in Kameradschaften und parteiunabhängigen Gruppen organisiert.
„Revolution Chemnitz“gibt es noch nicht lange. Es werde geprüft, welche Rolle sie bei den ausländerfeindlichen Protesten in Chemnitz gespielt hätte, hieß es bei der Bundesanwaltschaft. „Nach bisherigen Erkenntnissen unserer Ermittler gibt es die Gruppe erst seit dem 11.September“, berichtet Urban.
Kurz nach ihrer Tat in Chemnitz wurden die Täter wegen Landfriedensbruchs
– also wegen Gewalttaten aus einer Gruppe heraus – festgenommen, kamen aber bis auf Christian K. später frei. „Chemnitz ist schon seit der Wiedervereinigung ein Sammelbecken der rechtsextremen Szene, auch wenn die Mehrheit der Bewohner der Stadt keine rechte Gesinnung hat“, sagt der Politikwissenschaftler und Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke aus Berlin. Das NSU-Terrortrio lebte von 1998 bis
2000 in der sächsischen Stadt. 2014 verbot der damalige sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) die Gruppe „Nationale Sozialisten Chemnitz“(NSC).
Die jüngsten Ereignisse in Chemnitz müssen wie ein Katalysator für die kruden Gewaltfantasien der Rechtsextremen gewirkt haben. In der Nacht zum 26. August starb dort der Deutsch-Kubaner Daniel H. am Rande eines Stadtfestes durch eine Messerattacke. Die Polizei benannte drei Asylbewerber als Tatverdächtige. Empörte Chemnitzer drückten ihre Trauer und Wut über die Bluttat aus. Bei Protestdemonstrationen
marschierten auch Rechtsextremisten mit. Einige zeigten den verbotenen Hitlergruß.
Der Tod von Daniel H. ist laut Funke ein Ereignis, das die Szene wieder zusammenschweißt. Seit diesem 26. August kommt Chemnitz nicht zur Ruhe. Für Aufregung sorgt ein Video von einer der ersten Demonstrationen. Es zeigt eine Attacke auf ausländisch aussehende Menschen. An dem Video entzündet sich eine Debatte über den Begriff „Hetzjagd“, Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen mischt sich in die politische Debatte ein und muss am Ende seinen Posten räumen.