Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Lebensretter
Das Eis bei Vito Fiorino gilt zu Recht als eines der besten auf ganz Lampedusa. Salzige Butter, wilder Fenchel, Lakritze. Früher schuf Vito nicht nur ausgefallene Eissorten. Er fuhr auch gerne mit Freunden auf seinem Boot „Gamar“vor der italienischen Insel zum Fischen aufs Meer.
Es war gegen 6 Uhr, als Vito erwachte und sich sein Leben für immer verändern sollte. „Auf einmal tat sich vor mir eine Szenerie auf, wie man sie nicht beschreiben kann. Da waren all diese Menschen im Meer, die verzweifelt um Hilfe schrien. Sie hatten diese Augen voller Angst, die wie Feuerbälle aussahen.“Sie tauchten auf und gingen wieder unter. Er wusste nicht, dass gerade ein Flüchtlingsschiff mit etwa 550 Menschen aus Eritrea und Somalia untergegangen war. Er wusste nicht, dass dieses Unglück mehr als 360 Menschen nicht überleben würden. „Ich habe sie hochgezogen, aber sie sind mir aus den Händen gerutscht, weil sie voller Treibstoff waren.“
47 Menschen haben Vito und seine Freunde gerettet. Die Überlebenden nennen ihn „my father“. Doch aus dem Eisdielenbesitzer von Lampedusa wurde kein Held. Vito ist der Meinung, wenn die Küstenwache schneller auf seinen Hilferuf reagiert hätte, hätten viel mehr Menschenleben gerettet werden können. Außerdem habe ihn die Hafenbehörde nicht wieder aufs Meer gelassen, um noch mehr Menschen zu retten. „Jene Nacht habe ich zu einer Todsünde beigetragen.“
Erst ein Jahr später fand Vito die Kraft, zur Polizei zu gehen. „Ich war geschockt, ich habe monatelang nicht schlafen können“, sagt er. Doch seine Vorwürfe hatten keine Konsequenzen: Die Retter der Küstenwache wurden als Helden gefeiert. Vito Fiorino kennt kaum einer. Annette Reuther/dpa